Ex-Bundespräsident Christian Wulff:Gefährliche Freundschaften

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"Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo man sich von Freunden kein Geld leihen kann", erklärte Christian Wulff einst. Freundschaften waren ein wichtiges Schmiermittel für den Aufstieg von Wulff. Doch viele der einst nützlichen Beziehungen erwiesen sich später als verhängnisvoll. Viele Freunde sind dem ehemaligen Präsidenten nicht geblieben.

Von Jens Schneider und Ralf Wiegand, Hamburg

Er war einmal der höchste Mann im Staat mit Chauffeuren, livrierten Dienern und Assistenten für dies und jenes. Fototermine arrangierte sein Pressestab minutiös. Heute ist Christian Wulff, 53, ein ganz gewöhnlicher Prominenter, der damit rechnen muss, dass ein Fotograf im Supermarkt unangemeldet auf ihn wartet. So ist der jüngste Schnappschuss des ehemaligen Bundespräsidenten, seiner Frau Bettina und der beiden Söhne entstanden, welchen die Bild-Zeitung am Donnerstag veröffentlichte: die an der Kasse aufs Wechselgeld wartenden Wulffs als, so der Titel, "eine ganz normale Familie".

Es klingt fast wie eine fröhliche Vollzugsmeldung aus dem Kino: Liebling, wir haben die Wulffs geschrumpft! Nun ist vollbracht, was in derselben Zeitung vor etwas mehr als einem Jahr begonnen hatte. Damals berichtete das Blatt über die sehr spezielle Finanzierung des Einfamilienhauses der Familie Wulff durch einen Privatkredit des Osnabrücker Unternehmerpaars Geerkens. Gute Freunde, wie Wulff erklärte, um später zu ergänzen: "Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo man sich von Freunden kein Geld leihen kann."

Das muss er nicht mehr sein, seitdem er am 17. Februar 2012, nach 598 Tagen im Amt, als Bundespräsident dieses Landes zurückgetreten ist. Seit diesem Zeitpunkt wartet er darauf, dass ihm die Staatsanwaltschaft Hannover erklärt, warum eigentlich. Sie ermittelt noch immer wegen Vorteilsnahme. Der Geerkens-Kredit ist dabei nicht mehr das Thema, auch andere Vorgänge sind als irrelevant abgeheftet worden. Die Justiz beleuchtet lediglich noch die Beziehung zu David Groenewold, einem ebenfalls befreundeten Filmproduzenten, dessen Firma in der Zeit des Ministerpräsidenten Wulff Bürgschaften vom Land Niedersachsen erhalten hatte. Groenewold soll sich mit ein paar zumindest vorfinanzierten Hotelübernachtungen revanchiert haben.

Keine Freunde in der Politik

Verhängnisvolle Freundschaften waren das rückblickend für den CDU-Politiker und gewieften Netzwerker Wulff, dessen Freundschaftsbegriff im Hannover von heute manchen ein großes Rätsel ist. In der Staatskanzlei wollen sie festgestellt haben, dass Wulff im Lauf der Jahre dort seinen Freundeskreis fast komplett ausgetauscht hat. Unter Ex-Ministern und aktuellen Kabinettsmitgliedern gibt es Männer, die sich fragen, ob sie überhaupt je mit Wulff befreundet waren, obwohl sie zumindest auf einer seiner beiden Hochzeiten tanzten. Als Jungpolitiker, so wird kolportiert, habe sich Wulff nicht nur in ein Unions-Netzwerk eingeklinkt, sondern gleich in drei solcher Interessengemeinschaften, ohne dass diese voneinander gewusst hätten.

Enttäuschte Gefährten von einst spotten heute darüber, dass Wulff, nachdem er indirekt den ins Kanzleramt entschwebten Dauerrivalen Gerhard Schröder (SPD) beerbt hatte, dessen Freundschaften auftrug wie abgelegte Kleider. Man weiß, dass Wulff mit Millionär Carsten Maschmeyer und Schauspielerin Veronica Ferres befreundet ist, mit dem Sänger Heinz-Rudolf Kunze, Unternehmern seiner Heimatstadt Osnabrück und anderen erfolgreichen Niedersachsen. Viele Namen tauchen in den Ermittlungsakten auf. Aber selbst die engsten Weggefährten während des Aufstiegs können keinen Namen aus der Politik nennen, den sie heute noch als Wulffs Freund bezeichnen würden.

So ist vielleicht das eisige Klima in Hannover zu erklären, wo sich Wulffs politische Erben nur ungern offen über ihren früheren Chef äußern. Verdorrte Beziehungsgeflechte überall, exemplarisch werden sie an Justizminister Bernd Busemann, der sich einst zu den besseren Freunden Wulffs zählte, ehe dieser ihn nach einem parteiinternen Machtkampf zu seinen Rivalen umsortierte. Busemann wurde von Wulff vom wichtigen Kultus- zum kaum bedeutenden Justizminister degradiert. Als solcher ist er heute oberster Dienstherr des Ermittlungsverfahrens gegen Christian Wulff. Ein Treppenwitz.

Auch die wohl engste Beziehung im politischen Leben Christian Wulffs liegt in Trümmern: die zu Olaf Glaeseker, seinem ehemaligen Sprecher in Hannover und Berlin. Auf ihrem Weg nach oben, so schilderte es vor allem Wulff in ihrer gemeinsamen Zeit, seien die beiden geradezu miteinander verwachsen gewesen, er sprach von "siamesischen Zwillingen". Tatsächlich schien Glaeseker in diesen Jahren, in denen Wulff zum beliebtesten Politiker Deutschlands avancierte, stets alle Gedanken seines Chefs zu kennen.

