Augsburger Pflegeheim lehnt Bestnote ab:"Da geht es nur um Macht und Geld"

Pflegerin mit alter Frau

Alte Menschen im Pflegeheim: Viele Einrichtungen buhlen um gute Noten - häufig sind diese aber nicht gerechtfertigt.

(Foto: dpa)

Ärger über die Bestnote: Armin Rieger leitet in Augsburg ein privates Pflegeheim und hat vom "Pflege-TÜV" schon mehrmals hervorragende Noten bekommen. Davon hat er jetzt genug. Rieger hält die Bewertung für glatte Verbrauchertäuschung - und legt sich mit seiner Branche an.

Von Dietrich Mittler

In der Pflegebranche hat Armin Rieger seinen Ruf weg. Der Mittfünfziger, dessen Augen kämpferisch hinter seiner blauen Brille hervorlugen, ist durch und durch Rebell. Und ein erfolgreicher noch dazu. Zweimal bereits hat sein Heim - das Haus Marie in Augsburg - vom sogenannten Pflege-TÜV des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Traumnoten bekommen, bei der zweiten Heimvisite gar eine 1,0. Und jedes Mal hätte Rieger da am liebsten laut aufgeschrien, nicht vor Freude, sondern vor Wut. "Der Pflege-TÜV ist nichts anderes als die Legalisierung des Betrugs", sagt er. Bewusst sucht Rieger jetzt die Eskalation. Er teilte den Prüfern des MDK klipp und klar mit: "Ich will keine gute Note von euch."

Damit aber nicht genug: Als sie vor kurzem das Haus Marie aufsuchten, verweigerte er ihnen gar die Herausgabe eines Ordners. Der enthielt zwar keine Geheimnisse, sondern lediglich längst bekannte Angaben - wie etwa die Zeiten, wann es im Haus Frühstück oder Mittagessen gibt. Aber dieser Akt des Ungehorsams brachte die Mitarbeiter des MDK offenbar reichlich ins Schwitzen: "Da sind, glaube ich, die Telefone heiß gelaufen", freut sich Rieger. Auf jeden Fall bekam er - wie gewünscht - eine schlechte Note, eine 3,6. "Damit leite ich nun vermutlich das am schlechtesten bewertete Heim in ganz Bayern", sagt er.

"Das ist eine glatte Verbrauchertäuschung"

Laut Rieger liegt der Notendurchschnitt für die etwas mehr als 1700 Altenheime im Freistaat derzeit bei 1,3. Er sieht darin eine Farce. "Das ist eine glatte Verbrauchertäuschung", sagt er. Rieger ist zwar nicht der Einzige, der die Noten des MDK anzweifelt. Auch Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer hat im Herbst 2012 erklärt, dass die Pflegenoten "nicht die tatsächliche Situation in den Einrichtungen" widerspiegeln, und ausgewiesene Wissenschaftler kritisieren, das Verfahren sei "methodisch fragwürdig" und bei der Auswahl eines geeigneten Pflegeplatzes wenig hilfreich.

Problematisch ist nach Meinung des Sozialministeriums vor allem, dass schlechte Noten in einem Bereich mit guten Noten in einem anderen ausgeglichen werden könnten - etwa Pflegemängel durch die Lesefreundlichkeit der Speisekarte. "Das muss man doch demaskieren", ereifert sich Rieger. Die Realität sei: Wer seinen Pflegekräften auf die Finger schaue - "nicht ob sie gut pflegen, sondern ob sie gut dokumentieren" -, der bekomme die Note eins. Und dann wird Rieger knallhart, als er auf seine Anfänge in der Pflegebranche zu sprechen kommt: "Ich war völlig überrascht, wie es in der Pflege zugeht. Da gibt es weder etwas Christliches noch etwas Wohltätiges. Da geht es nur um Macht und Geld." Damit macht er sich nicht beliebt.

Klartext im Landtag

Mit guten Noten vom Pflege-TÜV lässt sich Geld verdienen. Das ergab etwa eine Blitzumfrage der Contec-Gesellschaft für Organisationsentwicklung. Demnach gaben zehn Prozent der befragten Einrichtungen an, die Heimbelegung habe sich nach der Veröffentlichung der positiven Ergebnisse verbessert. Folglich wird fleißig damit geworben. Die Innere Mission München etwa lanciert in Pressemitteilungen Botschaften wie: In allen bisherigen MDK-Benotungen seien die eigenen Häuser "immer deutlich über dem jeweils aktuellen bayerischen Durchschnitt gelegen".

Rieger, der sich seine 3,6 geradezu erzwungen hat, vertraut darauf, dass er solche Werbung nicht braucht. "Wir sind so ausgebucht, dass wir Leute abweisen müssen", sagt er. Am Dienstag will er im Landtag beim Pflegesymposium Klartext reden: Es gebe Gründe, die Mängel in der Pflege nicht zu hoch zu bewerten und lieber Bestnoten zu verteilen: "Sonst müsste der MDK nämlich zu seinem eigenen Auftraggeber, den Kassen, sagen: Ihr müsst den Heimen mehr Personal zur Verfügung stellen", sagt Rieger.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: