Der lange Weg ans Steuer:Preis der Freiheit

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Der Traum vom Führerschein platzt schneller als man denkt: Mindestens jeder Vierte in Bayern fällt durch die Prüfung. Fahrlehrer aus dem Landkreis sehen die Schuld jedoch weder bei sich noch im System

Von Christina Schönstetter

Erst ein prüfender Blick in den Rückspiegel, dann in den Seitenspiegel. Schließlich - ganz wichtig - der Schulterblick, dabei das Lenkrad schön gerade halten. Dann: Spurwechsel. Geschafft! "Das hört sich an, wie wenn meine Großmutter fährt", kommt es da vom Fahrlehrer, dem sich bei der hohen Drehzahl die kurzgeschorenen Haare aufstellen.

Pia Wagner aus Lindach bei Egmating macht gerade ihren Autoführerschein. Die 17-Jährige hat mittlerweile ihre 19. praktische Fahrstunde hinter sich und ist damit der motorisierten Freiheit schon nahe. Obwohl Fahrlehrer Christian Marchio kaum mehr als kleine Verbesserungsvorschläge für die Gymnasiastin hat, ist ihr der Führerschein noch lange nicht sicher: Laut Statistik fällt jeder vierte Fahrschüler in Bayern mindestens einmal durch die theoretische oder praktische Prüfung. "Das ist unter dem Bundesdurchschnitt", sagt Regina Bichler von der Führerscheinstelle des Ebersberger Landratsamts.

Den Berechnungen des Kraftfahrt-Bundesamts nach lag die Durchfallquote in Bayern im Jahr 2011 bei 26,3 Prozent, in ganz Deutschland sind es 27,7 Prozent. Neu seien diese Zahlen nicht, beteuert Bichler. Vielmehr hielten sich die Durchfallquoten schon seit Jahren konstant. Für den Landkreis Ebersberg gibt es keine eigene Statistik. Im vergangenen Jahr wurden aber etwa 1500 Auto-Führerscheine neu ausgestellt. Geht man vom bayernweiten Durchschnitt aus, dann mussten demnach ungefähr 535 Fahrschüler die Prüfung wiederholen.

"Es kommt auf die Schüler an", sagt Fahrlehrer Christian Marchio, der seine eigene Fahrschule in Glonn leitet. "Früher war der Führerschein wichtiger, weil Autofahren Freiheit bedeutete. Man fuhr irgendwo hin und schaute, ob Freunde da waren. Heute hat jeder ein Handy mit Whats-App, da kann man einfach in Kontakt bleiben." Standesgemäß wehrt sich Marchio vehement gegen den Vorwurf an die Fahrschulen, von hohen Durchfallquoten zu profitieren. "Auf dem Land kann man sich das nicht erlauben: Wir leben hier vor allem von Mundpropaganda, und wenn es sich rumspricht, dass bei einer Fahrschule viele durchfallen, dann geht da schnell niemand mehr hin." Deshalb sei die Fahrschule auch mit Bedacht zu wählen. "Irgendwo müssen die Billig-Schulen ja ihr Geld wieder reinbringen, da braucht der Schüler dann halt einfach ein, zwei Fahrstunden mehr", sagt Marchio.

Von dem Vorwurf der Abzocke von Schülern will auch Robert Mertens, Fahrschulbesitzer in Markt Schwaben, nichts wissen. Mit 40 Euro für normale und 50 Euro für Sonderfahrten ist seine Fahrschule auf dem selben Preisniveau wie Marchios. Zwölf Sonderfahrten sind vorgegeben, praktische Fahrstunden werden durchschnittlich etwa 15 bis 20 benötigt. "Das kann in manchen Fällen weniger sein, aber auch bedeutend mehr", erklärt Mertens. Auf etwa 2000 Euro kommt ein Führerschein der Klasse B, sprich: fürs Auto, damit in etwa. Davon müsse die Fahrschule Autos, Benzin, Versicherungen und Räumlichkeiten bezahlen - und die Mehrwertsteuer komme natürlich auch weg. Trotz gestiegener Kosten für Autos und Sprit sei seine Fahrschule mit den Preisen nicht weit nach oben gegangen, so Mertens. "Vor der Umstellung auf den Euro 2002 hatten wir 65 Mark für eine praktische Fahrstunde." Den Unterschied zu den aktuellen 40 Euro findet der Fahrlehrer nicht hoch.

Für die Fahrschüler wie Pia Wagner kostet der Führerschein trotz aller Erklärungen der Fahrschulen leidlich viel. Als Schülerin des Grafinger Gymnasiums hat sie kein eigenes Einkommen. "Nebenbei arbeiten ist seit dem G8 für Schüler ziemlich schwierig geworden", gesteht auch Christian Marchio zu. Viele von Pia Wagners Freunden bekommen den Führerschein von den Eltern. Sie selbst bekommt das Geld als Vorschuss von den Eltern - sie wird es aber zurückzahlen müssen. Sollte sie durchfallen, werden es noch einmal drei oder vier Fahrstunden mehr sein, die sie bezahlen muss. So wie bei den allgemeinen Fahrstunden gibt es keine Vorgaben, wie viele zusätzliche Stunden ein Schüler nach einer missglückten Prüfung noch benötigt - der Fahrlehrer spricht Empfehlungen aus, der Schüler folgt meistens.

"Angst vor der Prüfung habe ich eigentlich nicht", sagt Pia Wagner. Dabei kennt sie einige Geschichten von Bekannten, bei denen es in der Prüfung am Ende nur an einer Kleinigkeit scheiterte. Ein klein wenig zu schnell durch Baustellengebiet, ein besonders korrekter Prüfer - aus der Traum vom Führerschein. "Die Prüfer wollen einem nichts Böses", sagt Christian Marchio. "Das sind auch nur Menschen, die ihren Job machen." Dabei liegt viel Macht in den Händen der Prüfer, die vom TÜV zugeteilt werden: Sie entscheiden, ob jemand den begehrten Schein bekommt oder nicht. Rote Ampel überfahren, Schädigung von Auto oder gar Passanten - neben den Ko-Kriterien ist vieles Ermessenssache. "Die Prüfer sind neutral", betont Vincenzo Lucà, Sprecher des TÜV Süd. Sieben Prüfer gebe es für den Landkreis. Ob die Fahrschulen an den hohen Durchfallquoten mit schuldig seien, dazu wollte sich Lucà nicht äußern. Auch die Vermittlung eines Prüfers für ein Interview verweigerte er der SZ mit der Begründung, dass diese sich in einem Spannungsfeld zwischen Fahrschulen und Aufsichtsbehörde befänden.

Christian Marchio hat für seine Fahrschüler besondere Methoden entwickelt, um die Erfolgsquote zu erhöhen: "Wer ein Stoppschild überfährt, der zahlt mir eine Cola", sagt er. Seine Schülerin Pia Wagner nickt ergeben am Steuer des weißen Audi - das kennt sie schon. Bei der Autobahnauffahrt zählt Marchio ihr die Schritte auf: Blick nach hinten, rechts halten, langsamer. Und das Wichtigste am Schluss: "Cool bleiben."

© SZ vom 02.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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