Cover-Album von Heino:Fürrrrchtet euch!

Heino und seine Frau Hannelore

Heino und seine Frau Hannelore am 29. Januar 2013 in einem Studio in Hürth bei Köln mit einem Heino-T-Shirt.

(Foto: dpa)

Heino hat zwölf deutsche Popsongs neu aufgenommen. Als musikalisches Ärgernis wird der Mann notorisch überschätzt. Diese Platte beweist nun: Es gibt im Pop keinen unbestechlicheren Qualitätsdetektor als Heinos rollendes Rrrrr.

Von Jens-Christian Rabe

Als musikalisches Ärgernis wird der Mann ja notorisch überschätzt. Womöglich auch als öffentliches. Klar, es wäre sympathischer gewesen, damals nicht ostentativ alle drei Strophen der deutschen Nationalhymne aufzunehmen. Und klar, es hätte von Klugheit gezeugt, nicht in Südafrika aufzutreten, als das Apartheid-Regime aus guten Gründen vom Rest der Welt boykottiert wurde. Nun ja. Seither hat Heino immerhin mehr als einmal gesagt, dass er "braune Glatzen" hasse. Unterschätzt wird dagegen die Gewalt dieses Rrrrr. Als menschgewordenes Rrrrr ist die wahre Größe des Düsseldorfer Volksmusik- und Schlager-Sängers Heinz Georg Kramm eigentlich erst jetzt wirklich erkennbar, auf seinem nun erscheinenden neuen Album "Mit freundlichen Grüßen" (Starwatch/Sony).

Er singt darauf zwölf deutsche Popsongs. Von Sängern wie Westernhagen, Clueso, Nena, Stephan Remmler und Keimzeit, die dem Schlager nahestehen, aber auch von Hip-Hop-Bands wie den Fantastischen Vier oder den Absoluten Beginnern, vom deutschen Highscore-Dancehall-König Peter Fox, von Indie-Pop-Bands wie den Sportfreunden Stiller, von Industrial-Metal-Bands wie Oomph! und Rammstein - und von den Ärzten. Von deutschen Popstars also, für die Heino naturgemäß das Grauen schlechthin sein dürfte.

Und ausgerechnet die Ärzte, die von billigen Provokationen am meisten verstehen müssten, zuckten zuerst. Manager Axel Schulz ließ nicht allzu souverän wissen: "Solange dieser Heini den Originaltitel nicht mutwillig verändert, werde ich nichts dagegen unternehmen." Von Rammstein hieß es sinngemäß zunächst, die Band müsse angesichts der Kunde kotzen. Auf ihrer Netz-Seite wies sie jedoch schnell jedes Unbehagen zurück: "Rammstein haben mit Befremden die heutige Berichterstattung der Bild-Zeitung zur Kenntnis genommen, die Band befände sich in einer Auseinandersetzung mit Heino zu seiner Coverversion des Rammstein Titels ,Sonne'. Das ist nicht der Fall." Gut so. Alle anderen blieben ruhig und wollten den Skandal keinen sein lassen. Zu spät, zu spät. Heino hatte schon zurückgeschlagen. Er ließe sich von niemandem das Singen verbieten und so weiter. Ach, die Bild.

Da rrrrasse-lt es doch grenzwertig

Und das Album ist ja jetzt auch tatsächlich in der Welt. Die Playbacks der Hits sind weichgespülte, aber im Detail erstaunlich akkurat instrumentierte Versionen der Original-Aufnahmen, keine gewagten Remixe oder minimalistischen Popsong-Cover, wie sie dem späten Johnny Cash zum glorreichen Comeback verhalfen. Der Grund dafür ist einfach: So kann ihm wirklich keiner das Singen verbieten. Solange nämlich kein Ton der Kompositionen geändert wird und brav Tantiemen abgeführt werden, so lange sieht das deutsche Urheberrecht keine Eingriffsmöglichkeiten für die Urheber eines Songs vor.

Was Heino auch das deutsche Urheberrecht nicht nehmen kann, ist seine Stimme. Diesen auch im 75. Lebensjahr strahlend-stählernen Bariton. Und dieses unglaubliche Rrrrr. Schwer, fast majestätisch rollt es, kraftvoll, beinahe opernhaft albern erhaben. Am Ende klingt es nur einen Hauch zu sehr nach dem Rrrrr eines etwas übermotiviert programmierten Spielzeug-Weihnachtsmanns. Aber gut. Was für Dinge macht es dann mit den Worten?

Am dezentesten ist es schon mal da, wo es in seinem Element ist, dem Schlager, also beim Akkordeon-Gequäke von Westernhagens "Willenlos", beim Xylophon-Gebimmel von Nenas "Leuchtturm" oder beim Blockflöten-Gesäusel von Stephan Remmlers "Vogel der Nacht". Das große Rrrrr wird hier fast sparsam eingesetzt. Ein Zeile wie Westernhagens "Ihr Name war Fräulein Meyer" kommt an Heinos Rachen natürlich nicht ungeschoren vorbei, aber von den vier guten Gelegenheiten, nimmt er - genau genommen - nur eine richtig wahr: "Ihrrr Name warrr Frrrrrräulein Meyer". Das letzte R bleibt sogar fast stimmlos. Beim bald folgenden Satz "Sie hatte Rasse, gar keine Frage" zuckt man dann allerdings kurz, da rrrrasse-lt es doch grenzwertig. Und der Akzent der Zeile rückt doch irgendwie in eine ganz falsche Richtung. Hm.

