FDP-Parteichef Rösler in Niedersachsen:Überlebenskampf im Heimaturlaub

Kleiner Parteitag der FDP

Rösler wird auf dem kleinen Parteitag der FDP im niedersächsichen Verden von den Delegierten mit Applaus empfangen.

(Foto: dpa)

FDP-Chef Rösler ist in Niedersachsen aufgewachsen. Nun kehrt er zurück, um Wahlkampf zu machen. Es geht um die Zukunft der Liberalen im Landtag, aber auch um seine. Es geht ums Überleben als Parteichef.

Von Jens Schneider

Nun könnte Philipp Rösler den jungen Parteifreund auch mal wieder loslassen. Aber ein paar Sekunden hält ihn der FDP-Chef noch in seinen Armen. Er drückt ihn fest. Sie stehen eng umschlungen da. Dies könnte eine Szene auf einem Fernbahnhof sein, der FDP-Vorsitzende steht da wie der Rückkehrer aus einer Art Kriegsgebiet, erleichtert, endlich wieder bei seinen Leuten zu sein. Dort, wo er sein kann, wie er sein möchte. Wo viele in der Partei ihn seit Jahren kennen als: den netten Philipp.

Dabei ist das in Bissendorf, zwölf Kilometer vor Osnabrück, nur eine Art Heimaturlaub für den Bundeswirtschaftsminister, eine kurze Kur in der niedersächsischen Provinz, wo der 39-Jährige groß geworden ist und nun viel Kraft in den Landtagswahlkampf steckt. Er kämpft für seine alten Weggefährten, die um den Wiedereinzug in den Landtag bangen.

Wenn man mitgereiste Beobachter aus Berlin fragt, geht es hier für sie vor allem um Rösler selbst, dies soll sein politischer Überlebenskampf als Parteivorsitzender sein. Nur deshalb kommen Reporter, um die FDP in Bissendorf zu sehen. Und nun können alle sehen, wie Rösler sich an dieser heilen FDP-Welt labt. So viele alte Bekannte findet er auf und neben der Bühne im Gebäude des Unternehmens, eines Herstellers von Wintergärten. So viele, die er herzen möchte, duzen und beim Vornamen nennen. Da stehen reihenweise junge Burschen an, die mit Rösler fotografiert werden wollen. Auch für sie nimmt er sich alle Zeit, legt ihnen den Arm um die Schulter. Diese Jungs und er, sie sehen aus wie Abiturienten, bevor sie alle in die Welt hinaus müssen. Der Saal ist hinten längst leer, Rösler kostet die Situation weiter aus.

Dieses Heimspiel hat schon so gut angefangen. Auf dem Weg in die Provinz haben Rösler und Stefan Birkner, sein Nachfolger als Parteichef in Niedersachsen, erfahren, dass kurz vor dem Wahltermin am 20. Januar, also kommenden Sonntag, die Umfragen anziehen. Über Monate stand die FDP in Niedersachsen bei drei, bestenfalls mal bei vier Prozent. Wer sich im November oder Dezember mit Liberalen unterhielt, hörte defätistische Scherze über den bevorstehenden Untergang der Partei in Hannover, den Rösler durch seine Anwesenheit auch nicht drehen könnte. Es sei doch eh egal, wie sie verlören. Man stellte sich auf den Abschied aus der schwarz-gelben Regierung nach zehn Jahren ein, und es war keine Idee zu hören, wie sich die Notlage drehen ließe. Nun aber scheint sie sich von allein gedreht zu haben, die Liberalen können laut einzelnen Umfragen in Niedersachsen wieder mit fünf Prozent rechnen.

Gefülltes Atrium beim Hersteller von Wintergärten

Dazu soll dann auch passen, dass es den Parteifreunden in Osnabrück gelungen ist, das Atrium des Herstellers von Wintergärten richtig dicht zu füllen. Nun ja, sie beherrschen neuerdings in den Parteien auch die Kunst der Verknappung. Erst mal sucht man eben einen eher kleineren Saal, stellt dann nicht gleich alle Stühle bereit, holt im letzten Moment dann die Reserve hervor, und kann am Ende stolz sagen, dass sogar viele Leute stehen mussten.

Der Auftritt in Bissendorf sollte in diesem Wahlkampf besondere Aufmerksamkeit erfahren, weil mit Rösler auch Rainer Brüderle ins Verkaufshaus für Wintergärten kam, der FDP-Fraktionschef im Bundestag, der dem jungen Niedersachsen als Parteichef folgen könnte. Brüderle genießt es, den Raum bei seinem Auftritt mit einfachem rhetorischen Werkzeug in eine Art Bierzelt zu verwandeln. Die Zuhörer applaudieren heftig, einzelne jauchzen begeistert, als er eine Art Grundsatzrede des Jovial-Liberalismus bietet, mit unvermittelt lauten Eruptionen in der Lautstärke. Brüderle beklagt "lauter aufgeblasene Maikäfer" in Brüssel, warnt vor einer Rückkehr des Marxismus und schimpft über die Grünen als Tugendjakobiner, die den Menschen diktieren wollten, ob sie ein Kotelett, einen Hering oder eine Bio-Karotte essen dürfen.

