Missbrauch an der Odenwaldschule:Verhandeln im Klima des Misstrauens

Odenwaldschule: Streit um Aufarbeitung des MIssbrauchsskandals

Die Odenwaldschule: 2011 hängten Betroffene Mahntafeln auf.

(Foto: dpa)

Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals ringen Vertreter der Odenwaldschule und der Opfer seit Jahren um Entschädigungen und die Besetzung eines wissenschaftlichen Beirats. Nun könnten sich die Parteien endlich zu einem Kompromiss durchringen.

Von Tanjev Schultz

Geteiltes Leid ist halbes Leid, heißt es. Aber wirklich tröstlich ist es für die Betroffenen nicht, dass die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals nicht nur bei der katholischen Kirche zäh und konfliktreich verläuft. Auch die Odenwaldschule, das berühmte und nun berüchtigte Internat im hessischen Heppenheim, tut sich schwer. Vertreter der Schule und der Opfer ringen um Entschädigungszahlungen und um die Besetzung eines wissenschaftlichen Beirats. Der hessische Landtagsabgeordnete Marcus Bocklet (Grüne) versucht, zwischen beiden Seiten zu vermitteln. An diesem Dienstag könnte der Durchbruch zu einem Kompromiss gelingen.

Ein Streitpunkt war zuletzt der Beirat, der die Fälle sexueller Gewalt und die Umstände, die sie ermöglicht haben, untersuchen lassen soll. Wie heikel das ist, hat zuletzt die katholische Kirche erfahren, deren Zusammenarbeit mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer vorige Woche in Unfrieden endete, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte.

Die private, konfessionell ungebundene Odenwaldschule will sich nicht wie die Kirche den Vorwurf von Zensur einhandeln. Bei dem Beirat lege sie Wert auf die Unabhängigkeit der Mitglieder, teilte die Schule mit. Sie halte wenig davon, Interessenvertreter der Opfer in dem Gremium zuzulassen. Das war für die Opfervereinigung "Glasbrechen" ein Affront. Sie will eine ehemalige Schülerin in den Beirat entsenden. Außerdem hat der Verein unter anderem die Präventionsexpertin Julia von Weiler vorgeschlagen.

Die Schule und der Verein "Glasbrechen" sind sich in den vergangenen Monaten mit großem Misstrauen begegnet, nicht zuletzt bei Verhandlungen über Entschädigungen. Der Vorsitzende von "Glasbrechen", Adrian Koerfer, spricht von einem "arroganten Verhalten" der Schule.

In einem gemeinsamen Brief greifen vier ehemalige Lehrer und Mitarbeiter das Internat ebenfalls an. Sie beklagen ein "Herumlavieren der Odenwaldschule" und den "Versuch des Aussitzens". Gemessen am Ausmaß der Taten gebe es bisher nur eine "rudimentäre finanzielle Unterstützung" für die Betroffenen.

Die Schule, derzeit geleitet von Katrin Höhmann und Roland Kubitza, verwies dagegen auf ihre Stiftung "Brücken bauen", die bereits 300.000 Euro an Betroffene gezahlt habe. Der Zugang zu Hilfen solle demnächst vereinfacht werden. Zusätzlich seien etwa 60.000 Euro an "Glasbrechen" geflossen, die um weitere 50.000 Euro ergänzt werden sollen.

Mindestens 132 Opfer

Die Bereitschaft zu dieser Zahlung wird vom Opferverein zwar begrüßt, aber als ein "schmerzhaft geringer Betrag" bezeichnet. Es gebe Betroffene, deren Lebenssituation extrem schwierig sei und die dringend Hilfe benötigten. Der Politiker Bocklet, der sich im Landtag auch um eine Petition der ehemaligen Schülerin kümmert, die Mitglied des Beirats werden soll, sondiert in mühsamen Gesprächen die Chancen für Kompromisse. Offenbar gibt es die Bereitschaft, sich zu bewegen. Wie haltbar eine Einigung wäre, ließe sich erst nach einigen Wochen beurteilen. Die Verletzungen sitzen tief, ein falsches Wort kann schnell alles wieder zunichte machen.

Die Schule hat in den vergangenen Monaten auf innere Reformen verwiesen. Sie will zeigen, dass sie aus den Missbrauchsfällen eine Lehre gezogen hat. Vor den Weihnachtsferien hat die Schulkonferenz beschlossen, dass bei Anzeichen eines sexuellen Übergriffs "grundsätzlich und ohne Rücksicht auf eine eventuelle Beeinträchtigung des öffentlichen Ansehens" die Polizei informiert werden müsse. Für Außenstehende ist überraschend, wie lange es gedauert hat, bis diese selbstverständlich wirkende Regel endlich eingeführt worden ist. Im Frühjahr 2010 war öffentlich bekannt geworden, dass sich vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren Lehrer immer wieder an Schülern vergangen haben, zum Teil auf brutale Weise.

Zwei von der Schule beauftragte Ermittlerinnen beziffern die Zahl der Opfer auf mindestens 132. Ein erster Aufklärungsversuch war 1999 gescheitert. Damals hatte der ehemalige Schüler Andreas Huckele, der bis vor Kurzem das Pseudonym Jürgen Dehmers benutzte, Übergriffe publik gemacht. Die Vorwürfe wurden aber zunächst weitgehend ignoriert. Huckele erhielt im November 2012 den Geschwister-Scholl-Preis. In seiner Dankesrede ging er kurz auf die aktuelle Lage ein: "Zur Odenwaldschule habe ich nicht mehr viel zu sagen, außer: Sperrt den Laden endlich zu!"

Der Appell traf bei ehemaligen und aktiven Schülern und Lehrern zum Teil auf Unverständnis. Einige sagen, das Internat habe sich längst gewandelt und gebessert. Die Internatsleitung hebt hervor, es werde nun ein "Vier-Augen-Prinzip" befolgt. Dieses soll gewährleisten, dass Schüler nicht mehr einem bestimmten Lehrer ausgeliefert sind. Beim Verein "Glasbrechen" heißt es, das Prinzip werde in der Schule keineswegs konsequent umgesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: