In diesem Jahr verschwindet ein Apparat vom Markt, mit dem ganze Generationen aufgewachsen sind. Der Fernseher der alten Art war ein raumgreifendes Möbelstück, das Familien vereinte und im Streit trennte. Nun hat der Röhrenfernseher ausgedient, die Elektronikgeschäfte streichen ihn aus ihrem Sortiment - nur noch 64.000 Geräte wurden im ersten Quartal 2009 verkauft. Stattdessen wird mit technisch immer anspruchsvolleren LCD- und Plasma-Geräten sehr viel Geld verdient. SZ-Autoren erinnern sich an die Ära vor dem Flachbildschirm, als der Fernseher noch eine Monopolstellung hatte und so richtig flimmerte.
Implosion bei Visconti - was für ein schöner Tod
Der Grundig-Röhren-Fernseher stand bei meiner Großmutter, er war eine Art Altar in der Parterre-Wohnung einer großen, alten Dame. Über ihm hing eine Alpenmalerei aus den dreißiger Jahren, und auf ihm fanden sich ein kleiner Dual-Plattenspieler, eine Schale, randvoll gefüllt mit Ricola-Kräuter-Bonbons, und eine aufziehbare Spieluhr.
Versuchen Sie doch mal all diese Gegenstände auf eines dieser modernen Flatscreen-Scheusale zu stellen! Geht nicht! Ganz abgesehen von der Weihnachtskrippe, die im Winter auf dem Gerät meiner Großmutter stand. Meist schmückte sie ihren Fernseher zusätzlich mit gestickten Stoffdeckchen oder stellte Vasen mit frischen Schnittblumen auf ihm ab. Das sorgte für Ärger mit ihrer Tochter, meiner Mutter. Schließlich hatte schon der Fernsehmechaniker Wünning bei der Anlieferung gesagt, dass ein Röhrenfernseher "hinten atmen" muss und dass Blumenwasser für elektronische Geräte ganz schlecht sei.
Weil in den achtziger Jahren selbst im Westerwald ständig neue Privatfernsehkanäle eingespeist wurden, bat mich meine Großmutter alle paar Tage, ihr diese Kanäle bitte einzustellen. Deshalb saß ich nach der Schule stundenlang vor ihrem Gerät und drehte mir meine Finger an winzigen Stellschrauben wund. Senderwahl nannte man das, eine Automatik gab es noch nicht.
Ab und zu tauchten im dichten Schneegestöber eines rauschenden Nichts tatsächlich neue bunte Programmwelten auf. Welten, da war ich mir mit meiner Großmutter einig, die uns beide nicht sonderlich interessierten. Zu laut, zu schrill, zu schnell. So quittierte der Röhrenfernseher später ganz öffentlich-rechtlich seinen Dienst: Während Luchino Viscontis "Ludwig II." in der ARD implodierte er. Unverhofft. Eigentlich ein schöner Tod.
Text: Martin Zips
SZ vom 16.07.2009/jeder/korc/rus
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