Nebenher lobt Brüderle, gönnerhaft wie ein Großonkel, die Arbeit Röslers im Bundeskabinett. "Der Philipp ist der Wachstumsminister", sagt er leise, als ob es um eine geheime, aber hochwichtige Botschaft geht. Mehrmals platziert er so ein kleines Lob, immer geht es um den Parteichef als Minister.

Auch Rösler arbeitet sich in diesem Wahlkampf vor allem an den Grünen ab, mit Angriffen auf sie kann ein Liberaler heute die meisten Lacher bei seiner Stammkundschaft auslösen. Rösler berichtet den Anhängern, das häufigste Wort in Wahlprogrammen der Grünen sei das Verb "müssen". Die Programme der grünen Konkurrenz seien eine Art "Hausordnung für eine grüne Besserungsanstalt".

Berlin scheint Rösler das Unverstellte genommen zu haben

Er spricht wenig über Bundespolitik, mehr über die Regierungsbilanz in seinem Heimatland, wo die FDP seit zehn Jahren mitregiert. Er trägt sicher vor, nicht so fremdelnd wie beim Dreikönigstreffen der Liberalen. Die Brisanz dieses Wahlkampfs erwähnt er nur in den letzten Sätzen. "Ja, Niedersachsen ist mein Zuhause, und meine Heimat", sagt Rösler. "Meine zweite Heimat die FDP. Darum geht es auch."

Dies ist seine Welt, aus der er 2009 gerissen wurde, als die FDP-Spitze Rösler als unverbrauchtes Talent ins Bundeskabinett holte. Der junge Arzt war hier schon im Jahr seines Abiturs 1992 in die FDP eingetreten, wurde schnell Landesvorsitzender der Jungen Liberalen und zog 2003 in den Landtag ein. Vor fünf Jahren, nach der Landtagswahl, war er ein noch sehr junger Fraktionschef, der mit einem feinen Gespür für menschliche Abgründe erklären konnte, warum das wichtigtuerische politische Berlin für ihn nichts wäre, niemals. Politik war für ihn Spaß, mit lauter jungen Weggefährten um ihn herum in der Fraktion. Rösler sprach fast phrasenfrei damals. Er wirkte untaktisch, setzte auf menschliche Begegnungen. Dieses Unverstellte scheint Berlin ihm genommen zu haben.

In Niedersachsen gab es nie die Bestrebung, sich von ihm abzusetzen. Einige der alten Gefährten haben gesehen, dass er ihnen vielleicht wenig helfen würde. Aber wenn überhaupt, so zogen sie daraus nur die Konsequenz, Stefan Birkner weiter nach vorn zu schieben. Der Jurist wird noch mehr als Rösler in Niedersachsen in den Mittelpunkt des Wahlkampfs der FDP gestellt, und das obwohl er - immerhin Umweltminister des Landes - den Umfragen zufolge kaum bekannt ist. Der ausgesprochen sachliche Birkner hat in Abstimmung mit Regierungschef David McAllister einen behutsamen, aber höchst bedeutenden Kurswechsel in der Atompolitik vollzogen. Während frühere schwarz-gelbe Regierungen sich uneingeschränkt für ein atomares Endlager in Gorleben im Wendland aussprachen, wollen McAllister und Birkner eine neue Endlagersuche, auch jenseits von Gorleben. Birkners Rolle dabei ist freilich vor allem Experten aufgefallen.

"Beste FDP-CDU-Koalition bundesweit"

Im Wahlkampf beschwört er nun Verdienste der Regierung bei Wirtschaft und Finanzen, den beginnenden Schuldenabbau, die gesunkene Arbeitslosigkeit, das Wachstum der Unternehmen. Dabei agierte der zweite Liberale in McAllisters Kabinett, Wirtschaftsminister Jörg Bode, zuweilen glücklos. Die öffentlich starken Minister in diesem Kabinett waren Christdemokraten.

Also erklärt Spitzenkandidat Birkner es zur hohen Kunst dieser schwarz-gelben Regierung, dass CDU und FDP so geräuschlos und harmonisch miteinander regierten. Birkner nennt sie "die bestfunktionierendste FDP-CDU-Koalition bundesweit", als ob es außer dieser noch ein Dutzend gäbe. Man rechnet sich gegenseitig hoch an, in schwierigen Zeiten dem Partner zur Seite zu stehen. So war es, als die CDU von den Affären um Christian Wulff erschüttert wurde und die FDP sich meist vornehm zurückhielt. Nun hat McAllister die Liberalen überraschend auf ihrem kleinen Parteitag in Verden besucht. Er braucht sie, um weiter regieren zu können.

Auf der Zielgeraden forcieren die Liberalen ihre Kampagne um Zweitstimmen von CDU-Wählern und geben sich, als ob sie ein Comeback erleben, nachdem SPD und Grüne im letzten Sommer wie sichere Sieger aussahen. "Die Aufholjagd hat längst begonnen. Wir sitzen den Roten und den Grünen im Nacken", sagt Stefan Birkner. Für Rösler muss es ein schönes Gefühl sein, für ein paar Tage nicht der Gejagte zu sein.

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