Mord an kurdischen Aktivistinnen:Abrechnung in Paris

Rue la Fayette, Hausnummer 147: Freunde entdecken die Leichen von drei getöteten kurdischen Aktivistinnen, sie wurden regelrecht hingerichtet. Wer steckt hinter den Morden, wer hat ein Interesse am Tod der Frauen? Die Kurden sagen, der türkische Staat habe die Hände im Spiel, der Täter könnte aber auch aus den eigenen Reihen kommen.

Von Frederik Obermaier und Christiane Schlötzer

Die Schüsse fielen nach Sonnenuntergang, sie trafen die drei Frauen in Kopf, Nacken und Bauch. Als Freunde sie später im Kurdischen Informationszentrum unweit vom Pariser Bahnhof Gare du Nord fanden, waren sie bereits tot. Die Polizei sprach später von einer regelrechten "Hinrichtung".

Vieles spricht für einen Mord mit politischem Hintergrund. Denn die drei getöteten Frauen waren kurdische Aktivistinnen. Eine von ihnen, die 54-jährige Sakine Cansiz, war Mitgründerin der kurdischen Arbeiterpartei PKK, und genau mit dieser von der EU als Terrororganisation eingestuften Gruppe verhandelt die türkische Regierung derzeit über einen Friedensschluss. Viele Seiten haben ein Interesse, die Gespräche zu sabotieren. Etwa mit einem Mord.

Die drei Frauen hatten sich nach Zeugenaussagen am Mittwochnachmittag im Kurdischen Informationszentrum im Norden der Pariser Innenstadt getroffen. Danach wollten sie eine befreundete Familie besuchen. Sie kamen jedoch nie an. Mehrere Kurden, die sich Sorgen um die drei Frauen machten, fuhren in die Rue Lafayette, zur Hausnummer 147, dem Kurdischen Informationszentrum.

Blutspuren an der Tür

Im ersten Stock des Gebäudes entdeckten sie nach Angaben von Beteiligten Blutspuren an einer Tür. Kurz nach ein Uhr nachts brachen sie das Schloss auf und fanden die Leichen von Fidan Dogan, der Leiterin des Zentrums und Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses (KNK), von einer jungen Aktivistin namens Leyla Söylemez sowie von Sakine Cansiz, in PKK-Kreisen auch unter ihrem einstigen Kampfnamen "Sara" bekannt.

1978 hatte die Frau mit den markanten roten Haaren zusammen mit Abdullah Öcalan und anderen kurdischen Studenten die PKK gegründet. Ziel war ein eigener Kurdenstaat. Bereits ein Jahr später wurde Cansiz festgenommen. Sie saß zwölf Jahre in einem berüchtigten Gefängnis in der Kurdenmetropole Diyarbakir ein, wo sie gefoltert wurde. Nach ihrer Freilassung gewährte ihr Frankreich politisches Asyl. Von dort aus engagierte sie sich europaweit für die kurdischen Interessen und die der PKK.

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Ein Portrait der ermordeten Aktivistin Sakine Cansiz: Sie hatte die PKK mit begründet.

(Foto: AFP)

2007 wurde Cansiz in Hamburg festgenommen. Die Türkei hatte sie per internationalem Haftbefehl suchen lassen. Hunderte Kurden protestierten damals vor dem Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Wenige Tage später wurde die Aktivistin freigelassen. Die Kontakte nach Deutschland blieben bestehen. So soll Cansiz noch im Dezember in der Bundesrepublik gewesen sein, wie aus Kreisen deutscher Kurden zu erfahren war. Sie soll an einer Feier zum Gründungsjahrestag der PKK teilgenommen haben und im niederbayerischen Landshut eine Beerdigung besucht haben. Und sie wollte offenbar bald wieder kommen: Sie habe bereits eine Bahnfahrkarte nach Deutschland gehabt, sagte ein Mitarbeiter des kurdischen Zentrums. Ihr Mörder kam Cansiz jedoch zuvor.

Tod könnte Friedensverhandlungen gefährden

Die Nachricht von ihrem Tod verbreitete sich schnell unter den Kurden im europäischen Exil. In Pressemitteilungen wird sie als "die Symbolfigur des kurdischen Frauenfreiheitskampfes" gepriesen. Bereits in den Morgenstunden versammelten sich in Paris Hunderte Menschen vor dem Tatort in der Rue la Fayette. Sie schwenkten Fahnen in den kurdischen Nationalfarben und skandierten "Wir sind alle PKK".

Der Europachef der in Deutschland verbotenen PKK, Zübeyir Aydar, sprach in einer ersten Stellungnahme von einem "schmutzigen Spiel" sowie einem "Angriff von dunklen Kräften", gemeint war offenbar der türkische Staat. Französische Kurdengruppen sowie die türkische Kurdenpartei BDP riefen noch am Donnerstag zu Protesten auf.

Mord an kurdischen Aktivistinnen: "Wir sind alle PKK": Kurden gehen in Paris nach dem Tod der drei Aktivistinnen auf die Straße.

"Wir sind alle PKK": Kurden gehen in Paris nach dem Tod der drei Aktivistinnen auf die Straße.

(Foto: AFP)

Der Tod der drei Frauen könnte die Verhandlungen zwischen dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan und dem türkischen Geheimdienst ernsthaft gefährden. Zuletzt waren sie nach Angaben türkischer Medien weit fortgeschritten. Gar von einem Durchbruch, der bevorstehenden Entwaffnung der PKK, war die Rede.

Viele Kurden jedoch misstrauen der türkischen Regierung, vermuten ein taktisches Manöver. Nun verdächtigen sie den türkischen Staat, beim Tod der drei Kurdinnen die Finger im Spiel zu haben. "Türkei Mörderin", riefen Demonstranten in Paris. Der Täter habe eine Pistole mit Schalldämpfer verwendet, hieß es; das spreche für einen Profikiller. Der "tiefe Staat" - ein Konglomerat türkischer Sicherheitskräfte, die in den vergangenen Jahrzehnten mutmaßliche Staatsfeinde ermordet haben - stecke womöglich dahinter.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan rief zur Ruhe auf. Die Ermittlungen müssten abgewartet werden. Es könne sich um eine "versuchte Provokation" handeln, die sich gegen die Kurdenpolitik seiner Regierung richte - oder um eine blutige Abrechnung in der PKK.

Tatsächlich soll Cansiz in der Gruppe umstritten gewesen sein. Sie war offenbar Verfechterin einer friedlichen Lösung des Konflikts mit der türkischen Regierung. Vom bewaffneten Kampf soll sich die Frau, die alte Bilder in olivgrüner Tarnuniform zeigen, schon vor Jahren abgewandt haben. Von einem Streit mit hochrangigen PKK-Kommandeuren ist die Rede.

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