Hugo Chávez:Kranker Mann von Caracas

Hugo Chávez' Gesundheit wird für seine Genossen zur Schicksalsfrage. Von Venezuelas Petrodollars hängen viele andere Regime ab - nicht nur in der südamerikanischen Nachbarschaft, sondern auch in Syrien und Iran.

Ein Kommentar von Peter Burghardt

Venezuelas Bürger schauen seit Wochen nach Kuba, wo ihr Präsident Hugo Chávez behandelt wird. Vielleicht liegt der Staatschef dort - nach seiner inzwischen vierten Krebsoperation - im Sterben. Vielleicht überlebt Chávez auch, muss sich aber trotzdem von seinem Amt zurückziehen wie sein greiser Mentor Fidel Castro. Die Einzelheiten kennen nur Ärzte und Vertraute. Alle anderen rätseln, ob und wie Chávez am 10. Januar seine vierte Amtszeit antreten kann. Sie fragen sich, was ohne Chávez aus dem "Chavismus" wird; ob Vizepräsident Nicolás Maduro das Amt übernimmt oder dem Land Machtkämpfe bevorstehen. Und die Unsicherheit geht weit über Venezuela hinaus.

Noch ist der kranke Mann aus Caracas in der Region richtungsweisend für Freund und Feind. An Hugo Chávez scheiden sich die Geister. Mit ihm begann der neue Linksruck in Südamerika. Niemand in dieser Weltgegend fasste die Unzufriedenheit mit den USA und der amerikanischen Wirtschaftsordnung in markigere Reden als er. Seit 1999 wurde der frühere Offizier zum Rächer der Enterbten, in rotem Hemd, dunklem Anzug oder olivgrüner Uniform. Zuletzt klangen seine Tiraden zwar verbraucht, doch anders als der Comandante Castro hat der Comandante Chávez einen mächtigen Verbündeten: Öl. Das macht seine Gesundheit für seine Genossen zur Schicksalsfrage.

Venezuela sitzt auf den größten Ölvorkommen des Westens, der hohe Ölpreis spült Milliarden in die Kassen des Regimes. Venezuela ist ein Saudi-Arabien an der Karibik, allerdings mit mehr Slums. Der Widerspruch von natürlichem Reichtum und struktureller Armut brachte den Sozialrevolutionär Chávez an die Staatsspitze und machte ihn stark. Er verteilt Petrodollars an die zuvor missachteten Armen - und in seinem Machtzirkel. Er schuf sich so ein Machtfundament, gegen das kein Herausforderer eine Chance hatte. Es gelang ihm sogar, auf die USA zu schimpfen und den USA gleichzeitig viel Öl zu verkaufen. Darüber hinaus schmiedete er mit amerikanischem Geld und antiamerikanischer Propaganda Allianzen in aller Welt.

Kuba hängt inzwischen an Venezuelas Tropf wie einst am sowjetischen, Chávez war für die Castros ein Glücksfall. Boliviens Präsident Evo Morales und Rafael Correa in Ecuador gewannen im Windschatten von Chávez ihre Wahlen. Der Kleptomane Daniel Ortega schaffte in Nicaragua mithilfe des Freundes in Venezuela ein Comeback, auch Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ist seine Genossin. Sie alle fürchten, dass es ohne Chávez oder einen verlässlichen Nachfolger auch für sie ungemütlich wird.

Diese Sorge einer überwiegend demokratischen Politikerriege in der Nachbarschaft teilen finstere Gestalten an weiter entfernten Orten. Der Iraner Mahmud Ahmadinedschad schätzt Chávez als Partner im (geografischen) Westen, ebenso der Weißrusse Alexander Lukaschenko. Auch Syriens Diktator Baschar al-Assad findet in der venezolanischen Führung eine der wenigen Regierungen, die ihn zumindest offiziell für einen Ehrenmann und die Rebellen für Terroristen hält. Es hieß sogar, al-Assad wolle sich mit seiner Familie nach Venezuela absetzen. Für solche Leute wird es ohne Chávez noch einsamer werden.

Die Chavisten versuchen derweil, die Erbfolge zu regeln, was kompliziert werden dürfte. Niemand besitzt das Charisma des einstigen Fallschirmjägers. Der hat zwar seinen Stellvertreter Maduro zum Statthalter ernannt, aber interne und externe Rivalen gehen in Stellung. Zu Hause könnten politische Köpfe in der Armee den Übergang regeln, in der Umgebung will das umsichtige Brasilien für Ruhe sorgen. Für Hugo Chávez ist es eine tragische Ironie des Schicksals, dass ihn kein Gegner besiegen konnte. Aber wohl der Tumor.

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