Bei den ersten Begegnungen empfand der gelernte Journalist den Politiker noch als ungeschickt im Auftritt und zuweilen "kalt wie eine Fischpfote", wie man ihn später sagen hörte. Geschickt formte er das öffentliche Bild des charmanten Landesvaters. Glaesekers Frau Vera und er nannten Wulff, wenn sie intern von ihm sprachen, "Knödel", wohl weil er oft Silben verschluckte.

Gegen Glaeseker wird in einem eigenen Verfahren ermittelt, die Staatsanwaltschaft Hannover verdächtigt ihn, als niedersächsischer Regierungssprecher den Nord-Süd-Dialog im Sinne des Veranstalters Manfred Schmidt "gefällig gefördert" zu haben. Glaeseker soll aus seinem Büro heraus Sponsoren für die von Schmidt ausgerichtete niedersächsisch-baden-württembergische Supersause akquiriert und dafür unter anderem in Schmidts Villa in Spanien gratis Urlaub gemacht haben.

Beide Ermittlungsverfahren, das gegen Wulff und das gegen Glaeseker, werden wohl nicht mehr vor der niedersächsischen Landtagswahl am 20. Januar abgeschlossen sein. Zu komplex sind die Akten. Obwohl beide, Wulff und Glaeseker, erwarten, dass keine Verfahren gegen sie eröffnet werden, wird möglicherweise erst ein Gericht klären müssen, wie in dieser Enge von Politik und Wirtschaft, in der sie operierten, Freundschaft funktioniert.

Alte Freunde fühlen sich verraten

Den Fachbegriff hat Glaesekers Anwalt Guido Frings bereits eingeführt, "Beziehungsüberhang" lautet er. Gemeint ist damit, dass die 15 Jahre alte Freundschaft zwischen seinem Mandanten und dem Unternehmer Manfred Schmidt so eng gewesen sei, dass die Urlaube Glaesekers bei Schmidt reine Privatsache gewesen sein müssen. Wie unter Freunden eben üblich.

Das ist sicher die spannendste Interpretation des Begriffs Freundschaft. Dass Dienst Dienst und Schnaps Schnaps ist, dass beim Geld die Freundschaft aufhört, wären demnach nur Sprüche fürs Poesiealbum. Man muss nur dicke genug miteinander sein und das auch beweisen können.

Auch das Bild der siamesischen Zwillinge Wulff/Glaeseker taucht heute in den Akten wieder auf. Glaesekers Anwalt Frings erinnert in seiner Stellungnahme daran, um eine Aussage Wulffs im Verfahren gegen Glaeseker als "lebensfremd" einzuordnen. Wulff hatte als Zeuge ausgesagt, dass Glaeseker während seiner Urlaube für ihn nicht erreichbar gewesen sei. Deshalb habe er auch nicht gewusst, dass sein Sprecher bei Partymacher Schmidt urlaubte.

Man kann nur ahnen, dass die beiden viel übereinander wissen, vielleicht zu viel für einen Rosenkrieg. Glaeseker spricht von Wulff heute angeblich nur noch "von meinem früheren Dienstherrn", fühlt sich enttäuscht und verraten. Zwischen beiden gebe es seit Monaten keinerlei Kontakt mehr, heißt es.

Während Christian Wulff die Spuren dieses Jahres gar nicht verbergen könnte, erscheint Glaeseker äußerlich unverändert. Er hat kaum Gewicht verloren und daheim in Steinhude bei Hannover einen festen Freundeskreis, der ihn trägt; es ist ihm wichtig, dass niemand glaubt, die Sache habe ihn aus der Bahn geworfen. Nach ein paar Monaten der Zurückhaltung agiert er jetzt fast wieder wie früher, als er im Hintergrund den Journalisten die Anliegen Wulffs einflüsterte, wie ein Bauchredner der Macht. Alle hörten, was er sagen wollte, niemand sah ihn. Auch jetzt gibt es Glaeseker öffentlich nicht, aber seine Sicht der Dinge taucht nach und nach in Geschichten über die Affäre auf.

Immer häufiger ist in Hannover nun zu hören, dass Wulff und Glaeseker - da hätten sie immerhin noch etwas gemeinsam - sich beide als Opfer eines unnötig in die Länge gezogenen politischen Verfahrens sehen, gesteuert vom Justizministerium unter Busemann, um alte Rechnungen zu begleichen. Die Staatsanwaltschaft wehrt sich. Die Dauer des Verfahrens entspreche dem normalen Maß in Korruptionsangelegenheiten. Was die Summen angeht, sind es für viele Beobachter Kleinigkeiten, die Christian Wulff und auch Olaf Glaeseker vorgeworfen werden. Nichts, was sie reich gemacht hätte. Doch ist die Höhe der Beträge für das Team um Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer irrelevant. Für sie wäre es nicht weniger verwerflich, wenn der Staatswille für kleines Geld verfälscht wird.

Und auch, dass in diesen Verfahren so viel von Freundschaft die Rede ist, lässt einen Korruptionsexperten wie Eimterbäumer kalt. Es ist eher der Normalfall, dass die Täter in solchen Verfahren sich sympathisch finden, oft seit zwanzig oder dreißig Jahren befreundet sind. Auch Freunde können einander bestechen.

So ein Prozess unter lauter "Freunden": Man könnte sogar verstehen, wenn weder Glaeseker noch Wulff das wollten.

© SZ vom 29.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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