Obamas Rede zur Lage der Nation:Linkes Programm mit neuem Selbstbewusstsein

U.S. President Barack Obama waves from Air Force One at Andrews Air Force base near Washington

US-Präsident Obama bekennt sich zu einer linken Agenda.

(Foto: Reuters)

Der Staat wird gebraucht, überall - so hätte Obama seine Rede zur Lage der Nation auch zusammenfassen können. Der US-Präsident gilt in seinem Land als ehrgeiziger Linker, und er ist auf der Höhe seiner Macht. Die Hindernisse der Gegenwart aber hat er längst nicht überwunden.

Ein Kommentar von Nicolas Richter, Washington

Die amerikanische Linke hat sich oft von ihren Gegnern definieren lassen. Der rechte Präsident Ronald Reagan verwendete das Adjektiv "liberal", den in Amerika üblichen Begriff für links, wie ein Schimpfwort. Wenn er Widersacher "liberal, liberal, liberal" nannte, gerieten seine Anhänger in Ekstase. Als George Bush Senior Präsident werden wollte, nannte er den demokratischen Rivalen Michael Dukakis einen "Liberalen", woraufhin Dukakis über eine "Schlammschlacht" klagte. Statt ihre Ideen und ihre Errungenschaften - Sozialstaat, Gerechtigkeit und Rassengleichheit - zu verteidigen, ließen sich Amerikas Linke von den Rechten beschimpfen: Als "liberals" im abfälligen Sinne, als naive Gutmenschen, Verschwender oder Schwächlinge.

Nun hat Barack Obama die Verzagtheit abgelegt; die seiner Partei, aber auch seine eigene. Er hat eine Rede zur Lage der Nation gehalten, wie sie lange nicht mehr gehalten wurde: Das Programm stammte eindeutig von der Linken, Selbstbewusstsein (und Hybris) hingegen von den Rechten. Er hat alles in diese Rede gepackt, was den Demokraten lieb ist: Mindestlohn, Kindergärten, Brückenbau, Umweltschutz. Der Demokrat Bill Clinton hat einmal gesagt, die Zeit "großer Regierungen" sei vorbei - es war ein Zugeständnis an den Zeitgeist, der den Staat als Hindernis sah und den Markt als Heilsbringer. Obama hingegen hätte seine Rede auch so zusammenfassen können: Die Zeit kleiner Regierungen ist vorbei. Der Staat wird gebraucht, überall.

Dass Präsident Obama nun wahlkämpferischer klingt als der Wahlkämpfer Obama, ist ein neuer Beweis dafür, wie befreit er sich in dieser zweiten Amtszeit fühlt. Er ist überwiegend beliebt, Anführer einer wachsenden Wählerkoalition, muss sich selbst keiner Wahl mehr stellen, und seine Gegner, die Republikaner, wirken erschöpft. Der Präsident mag die Geschichte vor Augen haben und davon träumen, dass die Leistungen der Linken eines Tages mit den Worten Roosevelt, Kennedy, Obama beschrieben werden. Die Hindernisse der Gegenwart aber hat er längst nicht überwunden.

Obamas Stärke liegt darin, dass er die Mitte der Gesellschaft hinter sich hat. In fast allen seinen Anliegen folgt ihm eine Mehrheit, ob bei Einwanderung, Klimaschutz, Homo-Ehe. In Deutschland könnte Obama mit diesem Programm als gemäßigter CDU-Politiker durchgehen. Dass er in den USA als ehrgeiziger Linker gilt, zeigt nur, wie weit der politische Schwerpunkt Amerikas nach rechts gerückt ist. Das Zentrum lag lange Zeit rechts von der Mitte; Obama möchte es wieder links davon etablieren.

Die Republikaner bleiben bei ihrem Programm

Allerdings kann er sich das konservative Amerika nicht wegwünschen. Ohne die Hilfe zumindest einiger Republikaner im Kongress werden Obama keine bleibenden Reformen gelingen. Zurzeit regiert er mit dem Volk (oder den Umfragen) gegen das Parlament. Statt mit den Republikanern zu verhandeln, teilt er ihnen mit, was er und die Mehrheit für vernünftig halten - und verlangt dann Gefolgschaft. Diese Taktik war beim jüngsten Haushaltsstreit erfolgreich, aber sie muss es nicht bleiben.

Amerika nämlich hat viele Öffentlichkeiten. Die große, landesweite neigt zu Obama, aber die kleinen Öffentlichkeiten in den konservativen Wahlkreisen verlangen von ihren republikanischen Abgeordneten, bloß nicht nachzugeben. Sie erwarten von ihnen, Obamas gefühlte Angriffe auf Waffenrecht und Haushaltsdisziplin abzuwehren. Handelt ein rechter Abgeordneter nicht in diesem Sinne, muss er fürchten, seinen Sitz im Kongress an einen noch rechteren Rivalen zu verlieren.

Die Republikaner haben zwar erkannt, dass sie moderner aussehen und klingen müssen, weniger dummdreist, netter zu den Latinos. Doch ihr Programm hat sich kaum geändert. Sie haben aus eigener Sicht kein Problem der Ideologie, nur eines der Verpackung. Obamas republikanischer Gegenredner Marco Rubio klang zwar netter und jünger als Mitt Romney, aber auch seine Botschaft lautete: Der Staat soll sparen, das Recht auf Waffen verteidigen, und Amerika soll Kohle und Öl verfeuern, weil Gott es im Überfluss geschenkt habe. Die Republikaner also werden Obamas Pläne verhindern, wo sie können; sonst, fürchten sie, könnte dieser 2014 sogar noch die Parlamentsmehrheit gewinnen, dann brächen alle Dämme.

Barack Obama hat den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Statt wie früher seine Agenda schon vorbeugend zu verschlanken, bekennt er sich nun zu ihr - in ihrer ganzen Ausführlichkeit. Wenn die Republikaner sie ablehnen, sollen sie selbst die Verantwortung übernehmen für die Folgen. Ein Risiko aber bleibt auch für ihn: der Präsident zu werden, der seine Versprechen nicht einlösen konnte.

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