Fußball: Bundesliga:Die Tiefstapler

Leverkusen begnügt sich mit Platz drei, dem BVB reicht die Europa League, Frankfurts Trainer will nicht international spielen. Dahinter steckt eine Taktik.

David Bernreuther

Schritt für Schritt haben sie sich nach oben geschlichen, und fast hätte es niemand bemerkt. Erst als Eintracht Frankfurt den FC Bayern in letzter Minute besiegte und zwei Wochen später Leverkusen eine schmerzhafte Niederlage zufügte, wurde Fußball-Deutschland aufmerksam. Jetzt träumt ganz Frankfurt von der Europa League. Ganz Frankfurt? Nein! Ein Mann leistet Widerstand, ein selbsternannter Realist, der oft im dunklen Anzug auftritt und im Vergleich zu manchem Kollegen eher unscheinbar wirkt. Es sagt Sätze wie "Die Eintracht ist noch nicht bereit für Europa" oder "Platz acht ist derzeit das Maximum".

Der Mann heißt Michael Skibbe und ist Trainer in Frankfurt. Er behauptet, der Verein sei nicht gefestigt, der Kader nicht ausgeglichen genug für den Europapokal. Dabei holte die Eintracht in der Rückrunde mehr Punkte als Leverkusen oder Hamburg, die einen Platz im internationalen Wettbewerb unmissverständlich zum Saisonziel erklärt haben. Doch Skibbe warnt: "Man hat an Hertha BSC Berlin gesehen, wie gefährlich es ist, wenn man eine Saison über seine Verhältnisse spielt. Und wie es ist, wenn man dann international spielen muss, obwohl der Kader für Liga und Europacup gar nicht gut genug ist."

In dieser Einschätzung mag viel Wahrheit stecken, doch hinter Skibbes Aussagen verbirgt sich eine Taktik. Wer Platz acht als "Maximum" bezeichnet, wer immer wieder darauf hinweist, dass die Strukturen und die Spieler eigentlich nur für einen Mittelfeldplatz taugen, der kann schon einen siebten Platz als überraschenden Erfolg verkaufen, einen sechsten gar als Sensation. Ausschlaggebend für dieses unerwartet gute Abschneiden war dann natürlich: der Trainer - denn er hat ja mehr aus der Mannschaft herausgeholt, als eigentlich in ihr steckt. Fans und Medien sollen sich hinterher fragen: Was für ein Genie muss dieser Trainer sein? Wie hat er das bloß gemacht?

Wer aber öffentlich verkündet, man wolle Titel holen oder den Europapokal erreichen, der setzt sich der Gefahr des Scheiterns aus und wird schnell zum Buhmann. Das trauen sich die wenigsten. Dazu kommt der psychologische Aspekt: Sobald ein Trainer forsche Ziele formuliert, steigt der Druck auf die Mannschaft. Wenn es in Richtung Europa League gehen soll, erwarten die Fans einen Sieg nach dem anderen, und die Medien lauern begierig auf den nächsten Ausrutscher gegen ein Team aus der Abstiegszone. Der siebte Platz wäre dann eine Enttäuschung, der achte käme gar einer Katastrophe gleich. Experten würden dann vermutlich urteilen, Trainer und Spieler hätten das große Potential, das in der Mannschaft steckt, leichtfertig verschleudert. Oder sie wären am großen Druck zerbrochen.

Euphoriebremser und Erwartungsdämpfer

Deshalb ist Skibbe nicht der einzige Euphoriebremser und Erwartungsdämpfer, der diesen Druck von seinen Spielern nehmen will. In der heißen Endphase der Saison ist ein wahrer Trend zum Understatement entstanden:

Leverkusens Stefan Kießling wollte schon vor dem Duell mit Bayern am vergangenen Wochenende über den ersten Platz "gar nicht reden". Wichtig sei nur Platz drei, das hätte vor der Saison ja jeder unterschrieben. Aber darf es nach 24 Spielen ohne Niederlage und 17 Spieltagen an der Tabellenspitze nicht ein bisschen mehr sein?

Der dritte im Bunde ist Jürgen Klopp in Dortmund. Er besteht darauf, dass "die Champions League nicht das Ziel ist, das wir vor Augen haben". Dabei beträgt der Rückstand auf Leverkusen nur zwei Punkte - viel dichter kann man Platz drei doch gar nicht vor Augen haben, möchte man Klopp zurufen. Doch der verweist nur auf die "Riesenschritte" der Konkurrenz, die von hinten heranjagt.

Leverkusen, Dortmund, Frankfurt - sie alle geben vor, mit der aktuellen Platzierung zufrieden zu sein, keiner von ihnen hat den Mumm zu sagen: Wir greifen an, wir wollen weiter nach oben! Auch der gewiefte Schalke-Trainer Felix Magath hat eine Weile gezögert und gesagt: "Ich schaue nicht mehr auf die Bayern." Vorsichtshalber hat er sogar schon einmal davor gewarnt, "dass unsere tolle Saison nicht noch einen Nachgeschmack bekommt". Doch beim Studium der Tabelle ist ihm wohl am Donnerstag aufgefallen, dass der Rückstand zum Spitzenreiter nur zwei Punkte beträgt. Plötzlich verkündete er: "Wir sind die einzige Mannschaft, die den Bayern noch Paroli bietet. Jetzt geht es nur noch um Rot oder Blau."

Noch mutiger als Magath ist nur der FCB, für den es ja seit jeher ein Klacks ist, ohne Hemmungen vom Meistertitel zu sprechen. Selbst zehn Punkte Rückstand vor dem 31. Spieltag würden den Rekordmeister wohl nicht davon abhalten, Anspruch auf die Schale zu erheben. Doch damit nicht genug: Trainer Louis van Gaal veröffentlichte sogar schon seine Pläne für den Fall, dass Bayern das Triple holt. "Dann gehe ich", sagte der Niederländer. Andere Trainer hätten in einer vergleichbaren Situation womöglich geleugnet, dass ein Champions-League-Finale überhaupt existiert. Zumindest aber vehement darauf hingewiesen, dass jetzt erst einmal das Halbfinale komme.

Nur ganz tief unten, im Abstiegsstrudel der Bundesliga, gibt es noch einen Trainer, der gegen den Strom der Tiefstapler schwimmt: Mirko Slomka. Es sei damals auf Schalke ein Fehler gewesen, nicht auf den Plastik-Meisterschalen der Fans zu unterschreiben, sagt er. Heute würde er anders auftreten: "Das ist der bessere Weg. Zu zeigen: Kommt her, wir schaffen das." Aber Slomka hat leicht reden, er hat mit der Meisterschaft im Moment noch weniger zu tun als Schalke in den vergangenen 52 Jahren. Mit Hannover 96 steht er zurzeit auf dem 16. Platz. Und es würde doch sehr verwundern, wenn er sagen würde: "Platz 15? Nicht übermütig werden! Relegation ist doch okay. Wir sollten lieber aufpassen, dass uns Freiburg und Hertha nicht überholen."

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