Einkommen aus Pfand:Goldgräberstimmung beim Flaschensammeln

EDUARD LUENING FLASCHENSAMMELN - MIT DOSENPFAND ZUM WOHNMOBIL

Eduard Lüning bei der Arbeit.

(Foto: Volker Wiciok)

Er verdient so viel damit, dass er Steuern zahlen muss: Pfandsammler Eduard Lüning sieht mit einem Blick, in welchem Mülleimer die deutschen "Goldschätzchen" stecken - oder ob es nur wertlose Dosen aus Holland sind. Doch bald könnten Konkurrenz und Sammelverbote ihn zwingen, anderweitig Geld zu verdienen.

Von Gabriele Meister, Münster

Der Brief vom Finanzamt kommt im Frühjahr 2011. Wie viel Eduard Lüning denn eigentlich verdiene mit seiner Sammelei, will das Amt wissen. Wahrscheinlich hatte einer der Beamten Lünings Buch "Mit Dosenpfand zum Wohnmobil" gelesen und gedacht: Wer Autos kaufen kann, der ist auch steuerpflichtig.

Auf dem Finanzamt erwartet Lüning ein freundlicher Herr mit einem Veranlagungsformular. "Damit war ich total überfordert. Also habe ich den Typ gebeten, den Kram für mich auszufüllen", sagt Lüning. Prompt folgt die Quittung: Zwar hält sich die Steuernachzahlung in Grenzen, dafür will die Rentenversicherung 4000 Euro zurückhaben und ihm in Zukunft die Erwerbsunfähigkeits-Rente streichen. "Ich wollte doch nur Flaschen sammeln. Es kann doch nicht sein, dass ich zum Sozialfall werde, bloß weil ich zu ein bisschen Geld gekommen bin", sagt Lüning.

Es klingt trotzig. Mit seinen breiten Schultern und den raspelkurzen Haaren wirkt er wie der starke Mann aus der Meister-Proper-Werbung, nicht wie einer, der alles mitmacht. Seinem Rentenbescheid konnte er mit ärztlichen Gutachten, dem Steuerbescheid mit einer Steuerberaterin widersprechen.

"Ich wusste nicht, wer ich bin und was ich will"

Trotzdem gibt es ein paar solcher Situationen in Lünings Leben, über die er sagt, er sei ,naiv' gewesen, zum Beispiel als er Insolvenz anmelden musste, weil er gedankenlos einen Ausbildungsvertrag bei einer Heilpraktikerschule unterschrieben hatte, aus dem er nicht mehr rauskam. "Ich wusste einfach nicht, wer ich bin und was ich will", sagt Lüning.

Vielleicht ist das der Schlüsselsatz im Leben von Eduard Lüning - Lüning, dem Bauarbeiter und Taxifahrer, Lüning, dem Rentenversicherungs-Azubi, dem Student, Sozialarbeiter, Straßenmagazinverkäufer, Totengräber - und seit acht Jahren Lüning, dem Pfandsammler. Erst bei dieser Aufzählung fällt auf, dass Lüning schon 51 Jahre alt ist.

Begonnen hat alles in einer Frühlingsnacht. Wie immer haben ihn die Depressionen nicht schlafen lassen. Seine Freundin hat ihn verlassen und ist mit dem gemeinsamen Baby zu einem Chefarzt gezogen, auch in der Arbeit gibt es Probleme. "Einer, der selbst keinen Plan hat, sollte schwierige Jugendliche fit machen. Das konnte nicht gut gehen", sagt Lüning. Er kündigt seinen Sozialarbeiter-Job, schläft im Auto, beginnt eine Therapie.

"Dieser Mann verkörperte für mich Abenteuer"

Im Halbdunkel der Straßenlaternen sieht er eine Gestalt mit einer Taschenlampe, die nach etwas zu suchen scheint. Lüning beobachtet den Mann eine Weile, dann spricht er ihn an. Er grabe in Gelben Säcken nach Pfandflaschen, sagt er. "Dieser Mann verkörperte für mich Abenteuer", sagt Lüning. Eine "verkrachte Existenz", mit der er sich sofort verbunden gefühlt habe. ",Das kannst du auch!', habe ich gedacht."

