Proteste in Ägypten:Die Jugend wütet als "Schwarzer Block"

Proteste in Ägypten

Der "Schwarze Block" könnte die Anti-Mursi-Proteste in Ägypten radikalisieren.

(Foto: REUTERS)

Die ägyptische Revolution ist um ein Phänomen reicher: Der "Schwarze Block" aus gut organisierten jungen Leuten geht mit großer Gewalt gegen die Staatsmacht vor. Wie viele sie sind und was sie genau wollen, wissen sie selbst nicht - aber sie nehmen weder Präsident Mursi noch die Opposition ernst.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Wie das eben so ist, wenn am Kairoer Tahrir-Platz das Tränengas wabert, die Steine und Molotowcocktails fliegen oder vor dem Präsidentenpalast demonstriert wird: Die Lage erfordert rasches Handeln. "Entscheidend sind Aktion und Reaktion", sagt Sherif al-Sirfy. Der 18-jährige Ägypter verortet sich auf der Seite derer, die nur reagieren, aber steht dann doch unter denen, die agieren. Mit schwarzen Masken vor dem Gesicht. Das Gesetz von Aktion und Reaktion gelte, wie Sirfy sagt, auch für den Gebrauch von Waffen: "Wenn sie Messer und Schwerter haben, nehmen wir Schwerter und Gewehre."

Der "Schwarze Block". Seit einigen Tagen ist die ägyptische Revolution um ein Phänomen reicher, das man bisher nur von den Straßenschlachten in London, Mailand oder Berlin kannte: schwarz maskierte, gut organisierte Jugendliche, die mit großer Gewalt gegen die Polizei vorgehen. "Wir sind der Schwarze Block, wir wollen das Volk befreien, die Korruption beenden und den Tyrannen stürzen", gaben die Maskierten im Internet als Zielsetzung aus. Sirfy aber sagt: "Wir haben keine politischen Forderungen. Die Vergeltung für die inzwischen weit über 1000 Opfer der Anti-Mubarak-Revolution ist das Einzige - der Kampf für deren Rechte."

Erste Konsequenz aus dem Auftreten des Schwarzen Blocks ist, dass der vom Staatschef Mohammed Mursi eingesetzte Generalstaatsanwalt alle Maskenmänner festnehmen lassen will wegen terroristischer Aktivitäten. Der Block, so seine Begründung, "verübt Sabotage, verängstigt die Bevölkerung, zerstört staatliches und privates Eigentum". In der Natur der Sache liegt, dass die Identifizierung der Maskenträger schwierig ist. Keiner zeigt sein Gesicht "an der Frontlinie", wie die Demonstranten das Auf und Ab zwischen Polizisten und Protestierenden nennen. Nur Sirfy stellt sich ohne Maske vor die Kameras. Er sagt, er sei der Einzige, der für den Block sprechen dürfe. Wie viel er zu sagen hat, ist unklar: Die Linie des Schwarzen Blocks ist, dass er mit Journalisten eigentlich nichts zu tun haben will.

Gruppen des Schwarzen Blocks kommunizieren über das Internett

Einige der schwarz gekleideten Männer im Café "Bilady" am Tahrir-Platz, das Sirfy für das Treffen ausgewählt hat, behaupten dann auch, Sirfy habe gar nichts zu sagen. Der Blocksprecher tingelt dennoch selbstbewusst durch die Medien. Das schwarze Haar zum Knoten gebunden, Kinnbart und Koteletten, kein Schnauz - das Gesicht ist eindringlich genug für ein Fahndungsfoto. "Sie hätten mich längst holen können, meine Adresse ist bekannt", sagt Sirfy. "Aber sie fürchten uns. Wenn nur einem von uns etwas geschieht, stehen sie gegen uns alle." Er habe sein Gesicht gezeigt, "damit die Ägypter wissen, mit wem sie es zu tun haben: Die Gesellschaft akzeptiert uns sonst nicht."

Wie viele Maskierte es gebe im Land? "Ich weiß es nicht. Es gibt viele Gruppen, wir kommunizieren über das Netz. Aber wenn es losgeht, werden aus zehn von uns schnell 60 oder 70." Alles, was schon in den Zeitungen stand, weist er zurück: "Wir sind keine Anarchisten. Ich jedenfalls nicht. Und Schwarzer Block nennen wir uns auch nicht nach den Maskierten in Deutschland, sondern weil das ein eingeführter Begriff ist."

Was Student Sirfy sagt, ist trotz aller Widersprüche kennzeichnend für die Revolution in Ägypten. Frustrierte und perspektivlose Jugendliche, die sich von ihrem im Januar 2011 gestarteten Aufstand Freiheit, Demokratie, eine Verbesserung ihrer sozialen Lage oder wenigstens einen Arbeitsplatz erhofft hatten, warten auch nach fünf Wahlgängen angesichts des ziellosen Regierens von Präsident Mursi vergeblich. Sie nehmen ihre Sache in die Hand mit sinnlos wirkender Gewalt.

Muslimbrüder wollen einen Weißen Block bilden

Ägyptens Revolution radikalisiert sich weiter. Das in den vergangenen zwei Jahren entstandene Knäuel widersprüchlicher politischer Forderungen scheint fast unauflösbar zu sein. Mursi ist bei der Jugend diskreditiert, ebenso wie seine Gegner, die Oppositionspolitiker. "Als der Präsident uns in seiner Fernsehrede gedroht hat, haben wir uns totgelacht", sagt Sirfy, der für Oppositionsführer wie Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei nur ein abschätziges Lächeln übrig hat.

Die Sicherheitskräfte nehmen den Schwarzen Block ernst. Nicht, dass es nicht genug andere Demonstranten gäbe, die keine Furcht vor den Bereitschaftspolizisten zeigen. Aber der Schwarze Block könnte andere, gefährlichere Reaktionen auslösen. Radikale Fundamentalisten der Jamaat al-Islamija lesen in Sachen "Banditentum" aus der Scharia heraus, dass "Gott uns beauftragt hat, diejenigen zu töten, zu kreuzigen oder ihnen Hände und Füße abzuschlagen, welche Unruhe säen auf der Erde. Der Präsident muss uns den Befehl geben".

Die Muslimbrüder, die selbst Schlägertruppen haben, wollen einen "Weißen Block" bilden - was dessen Aufgabe sein könnte, ist bisher offen. Pseudomilizen dürften die Unruhen verschärfen. Die Polizei wird der Proteste ohnehin nicht Herr: Sie erwägt angesichts eigener Opfer den Einsatz scharfer Waffen.

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