Glanz und Schrecken

Nenas Vers "Ich geh mit dir wohin du willst / auch bis ans Ende dieser Welt" ist unverfänglicher, da rasselt nichts mehr. Knödeln tut es natürlich umso heftiger. Hach. Kurzer Gedankenschnitt auf das schunkelnde Publikum im ZDF-Fernsehgarten. Verschnaufpause. Remmlers "Vogel der Nacht" wird mindestens ebenso routiniert verräumt, mit ganz weit von hinten unten nach vorne oben über die Schneidezähne geschobenem Unterkiefer: allleiiiiinnnnnn. Stellen Sie sich die Ns bitte kleiner werdend vor. Wenn Sie alles richtig gemacht haben, müsste man Ihnen am Ende ein Smartie an der Oberlippe vorbei von oben in den Mund fallen lassen können. Aber Vorsicht beim Nachmachen, renken Sie sich nichts aus! Der Meister schüttelt das natürlich aus dem Ärmel. Für einen altgedienten Gefühlsdusel-Ingenieur wie Heino ist das kein Problem.

Glanz und Schrecken dieser drei, vier Songs des Albums bleiben dabei seltsam unberührt. Stimmt es also, was man sagt: Dass kompositorisch nichts so robust ist wie der knallhart kalkulierte Kitsch eines teutonischen Qualitäts-Schlagers?

Es stimmt.

Damit wären wir beim möglicherweise nicht ganz so robusten deutschen Pop- und Rock-Song. Peter Fox' Dancehall-Hit "Haus am See", der im Original sehr eindrucksvoll vom Filmorchester Babelsberg eingespielt wurde, wehrt sich noch vergleichsweise tapfer. Mit der Aussprache von Peter Fox' Gedanken ist Heino hörbar beschäftigt. Bisschen viel Text, das ist er nicht gewohnt. Das Rrrrr kommt krampfig, gehemmt. Heino rappt auch nicht, er macht eine logopädische Sprechübung: "Ich. Habe. Zwanzig. Kinderr. Meine. Frrau. Ist. Schön." Vom Song selbst bleibt so auf Dauer leider nicht viel übrig.

Ähnlich schlecht ergeht es der großen Kürzel-Hymne "MfG" von den Fantastischen Vier. Die sagt er auf, als wäre er ein singendes Telegramm. Aus der kleinen Vorrede - "Nun, da sich der Vorhang der Nacht von der Bühne hebt, kann das Spiel beginnen, das uns vom Drama einer Kultur berichtet" - macht er mit dem Killer-Rrrrr einen Wochenschau-Bäärricht. Wobei man hier nicht den Fantastischen Vier vorwerfen kann, dass ihr Interpret offenbar wirklich nichts verstanden hat.

Die Sportfreunde Stiller halten sich mit "Ein Kompliment" auch recht gut. Uptempo kann Heino nicht, mag er auch nicht. Man hat den Eindruck, er fühlt sich gehetzt, er probiert es erfolglos mit etwas mehr Druck, carusot so vor sich hin, fängt sich in der Strophe, schwimmt wieder und leistet sich dann die erste echte Peinlichkeit: Aus "Wenn man so will / bist du meine Chill-Out-Area" wird "Wähn mann so will / bis du meine Schill-Aut Ääääria". Tja. Niedriger Punktsieg für die Sportfreunde.

Heino als brillanter Dekonstruktivist

"Junge" von den Ärzten fällt dagegen völlig auseinander. Heino als brillanter Dekonstruktivist. Von dem Song bleibt wirklich nichts mehr übrig, wenn der gealterte Papa, aus dessen Perspektive der Text geschrieben ist, selbst ganz ernsthaft singt: "Junge, warum hast du nichts gelernt? / Guck dir den Dieter an, der hat sogar ein Auuuto!" Aua. Vielleicht doch kein Wunder, dass die Ärzte so sauer waren.

Bliebe die grandios kalkulierte Pyro-Pathos-Pampe des teutonischen Comic-Industrial-Metal von Oomph! und Rammstein. Heino singt Rammstein - darüber freuten sich die Medien vorab selbstverständlich am meisten: "Alle warrrrten auf das Licht / fürrrrchtet euch, fürrrchtet euch nicht!" Das Gipfeltreffen der Freunde des rollenden Rrrrr. Bei Heino ersetzen nur ein paar Bläser die Wall of Sound der Metal-Gitarren und siehe da: Wir hören Kirchentagsmusik! Hoppla.

In den Amazon-Charts steht "Mit freundlichen Grüßen" übrigens wegen außergewöhnlich vieler Vorbestellungen schon seit Tagen auf dem ersten Platz. Zu den 50 Millionen Tonträgern, die Heino in den bislang 52 Jahren seiner Karriere verkauft haben soll, werden wohl noch ein paar mehr hinzukommen. Ist Heino also der größte Rollator des deutschen Pop? Sicher. Ist er vielleicht sogar der GröRAZ, der größte Rollator aller Zeiten? Womöglich. Und was soll das jetzt bitte heißen?

Dass es im Pop keinen unbestechlicheren Qualitäts-Detektor gibt als Heinos rollendes Rrrrr. Wer möchte, darf sich das Album also als einen echten Glücksfall vorstellen. Irrrrgendwie.

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