Meteor über Russland:Sprengkraft von 33 Hiroshima-Bomben

Der Meteor, der über dem Ural explodierte, war vermutlich 17 Meter groß, 10.000 Tonnen schwer und hatte eine viel größere Sprengkraft als die Atombombe von Hiroshima. Zum Glück zerbarst der Asteroid in einer Höhe von mehr als 15 Kilometern.

Von Markus C. Schulte von Drach

Der Asteroid, der am Freitag über der russischen Stadt Tscheljabinsk zerborsten ist, war vermutlich 17 Meter groß - und damit deutlich größer als zuvor vermutet. Das geht aus Schätzungen hervor, die die Nasa veröffentlicht hat. Das Gewicht des Himmelskörpers lag der US-Raumfahrtbehörde zufolge bei 10.000 Tonnen. Er drang um 4:20 mitteleuropäischer Zeit mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 18 Kilometern pro Sekunde in einem flachen Winkel von weniger als 20 Grad in die Atmosphäre der Erde ein. Da war er noch 6500 Kilometer von der Stadt im Ural entfernt.

Etwa 50 Kilometer über der Erdoberfläche begann der Asteroid zu zerbrechen. 32,5 Sekunden nach dem Eintritt in die Atmosphäre - dem Zeitpunkt, ab dem von einem Meteor gesprochen wird - und in einer Höhe von 15 bis 25 Kilometern, explodierte der Himmelskörper. Die Energie, die bei dem sogenannten Airburst freigesetzt wurde, entsprach vermutlich 500 Kilotonnen TNT-Äquivalent. "Ein Ereignis dieser Größenordnung erwarten wir im Durchschnitt etwa alle hundert Jahre", sagte Paul Chodas vom Near-Earth Object Program der Nasa am Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien.

Um sich eine Vorstellung von der Gewalt des Ereignisses zu machen, hilft der Vergleich mit der Sprengkraft der Atombombe von Hiroshima. Diese lag bei ungefähr 15 Kilotonnen TNT-Äquivalent. Die Explosion des Meteors von Tscheljabinsk war demnach mehr als 33 Mal stärker. Da sie jedoch in so großer Höhe stattfand, war die zerstörerische Wirkung der Druckwelle am Erdboden verhältnismäßig gering. Trotzdem richtete sie schwere Schäden an und verletzte Hunderte Menschen. Die Atombombe, die die USA über der japanischen Stadt Hiroshima abwarfen, war dagegen in einer Höhe von nur 600 Metern explodiert und tötete sofort bis zu 80.000 Menschen.

Die Explosion des Meteors über dem Ural ist der heftigste Vorfall mit einem Himmelskörper seit dem sogenannten Tunguska-Ereignis 1908. Große Teile der Taiga um den Fluss Tunguska in Sibirien wurden damals durch die Explosion eines Asteroiden verwüstet, der ebenfalls über der Erde zerbarst.

Meteoriten-Schauer in Russland

Die Druckwelle der Explosion des Meteors ließ in der Stadt etliche Fensterscheiben bersten. Hunderte Menschen erlitten Schnittverletzungen.

(Foto: dpa)

Zwar gab es am Freitag keine Toten. Doch etwa 1200 Menschen wurden der Nachrichtenagentur AFP zufolge verletzt. Die meisten erlitten Schnittwunden durch berstende Glasscheiben, andere Knochenbrüche oder Gehirnerschütterungen. 40 Verletzte, so berichtete der TV-Sender Rossija, befanden sich am Sonntag noch im Krankenhaus von Tscheljabinsk. Fast 5000 Gebäude wurden beschädigt. Inzwischen sind mehr als 20.000 Helfer dabei, die Schäden zu beseitigen, wie das Katastrophenschutzministerium in Moskau mitteilte.

