Roman "Wenn die Nacht am stillsten ist":Im Hipster-Haifischbecken

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Für Grönemeyer und Campino hat sie gearbeitet, dazu zwei Bände mit skurrilen Fischgedichten veröffentlicht - nun erscheint der Debüt-Roman von Arezu Weitholz. Darin wird nicht nur eine Liebe, sondern auch eine bestimmte Form des Journalismus beerdigt.

Von Ulrich Rüdenauer

Es gab eine Zeit, da wollten junge Männer so sein wie Hunter S. Thompson oder Tom Wolfe: im Sportwagen durch die Gegend fahren und Geschichten über das schreiben, was ihnen gefiel, über Popstars, Politiker und andere Prominente. Manchmal trafen sie diese Celebrities tatsächlich, manchmal auch nicht. Dann dachten sie sich aus, was sie mit ihnen hätten erleben können, wenn sie ihnen denn begegnet wären. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen - aber diese glamourösen, temporeichen Zeiten sind noch gar nicht so lange vorbei.

Es kommt einem dennoch schon ein wenig historisch vor, was Arezu Weitholz in ihrem ersten Roman "Wenn die Nacht am stillsten ist" erzählt. Ihr Buch beginnt mit dem nächtlichen Monolog einer verlassenen Frau, die am Bett ihres Ex-Freundes sitzt. Ludwig heißt er, und er ist so ein New-Journalism-Epigone und intellektueller Überflieger, der ehrfurchtgebietende Bücher verfasst. Blöd, dass der Kisch-Preisträger als journalistischer Borderliner auffliegt und nach einer Überdosis Schlaftabletten möglicherweise seinem Nachruf entgegendämmert.

Die in Gegenwart ihres Geliebten immer etwas unsichere Ich-Erzählerin nutzt die Gunst der Stunde und wird endlich los, was sie Ludwig nie zuvor zu sagen wagte. Sie erzählt also von sich. Von ihrer Zeit in Südafrika, wo sie als DJane arbeitete und ein paar Freunde im Drogenrausch verloren hat. Vom Selbstmord ihres Vaters. Von der in einem Altersheim dahinsiechenden Mutter. Sie spricht zu diesem neurotischen, arroganten, unzugänglichen Mann, von dem sie fasziniert ist, wie zu einem Unbekannten, dem sie sich endlich als ein eigenständiges Ich vorstellen will. Sie nutzt seine Schwäche, um selbst endlich Stärke zeigen zu können.

Zum Glück setzt die Geschichte noch einmal an

Als man schon vermuten muss, dass hier eine endlose Suada am Sterbebett beginnt, setzt die Geschichte noch einmal ein, diesmal aus personaler Perspektive. Nun erfahren wir, was vor dieser Nacht geschehen ist. Und wir hören mehr von Anna, die nach ihrer Rückkehr aus Südafrika bei einem angesagten Hamburger Szene-Magazin gelandet und unter die Popjournalisten geraten ist. Kein einfaches Los: Sie kommt in diesem Hipster-Haifischbecken ganz schön ins Strampeln, attackiert von maßloser männlicher Eitelkeit. Gut, dass zu Hause ihr Goldfisch im Aquarium wartet; ihm kann sie sich anvertrauen.

Ludwig ist ihr Chef, bewundert und gefürchtet und undurchschaubar, gebildet und unfehlbar, was ihn für die haltlose Anna ziemlich reizvoll macht. Die beiden werden ein Paar, bis Ludwig ihr eines Morgens ohne Vorwarnung den Laufpass gibt. Am Ende dieses Tages sind wir wieder am Anfang des Buches angekommen - "wenn die Nacht am stillsten ist".

Arezu Weitholz, 1968 geboren, hat als Textdichterin für Herbert Grönemeyer und Campino gearbeitet, zudem zwei Bände mit skurril-lustigen Fischgedichten veröffentlicht. Sie hat wie Anna in Südafrika Platten aufgelegt, und wenn sie in ihrem Buch von einem Interview mit Madonna erzählt, dann dürfte die Autorin dem Star tatsächlich begegnet sein. Ihre Sprache ist den Coolness-Riten einer bestimmten Szene abgeschaut, ihr Buch hat Drive und Witz - Weitholz möchte ihre Leser auf keinen Fall langweilen.

Was dazu führt, dass sie keinen Bogen um Slogans und knallige Popsongzeilen macht und häufig erzählt wie eine Feuilletonistin, die ungern auf eine originelle Wendung verzichtet. "Hätte war der kleine Bruder von feige", kalauert sie. Oder: "Die Band war wie Science-Fiction-ELO, und sie war eine urbane Alice im Technowunderland." Und schon der Titel spielt auf ein Lied von Ton Steine Scherben an. Viel schöner, weil nicht unter dem Diktat einer vorgeformten, hippen Sprache stehend, sind die Passagen über den Besuch bei Annas Mutter im Heim, die das Verlorensein im eigenen Milieu kontrastieren und von der Einsamkeit des Alters erzählen.

Trotz gelegentlicher Bemühtheiten in der sprachlichen Überhöhung eines Lebensgefühls ist dieses Debüt lesenswert - gerade, weil es auch vom Misslingen urbaner Lebensentwürfe handelt. Davon, wie es sich anfühlt, wenn die Nadel in der Auslaufrille der Platte hängenbleibt und keiner mehr in der Lage scheint, einen neuen Song aufzulegen. Arezu Weitholz hat den Roman einer schon an ihren Voraussetzungen zerschellenden Liebe geschrieben. Aber nicht nur eine Liebe wird hier wohl beerdigt, sondern auch eine bestimmte Form des Journalismus.

Arezu Weitholz: Wenn die Nacht am stillsten ist. Roman. Kunstmann Verlag, München 2012. 224 Seiten, 17,95 Euro.

© SZ vom 12.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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