Und wie Lüning das kann. Am Wochenende, wenn Züge mit Fußballfans in Münster halten, schlängelt er sich zwischen den Aussteigenden in einen Waggon und springt leichtfüßig wie eine Raubkatze von Mülleimer zu Mülleimer. Mit einem Blick hat er erfasst, ob es sich bei der Beute um ein deutsches "Goldschätzchen" handelt oder um eine wertlose Dose aus Holland. Nach drei Minuten ist er wieder draußen und seine Plastiktasche voll. Etwa 7000 Euro verdient er auf diese Weise pro Jahr. Bei Festivals, seiner Haupteinnahmequelle, kommen sogar bis zu 13.000 Euro zusammen. "Es fasziniert mich, dass man aus dem Dreck anderer Geld machen kann", sagt er.

Schnelligkeit ist das Wichtigste im erbitterten Kampf um das Leergut: In jeden Zug steigen mindestens noch fünf Kollegen. Lüning kennt sie alle: Olli, Dennis, "Einstein", den alle wegen seiner Frisur so nennen . . .

Manchmal fährt Lüning ein paar Stationen Richtung Fußballstadion, um einen Vorsprung zu haben. Doch heute Abend sind auch Dennis und Klaus auf diese Idee gekommen. Sie sind nicht gut auf Lüning zu sprechen. Er mache der Öffentlichkeit weis, dass man mit Pfandsammeln reich werden könne. Dabei lebe er ja gar nicht davon. Zumindest teilweise haben sie recht damit: Lüning hat eine Rente. Daneben bekommt er noch Geld von seiner Lebensversicherung. Zusammen macht das 900 Euro pro Monat.

Vorsichtshalber steigt Lüning wie Klaus und Dennis in Davensberg aus statt wie geplant noch eine Station weiter in Richtung Stadion zu fahren. Er will kein Kollegenschwein sein. Neider hat er genug. Lieber empfiehlt er ihnen, sich im nächsten Sommer einen Anhänger zu mieten und auch zu den Festivals zu kommen. Da sei im Gegensatz zum Bahnhof genug für alle da. Wenigstens für Klaus kommt das aber nicht in Frage. Er hat nämlich einen unbefristeten Job, mit dem er 1600 Euro im Monat verdient. Da kann er nicht einfach wegen Festivals drei Monate Urlaub nehmen. Außerdem ist ihm die Sammelei unangenehm. Man soll nicht schreiben, wie er aussieht oder gar wie er richtig heißt. "Warum sammelst du dann überhaupt?", fragt Lüning. "Das kickt einfach. Das ist fast so, als würdest du überall Geld liegen sehen", sagt Klaus. Es soll nach Goldgräberlust klingen. Doch irgendwann fällt die Fassade. Mindestens 200 Euro verspiele er pro Monat, sagt er. Dazu kämen noch etwa 150 Euro für Zigaretten. Lüning beschwört ihn, bloß auf seinen Job aufzupassen und am besten bald eine Therapie zu beginnen.

Während die beiden noch über Sammelplätze und -methoden fachsimpeln, hat Dennis, Klaus' Kompagnon, still zugehört. Insgeheim scheint er zu wissen, dass er mit Mitte 20 lieber eine Ausbildung anfangen sollte statt zu sammeln. Doch wo? Er vergräbt die Hände in den Taschen seiner schwarzen Trainingsjacke und guckt zu Boden. Dann rollt der Zug mit den Dortmundfans in das Halbdunkel der winzigen Bahnstation und lässt die drei wieder zu Konkurrenten werden.

Bahnpersonal schickt Flaschensammler weg

"Fast jeder Flaschensammler hat ein Problem", sagt Lüning später, als wolle er mit diesem Satz eine Wand zwischen sich und seine Kollegen stellen. Für ihn sei es Spiel, aber für einige gehe es ums "nackte Überleben". Auf Festivals haben die Dosen schon organisierte Banden angelockt, die auch Handys und Portemonnaies aus den Zelten klauen. Deshalb ist Pfandsammeln bei einigen Festivals wie Area4 und Summerjam inzwischen verboten.

Vielleicht wird das neue Wohnmobil, das Lüning sich vor kurzem vom Pfandgeld gekauft hat, sein letztes sein. Auch in manchen Zügen und Bahnhöfen schickt das Bahnpersonal inzwischen rigoros Flaschensammler weg. Zu viele haben auf den Bahnsteigen Bier ausgeleert und Müll in die Abteile geschmissen. Lüning gibt sich trotzdem unbekümmert: "Wenn sie die Sammelei ganz verbieten, wird mir schon irgendwas anderes einfallen."

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