Schwimm-WM in Rom:Das Herz eines Schwimmers

Die Anzug-WM: Paul Biedermann schwimmt zum 400-Meter-Titel und beteiligt sich am Weltrekord-Reigen. Auch Britta Steffen gelingt eine epochale Bestzeit.

Josef Kelnberger

Als er den Schritt auf den Startblock tat, klopfte sich Paul Biedermann mit der rechten Faust auf das Herz. Das wird ja inzwischen fast vergessen bei der Diskussion darüber, was die Schwimmer auf der Haut tragen, ob Polyurethan oder sonst ein Produkt der chemischen Industrie: das Herz eines Schwimmers. Paul Biedermann, der 23-Jährige aus Halle an der Saale, hat eines der größten und stärksten. Das weiß nun die ganze Welt des Schwimmens, er zeigte sein großes Herz in Rom auf den letzten 50 Metern des Finales über 400 Meter Freistil.

Schwimm-WM in Rom: Auftakt nach Maß: Paul Biedermann bejubelt Weltrekord und WM-Titel über 400 Meter Freistil.

Auftakt nach Maß: Paul Biedermann bejubelt Weltrekord und WM-Titel über 400 Meter Freistil.

(Foto: Foto: dpa)

Unwiderstehlich zog er dem Tunesier Oussama Mellouli und dem Olympiazweiten Zhang Lin aus China davon und schlug als Weltmeister an. 3:40,07 Minuten zeigte die Anzeigetafel. Einige Sekunden lang breitete sich Schweigen aus unter den 15000 Zuschauern im Foro Italico, und auch Paul Biedermann brauchte Zeit, bis er verstand: Weltrekord. Biedermann hatte auf einer der klassischen Strecken seines Sports einen der epochalsten Weltrekorde, aufgestellt von einem der größten Schwimmer der Geschichte, gebrochen. Er war eine Hundertstel schneller als der Australier Ian Thorpe bei der WM 2001 in Fukuoka.

"Das ist ein unglaublicher Moment", sagte Biedermann, Ian Thorpe sei eines seiner Idole gewesen. Niemand weiß besser als Paul Biedermann selbst, dass er nun kein besserer Schwimmer als Ian Thorpe ist. Auf etwa zwei Sekunden schätzt er den Vorteil, den ihm sein brandneuer Ganzkörperanzug verschaffte: nicht zwei Sekunden im Vergleich zu Thorpe, sondern im Vergleich zur nationalen Meisterschaft vor einem Monat in Berlin, wo er ein älteres Modell trug. Ian Thorpe hatte vor acht Jahren weit schlechteres Material.

Um mehr als sechs Sekunden verbesserte sich Paul Biedermann seit dem Rennen in Berlin; zieht man die zwei Anzug-Sekunden ab, bleiben also immer noch vier Sekunden, die er in der WM-Vorbereitung gut machte. Biedermann sagte, man möge ihm bitte glauben, er schwimme wirklich in herausragender Form. Aber er wisse, welche Debatten nun weltweit über ihn und seinen Rekord geführt werden.

Ein Gruß an die Oma

Ausdrücklich begrüßte er in der internationalen Pressekonferenz, dass der Weltverband Fina für nächstes Jahr die Rückkehr zu Badeanzug und Badehose und zu rein textilen Stoffen beschlossen hat, denn die modernen Anzüge würden den Sport zerstören. Als selbstverständlich nahm er die Fragen nach Doping an. Er könne nur erwidern, er sei "absolut sauber" und in den letzten Monaten so oft wie noch nie kontrolliert worden - wissend, dass das nicht viel heißen muss.

Die Freude über seinen ersten Weltmeistertitel ließ Paul Biedermann sich aber nicht nehmen. Er widmete ihn seinem Trainer Frank Embacher, seinen Eltern und seiner Oma Anneliese, die an diesem Sonntag ihren 73. Geburtstag feierte. Sie alle saßen auf der Tribüne. Natürlich ging der Blick schon voraus, auf das Finale über 200 Meter Freistil am Dienstag, in dem Biedermann den Superhelden Michael Phelps herausfordern will.

Die 400 Meter hatte Biedermann nur als Testlauf geplant, doch zum Ernstfall wurde das Rennen, als er im Vorlauf am Sonntag unverhofft in 3:43,01 Minuten Europarekord schwamm. Er verbesserte die acht Jahre alte Marke des Italieners Massimiliano Rosolino um 39 Hundertstel, fast aus Versehen. Auf den letzten hundert Metern hatte er das Tempo herausgenommen.

An diesem Montag stehen über die 200 Meter bereits die Vorläufe und Halbfinals an. Es muss sich erweisen, ob Biedermann nicht zu viel Kraft gelassen hat. Er könne jetzt die Aufgabe beruhigt angehen, sagt er, außerdem hat er den Vorteil eines schnelleren Anzugs. Phelps bleibt offenbar dem Modell treu, das im vergangenen Jahr noch als der letzte Schrei galt und dieses Jahr vorwiegend Verlierer kleidet. Biedermann verkörpert das Dilemma, in das sich die Schwimmwelt manövriert hat. Der Athlet gerät in den Hintergrund, die Anzughersteller stehen im Mittelpunkt.

Sollte die Fina die Anzugreform konsequent umsetzen, stehen die Chancen gut, dass Biedermann seinen Rekord viele Jahre behalten wird, mindestens so lang wie Ian Thorpe. Und die WM 2009 von Rom würde als Freakshow in Erinnerung bleiben. Dem Weltrekord von Paul Biedermann folgten am Sonntag jedenfalls viele weitere. Auch Britta Steffen schwamm einen, schon wieder, diesmal als Startschwimmerin in der 4x100-m-Freistilstaffel. In 52,22 Sekunden blieb die Berlinerin 34 Hundertstel unter der Marke, die sie bei den deutschen Meisterschaften aufgestellt hatte.

Rekord und Silber für Steffen

Fast hätten Britta Steffen, Daniela Samulski, Petra Dallmann und Daniela Schreiber Staffel-Gold geholt, am Ende fehlten mit der Zeit von 3:31,83 Minuten nur elf Hundertstel auf die Weltmeisterinnen und, natürlich, Weltrekordlerinnen aus den Niederlanden. "Mit diesem Silber hatte niemand gerechnet, deshalb freuen wir uns", sagte Steffen. Ihr Weltrekord sei "nicht das Thema"; für wichtiger hält sie, dass das deutsche Team gut in die WM startete.

Eine weitere epochale Marke unterbot die unbekannte Schwedin Sarah Sjöström, die in 56,44 Sekunden 17 Hundertstel schneller war als Inge de Bruijn bei ihrem Fabelweltrekord in Sydney 2000. Unter dem Jubel der Fans schwamm schließlich die Italienerin Federica Pellegrini die 400 Meter Freistil in 3:59,15 - als erste Frau blieb sie unter vier Minuten. Paul Biedermann verfolgte es im Pressekonferenzraum gleichmütig am Fernseher: Weltrekord-Alltag eben.

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