Forderung nach mehr Videoüberwachung:"Gefahr entsteht im Kopf"

Wann fürchten wir uns vor Verbrechen? Interview.

Bundesinnenminister Friedrich fordert eine Ausweitung der Videoüberwachung. Die meisten Deutschen würden dies begrüßen. Doch fühlen wir uns mit mehr Kameras sicherer?

(Foto: dapd)

Ob mehr Kameras die Kriminalitätsrate senken, ist äußerst umstritten. Dennoch wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage 81 Prozent der Deutschen mehr Videoüberwachung. Fühlen wir uns sicherer, wenn Big Brother zuschaut? Ein Gespräch mit dem Hildesheimer Psychologen Werner Greve.

Von Lena Jakat

Fühlen wir uns sicherer, wenn eine Kamera uns beobachtet? Wovon hängt es ab, wann wir uns fürchten, Opfer eines Verbrechens zu werden? Der Psychologe Werner Greve von der Universität Hildesheim forscht seit Jahren zu subjektivem Sicherheitsemfpinden. Ein Gespräch über das Aufzugfahren und fehlgeleitete Sicherheitspolitik.

Süddeutsche.de: Die überwältigende Mehrheit der Deutschen - 81 Prozent laut einer aktuellen Umfrage - wünscht sich nach dem missglückten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof mehr Kameras an öffentlichen Plätzen. Der Zusammenhang zwischen Kriminalität und Videoüberwachung ist sehr umstritten. Steigt dadurch wenigstens unser subjektives Sicherheitsempfinden?

Werner Greve: Im Gegenteil. Wenn Kameras sichtbar angebracht sind, wächst unsere Angst vor Verbrechen eher. Das ist wie mit einem Fahrstuhl, in dem ein Hinweis hängt: "Heute überholt." Dieses Schild erinnert erst daran, dass ein Lift unkontrolliert in die Tiefe fallen könnte. Daran hätte vorher kaum jemand gedacht. Ähnlich ist es mit Weihnachtsmärkten, auf denen bewaffnete Sicherheitsleute zugegen sind. Und eben auch bei Kameras.

Wenn wir uns also nicht sicherer fühlen, warum wünschen sich die Menschen dann mehr Kameras?

Meiner persönlichen Einschätzung nach hat das im Fall der aktuellen Umfrage mehr mit dem Wunsch zu tun, die Täter nach solchen Vorfällen zur Rechenschaft ziehen zu können. Die konkrete Angst, persönlich Opfer eines Verbrechens zu werden, rangiert bei Untersuchungen stets im Mittelfeld, weit hinter der Angst vor Krankheit, etwa auf einer Stufe mit der Furcht vor Krieg. Ich fürchte, da geht es eher um Revanche-Bedürfnisse nach dem Motto: "Ich habe doch eh nichts zu verbergen."

Wirkt sich ein missglückter Anschlag wie der in Bonn denn gar nicht auf unsere Angst vor Verbrechen aus?

Es kann dann schon zu kurzfristigen Ausschlägen kommen - besonders, wenn Menschen sich unmittelbar betroffen fühlen, etwa, weil sie selbst erst vor wenigen Tagen den Bahnhof passiert haben. Viele Menschen sehen nach solchen Ereignissen eher andere gefährdet - fühlen sich selbst aber weiterhin sicher. Doch - abhängig auch von der medialen Berichterstattung - schwächt sich diese Angst sehr, sehr schnell wieder ab auf das Normalniveau, meist binnen Tagen.

Woran liegt es, dass ich mich zum Beispiel nachts im Wald unsicherer fühle, als tagsüber in der Fußgängerzone?

Klar ist hell meist besser als dunkel und übersichtlich besser als unübersichtlich. Danach wird es sehr kompliziert. Manche fühlen sich in einer Menschenmenge wegen der großen Zahl möglicher Zeugen sicherer, andere haben dort erst recht Angst vor Taschendieben. Warum fürchte ich mich, wo andere entspannt vor sich hinpfeifen? Wie sicher wir uns fühlen, hängt von vielen Aspekten unserer Person ab, von der Situation, der Umwelt und von unseren Vorerfahrungen. Habe ich in der Zeitung eben erst von Verbrechen gelesen? Kenne ich meine Umgebung? Die Gefahr entsteht im Kopf. Es gibt nicht die typische Angstsituation. Das macht es auch sehr schwierig, den Sicherheitsbehörden Empfehlungen zu geben. Bewaffnete Sicherheitskräfte und Kameras gehören jedenfalls selten dazu.

Wenn ich als Frau abends allein in eine leere U-Bahn steige, habe ich durch Kameras vielleicht das Gefühl, dass da noch jemand ist.

Es gibt Untersuchungen dazu, dass sich manche Bevölkerungsgruppen - ältere Menschen etwa oder Frauen - mehr vor Verbrechen fürchten. Das scheinbar Paradoxe ist, dass diese Gruppen tatsächlich seltener Opfer werden als etwa junge Männer. Möglicherweise eben, weil sie sich aus Ängstlichkeit vorsichtiger verhalten. Flächendeckende Videoüberwachung würde im Allgemeinen an diesem Empfinden jedoch nichts ändern. Und wenn überall Kameras hängen, wird unmöglich immer jemand zugucken können. Selbst falls jemand im richtigen Moment hinsieht, wenn ein Verbrechen geschieht, würde es in den allermeisten Fällen zu lange dauern, bis Hilfe kommt.

Verfechter von mehr Videoüberwachung führen als Argument häufig an, dass Verbrecher abgeschreckt werden können.

Das ist nur im Fall von rational geplanten Taten richtig; deswegen bringen Kameras in Bankfilialen etwas, wo mögliche Räuber häufig sehr geplant vorgehen. Bei Beschaffungskriminalität zum Beispiel, wenn jemand spontan eine Handtasche klaut, ist das aber nicht der Fall. Und Terroristen schrecken Kameras - und die damit verbundene mögliche Strafverfolgung - in der Regel ohnehin nicht ab.

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