Russische Wissenschaftler haben inzwischen kleine Gesteinsbrocken, die am Tschebarkul-See gefunden wurden, als Meteoriten identifiziert - also als Teile des Meteors, die die Erdoberfläche erreicht haben. Viktor Grochowskij von der Uralischen Föderalen Universität in Jekaterinburg, erklärte der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti zufolge, dass es sich bei den kleinen Gesteinsbrocken, um "gewöhnliche Chondriten" handele. "Es ist ein Steinmeteorit mit einem Eisenanteil von etwa zehn Prozent." Ein größeres Stück des Asteroiden hat möglicherweise ein acht Meter großes Loch in die Eisdecke des Sees geschlagen, der etwa 80 Kilometer von Tscheljabinsk entfernt ist. Taucher konnten den Meteoriten jedoch nicht finden.

Meteoriten-Splitter bei Tscheljabinsk entdeckt

Dieser winziger Meteoritensplitter, gefunden in der Nähe des Tschebarkul-Sees, ist vermutlich Teil des Asteroiden, der über dem Ural explodiert ist.

(Foto: dpa)

Unterschätzte Gefahr?

"Bei einem Feuerball dieser Größe rechnen wir mit einer großen Zahl von Meteoriten, die die Erdoberfläche erreichen", erklärte Nasa-Wissenschaftler Chodas. "Und in diesem Fall sollten einige große dabei sein." Steinmeteoriten machen mehr als 80 Prozent aller Meteoriten aus. Bei den übrigen Meteoriten handelt es sich um Eisen- oder Stein-Eisen-Meteoriten.

Die Schätzungen zur Größe des Meteors und dem Verlauf des Ereignisses gehen auf Infraschallmessungen zurück, die von etlichen Stationen weltweit vorgenommen wurden. So meldeten zuerst Sensoren einer Beobachtungswarte in Alaska, 6500 Kilometer von Tscheljabinsk entfernt, als Erste das Auftreten ungewöhnlicher Schallwellen. Etliche Stationen des International Monitoring System (IMS) der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) lieferten weitere Daten. Die Infraschallstationen messen mit speziellen Barometern Luftdruckschwankungen, die für das menschliche Ohr nicht hörbar sind und auf Kernwaffentestst zurückgehen könnten. Anhand der CTBTO-Daten berechnete Peter Brown von University of Western Ontario, Kanada, die Größe und Masse des Asteroiden.

Während der Asteroid 2012 DA14, dessen Vorbeiflug am Freitag die Astronomen berechnen konnten, etwa 60 Meter groß ist, war der Himmelskörper, der über dem Ural explodierte, einfach zu klein, als dass er mit den derzeit verfügbaren Mitteln leicht hätte bemerkt werden können. Um alle Asteroiden aufzuspüren, die der Erde nahekommen könnten, müssten Astronomen den gesamten Himmel nicht nur mit den Teleskopen von der Erde aus, sondern auch mit den relativ wenigen vorhandenen Weltraumteleskopen absuchen - und zwar ständig. Das aber kostet deutlich mehr Geld, als derzeit in entsprechende Programme investiert wird. Vielleicht wird die Explosion über dem Ural die Diskussion darüber und um die Entwicklung von Abwehrmaßnahmen gegen Asteroiden anheizen.

Meteor shower over central Russia

Hat ein Meteorit dieses Loch ins Eis des Tschebarkul-Sees geschlagen? Taucher konnten noch keine Reste des Asteroiden finden.

(Foto: dpa)

Denn der Meteor von Tscheljabinsk hat eindringlich demonstriert, was passieren kann, wenn schon ein relativ kleiner Himmelskörper der Erde zu nahe kommt. Was geschehen würde, wenn ein Asteroid wie 2012 D14, der am Freitag dicht an der Erde vorbeigeflogen ist, mit unserem Planeten kollidieren würde, möchte man sich nicht ausmalen. Die meisten Asteroiden in unserem Sonnensystem, die eine Größe von 1000 oder mehr Metern aufweisen, wurden zwar bereits aufgespürt. Von kleineren Exemplaren gibt es jedoch vermutlich noch etliche, die unbekannt sind, und die auf der Erde zu erheblichen lokalen oder regionalen Zerstörungen führen könnten.

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