Bundeswehr an Schulen:Kameraden im Klassenzimmer

Die Bundeswehr wirbt um Sympathie und Nachwuchs - und nutzt dafür auch einen Schießsimulator. Darf die Bundeswehr so vor Schülern auftreten und für sich werben? Kritiker befürchten, schon Kinder würden so "auf Kurs gebracht".

Johann Osel

Es sollte ein Informationstag über "marktgängige Berufe bei der Bundeswehr" werden, für den 50 Schüler des Berufsbildungszentrums Plön in Schleswig-Holstein kürzlich in die Heeresflugabwehrschule Todendorf gefahren waren. So hatte es zumindest - und zwar ausschließlich - im Konzept der Bundeswehr gestanden, das Schulleiter Axel Böhm im Vorfeld erhalten hatte. Dass neben kriegsfernen Berufen wie Mechaniker oder Bürokaufmann auch ein Schießsimulator eine Rolle spielen würde, ahnte vorher keiner.

Und erst recht nicht, dass die Schüler dort mit Handfeuerwaffen Zielübungen machen dürften, darunter - entgegen den Vorschriften der Bundeswehr - sogar Minderjährige. "Das war vorher nicht ersichtlich. Dafür hätte ich nie Unterrichtszeit bereitgestellt, wir wären nicht hingefahren", sagt Böhm heute. Einige Monate zuvor hatte ein Soldat, wie regionale Medien berichten, in einer anderen Kaserne vor begeisterten Achtklässlern aus Ostholstein geprahlt, als er das computeranimierte Schieß-Kino vorführte: "Tausend Mal besser als die Spielkonsole zu Hause."

Dies sind - nach jetzigem Stand - Einzelfälle, doch sie befeuern eine Grundsatzfrage: Wie darf die Bundeswehr in Schulen auftreten und somit auch in gewisser Weise für sich selbst werben? Jüngst haben die Kultusminister von fünf Bundesländern mit der Bundeswehr Rahmenabkommen geschlossen, mit denen die Armee offizieller Bildungspartner wird: für Vorträge von Jugendoffizieren, für Lehrer-Schulungen in Sicherheitsfragen oder Exkursionen in Kasernen. Etwa in Rheinland-Pfalz, wo das Ministerium aber ausdrücklich betont, man intensiviere auch den Kontakt zu Kirchen oder Friedensdiensten, um "einen gleichberechtigten Beitrag zur Demokratieerziehung" zu ermöglichen.

Neben Rheinland-Pfalz handelt es sich nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung um das Saarland, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. In Hessen wird derzeit intern an einer solchen Vereinbarung gearbeitet, in Bayern "das sehr hochwertige Angebot" geprüft, heißt es.

Thema Sicherheit in den Schulen unterentwickelt

"Wir stellen seit Jahren fest, dass das Thema Sicherheit und Verteidigung in den Schulen unterentwickelt ist", sagt ein Bundeswehrsprecher. Es gehe um ein "gesellschaftliches Signal", um den klassischen Auftrag der politischen Bildung. Man wolle die Lehrer unterstützen und "entlasten" und dabei auch "durchaus selbstkritisch" sein. Berufsmöglichkeiten würden nur dann erörtert, wenn dies von der Schule so gewünscht werde. Gerade bei den Jugendoffizieren gehöre Nachwuchsfindung absolut nicht zu den Aufgaben. Vielleicht zeige aufgrund der Informationen jemand Interesse für die Bundeswehr und lasse "sich animieren" - der Offizier gehe aber nicht aus diesem Grund in die Schulen.

Kritik von Friedensaktivisten

Anders sehen das Friedensaktivisten, so zum Beispiel die Informationsstelle Militarisierung in Tübingen. Sie beklagt in einer Analyse das verstärkte Engagement der Bundeswehr in diesem Bereich, spricht von einer "Eroberung der Schulen": Die Armee brauche "Nachwuchskräfte für die immer umfangreicheren Auslandseinsätze", schon die Kinder würden entsprechend "auf Kurs gebracht". Unterrichtsmaterialien, die von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden, beanspruchten die "militärische Deutungshoheit", auch Annoncen in Schülerzeitungen hätten zum Beispiel zugenommen. Am schärfsten geht die Informationsstelle allerdings mit den offiziellen Rahmenabkommen ins Gericht.

"Keine institutionelle Zusammenarbeit"

In Schleswig-Holstein, wo die Schüler in den Waffen-Simulator durften, gibt es so ein Abkommen jedoch nicht - ebenso wie zum Beispiel in Bremen, Brandenburg und Thüringen. Man wolle "keine institutionelle Zusammenarbeit", heißt es im Kultusministerium. Die Handhabung, ob man etwa Offiziere zu sich einladen will, bleibe jeder Schule selbst überlassen, sagte ein Sprecher des Ministeriums in Kiel. Die Bundeswehr sei ja schließlich "kein verfassungsfeindliches Organ". Ebenso halten es auch alle anderen Bundesländer, die kein Abkommen haben.

Die Bundeswehr räumte auch schnell ein, die Vorfälle in Schleswig-Holstein seien "ein klarer Verstoß gegen die Vorschriften" gewesen. "Das ist nicht das Bild, das wir vermitteln wollen." Doch viele Lehrer sind verunsichert, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben die Rahmenabkommen für hitzige Diskussionen unter den Pädagogen gesorgt.

Und auch grundsätzliche Zweifel an Soldaten in Schulen mehren sich: Die Jugend der Bildungsgewerkschaft GEW hat einen Aufruf "Schulen ohne Bundeswehr" gestartet, auf der Liste finden sich Prominente wie der Journalist und Schriftsteller Günter Wallraff. Gemäßigte Kritiker schlagen vor, die Kooperationen zumindest nicht verpflichtend für die Schüler zu machen. Wer nicht an der Veranstaltung seiner Schulklasse teilnehmen will, soll dem Unterricht an diesem Tag fernbleiben dürfen.

Gegenwind kommt auch aus dem Land Berlin, wo ohne ein Rahmenabkommen seit 2007 Vorträge von Jugendoffizieren an 98 Schulen stattgefunden haben. Der Berliner Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich kritisiert "einseitige Informationsveranstaltungen der Bundeswehr" im Schulunterricht. "Krieg und Frieden müssen sachgerecht diskutiert werden", sagt er, doch bei den Veranstaltungen könne oft nur schwer zwischen direkten Anwerbeversuchen und generellen Informationen über die Aufgabe der Bundeswehr unterschieden werden. Das Mitglied des Landesvorstands der Berliner Linken, Sebastian Schlüsselburg, fordert mehr "Fingerspitzengefühl". Die Wahrscheinlichkeit der Einflussnahme sei durch die Jugendoffiziere sehr hoch, da nur in seltenen Fällen auch Zivildienstbeauftragte an den Schulen zu Wort kämen.

Auch bei den Umworbenen selbst gibt es mehr als nur Bedenken: Die Landesschülervertretung Berlin hat an diesem Freitag zu einer Protestkundgebung an einem Zehlendorfer Gymnasium aufgerufen. Dort sollen bei einem Berufsberatungstag auch Bundeswehr-Offiziere auftreten. An einer Schule in Berlin-Steglitz fand im November ein Vortrag gar unter Polizeischutz statt, nachdem es zuvor Drohungen im Internet gegeben hatte. Online mehren sich aber auch Stimmen, die das Thema gelassen sehen. Eine, aufgeschnappt in einem Internet-Forum, lautet zum Beispiel: "Was erwartet man denn bitte von der Bundeswehr: meditative Übungen, pazifistische Exkurse oder Häkeln und Stricken?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: