Einsatz in Bangladesh:Der Strom kommt mit der Rikscha

Die Vaterstettenerin Nancy Wimmer fährt regelmäßig nach Bangladesch, um dort die Arbeit des Unternehmens Grameen Shakti zu begleiten. Die Firma bringt alternative Energie in die armen Dörfer des Landes

Von Sophie Rohrmeier

Flugs huscht Nancy Wimmer über den Marmorboden im Erdgeschoss ihres Hauses. Zu kalt sei der ohne Schuhe, sagt sie. "Dabei werde ich bald in Bangladesch sein, und da ist es viel zu heiß." Die keck nach außen geföhnten grauen Haare versprechen denselben Frohsinn, mit dem Nancy Wimmer über die Strapazen spricht, die sie erwarten. Aber Nancy Wimmer will sich nicht erholen. Stattdessen wird sie durch überflutete Straßen waten, mit Rikscha und Bus schlammige Straßen passieren und Solarzellen begutachten. Denn die Vaterstettenerin begleitet in Bangladesch die Arbeit der Firma Grameen Shakti und damit die Verbreitung von Fotovoltaik und anderen erneuerbaren Energiequellen auf dem Land. Die gebürtige Amerikanerin ist inzwischen wieder dorthin geflogen.

An diesem Tag aber hat sie erst einmal Staubmasken für ihre Reise bestellt. Und noch ein paar bunte Schals gekauft. "Sonst sehe ich dort in meinen Hosen aus wie ein Mann." Sportlich sei die Mode dort nicht, scherzt Nancy Wimmer und schildert, wie sich ohne Übung die langen Stoffe der Saris in den Rikschas verheddern. Dabei muss sie praktische Kleidung tragen, wenn sie bald in die verstreuten Dörfer Bangladeschs reisen wird, um zu sehen: Wie oft essen die Familien, bleibt etwas für die Frauen übrig, die traditionell am Schluss essen? Wie sehen die Häuser aus, gibt es Mückennetze? Und gehen die Kinder zur Schule? Daran wird sie den Wohlstand ermessen, den Grameen Shakti in die Dörfer bringen will. In Fallstudien wird sie dann darüber berichten, aus ihren Analysen sollen Studenten an Business Schools lernen.

"Ländliche Energie" lautet die Übersetzung von "Grameen Shakti", dieser gemeinnützigen Firma, die Fotovoltaikanlagen an Arme verkauft und so Arbeit und Einkommensmöglichkeiten schaffen will. 164 Millionen Menschen leben in Bangladesch, die Hälfte davon am Existenzminimum und 36 Prozent gelten als extrem arm. Die simple Devise von Shakti: "Rural business does well, if the village does well." In einem ungesunden Dorf kann kein gutes Geschäft entstehen. "Friedrich Wilhelm Raiffeisen hatte diese Einsicht vor hundert Jahren", erklärt Wimmer.

Vor 23 Jahren war sie das erste Mal nach Bangladesch. Im selben Jahr, 1990, war sie mit ihrem Mann Klaus nach Vaterstetten gezogen. Wenn sie heute von ihrem hellgelb getünchten Büro aus auf ihren Garten blickt, der jetzt voller schneebedeckter Rhododendren steht, beschreibt sie mit dem Arm einen weiten Bogen. "Im Frühling blüht hier alles." Ein Refugium hat sie hier. Aber vor kurzem hat die Gemeinde Sträucher geschnitten, weil sie in die Parkplätze hinter dem Garten hineinragten. "Da denke ich: Die haben zu viel Zeit."

Nancy Wimmer kennt viele Gemeinwesen in der Welt, die sich um ganz andere Dinge kümmern müssen, sie war in Peru, in Nepal und eben in Bangladesh. Dort leben Millionen von Menschen ohne Strom, ohne Bildung, kaum Nahrung oder sanitäre Anlagen. Dunkelheit - das bedeutet auch, dass mit dem Einbruch der Nacht die Arbeit zu Ende ist. Kein Nähen, kein Lernen ist möglich. Dorthin fuhr sie 1990, weil es dort etwas gab, das die studierte Philosophin und Systemanalytikerin faszinierte: Eine Bank, die den Armen half. "Das klang und klingt wie ein Widerspruch. Ich konnte mir das nicht vorstellen." Es war die Grameen Bank von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Armut zu bekämpfen. Ebenso Grameen Shakti, die Nancy Wimmer von Anfang an, seit 1996, begleitet.

Das finanzielle Elend und die Bildungsarmut der Bangladeschis auf dem Land, vor allem der Frauen, war ein Schock für Nancy Wimmer, als sie das erste Mal dort ankam. "Strom in diese Dörfer zu bringen, ist eine Mammutaufgabe." Schlammige Straßen, verstreute Siedlungen. Und noch immer gibt es in Bangladesch nur geringe staatliche Sozialleistungen - in einem Land, in dem das Leben dauerndes Risiko bedeutet: Mit Stürmen muss die Bevölkerung ständig rechnen, Versicherungen aber gibt es kaum.

Nancy Wimmer wird dieses Jahr in die Regenzeit geraten, unerträglich heiß und feucht ist es dann. Ihre 26. Reise in den Staat am Golf von Bengalen wird es sein. Kein Reiseveranstalter, kein bequemes Hotel wird filtern, was sie zu sehen und zu fühlen bekommt. "Ich erlebe die Wirklichkeit der Menschen dort." In ihrem Alter verbringen viele deutsche Senioren, die es sich leisten können, Wochen auf Kreuzfahrtschiffen. Für Wimmer käme eine Pauschalreise nicht in Frage. "Da komme ich dann zurück - und weiß nichts. Gar nichts!", ruft sie aus. "Ich bin nie Touristin dort." Sie zieht die Unbequemlichkeit der Wege in die bangladeschischen Dörfer vor. Rikscha, Bus, Boot und zu Fuß, stundenlang - den halben Tag oder länger braucht sie oft, bis sie am Ziel ist. "Wenn Sie die Boote sehen würden, oh mein Gott, Sie denken, das bricht auseinander." Traurig macht sie aber nur, wenn die Fotos, die sie schießt, nichts werden - von Hütten, die bald verschwunden sein werden. Die Flüsse aus dem Himalaja tragen viel Schlamm ins Delta von Bangladesch, aus den Ablagerungen bilden sich Inseln, die Chars. Darauf bauen die Dorfbewohner ihre Häuser - und müssen umziehen, wenn ihnen der Boden unter den Füßen weggeschwemmt wird.

Aus dieser Not, erklärt Nancy Wimmer, erwachse den Angestellten von Shakti der Wille, dass es dem eigenen Land besser geht. Die Idee von Shakti ist, dass in den Dörfern so große Nachfrage nach Licht und Strom besteht, dass die Bewohner trotz ihrer relativen Armut investieren. Shakti versucht das soziale Problem zu lösen - durch dauernden Versuch und Irrtum. "Das ist eine völlig andere Art des Denkens", sagt sie. Ein Produkt, das einfach zu warten ist, verkauft von gut ausgebildetem Personal, das weitere Mitarbeiter ausbildet - und der Profit wird zu 100 Prozent wieder in das Unternehmen investiert. Zudem stellt die Firma nur Bangladeschis ein, kein ausländischer Berater soll vom Unternehmen profitieren. Deshalb ist auch Wimmer keine Mitarbeiterin von Shakti. Sie sieht sich als Botschafterin, die publiziert, berät und Vorträge hält.

Die Persönlichkeiten, die Shakti zum Erfolg führten, stehen für Wimmer im Zentrum: Menschen wie der junge Elektroingenieur Faroque, den sie im Hinterland Bangladeschs kennen lernte. Er sollte in einem der am wenigsten entwickelten Landkreise eine Zweigstelle eröffnen - als er mittels Rikscha und Bus ankam, wusste er nicht einmal, wo er schlafen sollte. Aus der Perspektive dieser "Pioniere" hat Nancy Wimmer die Geschichte der Firma erzählt, in ihrem Buch "Innovation & Energie für Millionen Dörfer". Über sich selbst will sie nicht sprechen. Ihr Alter tue nichts zur Sache und auch sonst spricht Nancy Wimmer kaum von etwas, das zu Wirbel um ihre Person führen könnte. Ihr Entschluss, nur von Shakti zu sprechen, scheint fest gefasst. Nur ein Satz entwischt ihr, der etwas über ihre Rolle verrät: "Ich habe substanzielle Fördermittel locker gemacht."

Bei ihrem ersten Besuch bei der Grameen Bank sprach Nancy Wimmer mit einer Frau, die nie die Zukunftsform verwendete. "Weil sie keine hatte", erklärt sie. Die Frau lebte von einem Tag auf den anderen. 98 Prozent der Kunden dieser Bank sind Frauen. Denn sie dürften, erzählt Nancy Wimmer, nicht einmal auf dem Basar arbeiten, das sei in Bangladesch verboten. Grameen Shakti bildet viele Frauen in den Dörfern zu Solar-Unternehmerinnen aus, das macht die Frauen selbständig und stolz. Der Status ist wichtig in Bangladesch. Vor qualifizierten, wohlhabenden Personen haben die Menschen Respekt. Auch Nancy Wimmer besucht als weiße, reiche Frau die Dörfer dort, obwohl sie bescheiden auftritt. "Aber natürlich sehen die, was wir haben." Dennoch, sie wird freundlich aufgenommen - und sie hat sich Ohrlöcher stechen lassen, als die Menschen in Bangladesch sie für sehr arm hielten, weil sie keinen Schmuck trug.

Wie auch ihr, so vertrauen die Dorfbewohner den qualifizierten Ingenieuren, die Shakti einstellt. Sie kommen frisch von der Uni und verkaufen die Fotovoltaikanlagen, bekommen dafür von der Firma gutes Gehalt. Vor allem aber kommen die Ingenieure und Ausbilder selbst vom Land. Sie kennen die Not.

"Aber natürlich sind das nicht alles Gutmenschen", gibt Nancy Wimmer zu. Einige ziehen weiter, zu großen Unternehmen, wo sie das Dreifache verdienen. Aber die Leistungen, die Shakti seinen Mitarbeitern bietet, ziehen immer wieder neue Bewerber an: Versicherungen etwa. Das sind Lebensstützen, die in Bangladesh schwierig zu bekommen sind. Besonders wichtig aber ist der gute Name: "Wer bei Grameen Shakti arbeitet, der ist wer", sagt Nancy Wimmer. "Und er sieht sofort den Beitrag, den er geleistet hat." So funktioniert das Modell: durch die Begeisterung dafür, dass ein Weg aus der Not zu finden ist.

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