Oscars 2013:Singend geht die Show zugrunde

Oscars, Day-Lewis, Lawrence, Hathaway and Waltz pose with their Oscars backstage at the 85th Academy Awards in Hollywood

Daniel Day-Lewis, Jennifer Lawrence, Anne Hathaway und Christoph Waltz - die Einzel-Gewinner dieser Oscar-Nacht.

(Foto: REUTERS)

Es ist erfreulich, dass Christoph Waltz und Michael Haneke einen Oscar gewonnen haben. Auch Ben Afflecks Film "Argo" ist ein netter Überraschungserfolg. Dennoch: Die Oscar-Verleihung ist eine Veranstaltung aus dem vorigen Jahrhundert. Das kann auch ein frecher Jungmoderator nicht ändern.

Von Ruth Schneeberger und Paul Katzenberger

Seth MacFarlane macht normalerweise Witze über Hitler. Oder über Blähungen. Oder beides zusammen. Der Schöpfer der Zeichentrick-Serie "Family Guy" und der Kinokomödie "Ted" nahm sich als Moderator der Oscar-Nacht dann aber doch zurück - und schrammte nur vergleichweise harmlos an der politischen Korrektheit vorbei, als er den Auftakt der großen Galashow gleich mit einem Lied namens "We saw your Boobs" bestritt.

Ähnliches Liedgut würde genauso problemlos in eine Karnevalssitzung einer rheinischen Kleinstadt passen und niemanden wundern. Auch die sorgfältig gestylten Hollywoodstars in Los Angeles machten gute Miene zum leicht anstrengenden Spiel - und amüsierten sich zumindest für die Kameras prächtig. Denn, hey, das sind die Oscars! Big Business, great Show - was dann abseits der Preisverleihung passiert, ist doch egal. War es auch.

Noch nie wurde so viel gesungen in einer Oscarnacht. Das postpubertäre Einstimmungs-Liedchen des 39-jährigen Moderators war nur der Vorbote. Ständig wurde irgendwo geträllert, und meist nicht sonderlich gut. Das kennt man so eigentlich nur noch aus Musicals, den schon genannten Karnevalssitzungen - und von Filmen aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, wo Schauspieler nahtlos und ohne Vorwarnung von der Sprech- zur Sangesrolle wechselten und dazu noch tanzten oder gar steppten. Inzwischen hat sich diese nervige Unsitte wieder gelegt - nur für die Oscarnacht 2013, hey, da wurde sie einfach wiederentdeckt! Ganz großes Kino.

Shirley Bassey schmetterte im Gold-und-Glitzer-Fummel angestrengt "Goldfinger", Barbra Streisand trällerte ebenfalls im Glitzerfummel für den verstorbenen Marvin Hamlisch "The way we were" und Sängerin Adele - in welcher Art Kleid wohl - sang immerhin sehr ordentlich ihren oscarprämierten Bond-Song "Skyfall". Tiefpunkt der Show war dann die Darbietung der Schauspieler des Musical-Films "Les Misérables" - zu viel des Guten.

Wofür stehen die Oscars noch mal? Ach ja: für die besten Filme der Welt, zumindest aus US-Sicht. Wer sich die Academy-Awards-Übertragungen der vergangenen Jahren angeschaut hat, wird attestieren: Die Oscar-Verleihung ist eine Veranstaltung aus dem vergangenen Jahrhundert. Was als eine der größten Shows der Welt gefeiert wird, ist bei genauerer Betrachtung rückwärtsgewandt, selbstreferentiell, überladen und zugleich eintönig ohne Ende.

Um diesen Eindruck zu übertünchen und auch jüngeres Publikum für die mehr als dreistündige Übertragung zu begeistern, sollte das Musikprogramm offenbar dazu beitragen, die Show lebendiger zu gestalten. Diese Rechnung konnte aber nur für Musical-Fans aufgehen. Deswegen jetzt zu den Filmen, um die es ja eigentlich gehen sollte.

Spielberg mit Glück zum Trostpflaster

Bei den nominierten Filmen nämlich war vieles anders als in den Vorjahren. Da war zunächst die ungewohnte Ernsthaftigkeit der behandelten Themen. Waren es 2012 nahezu ausschließlich nostalgische Märchen, die am Hollywood Boulevard geehrt wurden, gingen in diesem Jahr so politische Filme wie "Lincoln", "Zero Dark Thirty", "Argo" und auch "Django Unchained" ins Rennen, die zuvor öffentlichen Streit in den USA ausgelöst hatten.

Auch der Hauptgewinner des Abends, Ben Affleck, hatte sich für seinen Film "Argo" einiges an Kritik anhören müssen. Mit der wahren Geschichte über einen CIA-Agenten, der mit einem erfundenen Filmdreh 1980 sechs amerikanische Geiseln aus Teheran befreite, verärgerte er erst die Kanadier, dann die Briten. Zudem stand Afflecks Film im Verdacht, Geschichtsklitterung zu Gunsten des damals regierenden US-Präsidenten Jimmy Carter zu betreiben. Affleck gewann mit "Argo" den Oscar für den besten Film, war aber für die beste Regie nicht einmal nominiert - das gab es zuletzt 1989, als Bruce Beresford mit "Driving Miss Daisy" den Oscar für den besten Film holte.

Ang Lee durfte sich als zweiter großer Sieger dieser Oscar-Nacht fühlen. Sein Film "Life of Pi" holte einen Oscar mehr als "Argo" (vier statt drei).

Spielbergs "Lincoln" war mit zwölf Nominierungen als großer Favorit in diese Oscar-Nacht gegangen und beendete sie ziemlich gerupft mit nur zwei Academy Awards - einem für das beste Szenenbild und einem Hauptrollen-Oscar für Daniel Day-Lewis. Noch katastrophaler aber verlief der Abend für Kathryn Bigelow, die mit ihrem Film "Zero Dark Thirty" über die Jagd nach Osama bin Laden wohl das heißeste politische Eisen angepackt hatte, dafür jedoch bei der Oscar-Vergabe weitgehend unberücksichtigt blieb. Von den fünf Nominierungen, darunter zwei in Hauptkategorien, blieb ihr am Schluss lediglich ein Oscar für den besten Tonschnitt.

Der Abend war also, was die reine Preisvergabe angeht, spannender als etwa im Vorjahr, als mit "The Artist" und "Hugo Cabret" genau die beiden Filme mit den meisten Nominierungen auch die meisten Oscars abräumten. Doch das ist nur halb so wichtig. Auch wenn der Abend so absehbar verlaufen wäre wie 2012, würde das keineswegs heißen, dass sich im kommenden Jahr weltweit weniger Menschen die Nacht um die Ohren schlagen, um bei diesem Ereignis live dabei zu sein.

Warum die Oscar-Euphorie - auch bei uns in Deutschland - jedes Jahr aufs Neue aber immer noch höher kocht, ist nur teilweise nachzuvollziehen. Sicher hängt es damit zusammen, dass hier berühmte Hollywood-Schönheiten betörend geschminkt den roten Teppich abschreiten. Doch ginge es alleine nach der Qualität der ausgezeichneten Filme, würde die Oscar-Verleihung bei weitem nicht diese Aufmerksamkeit bekommen.

Schablonenhaftes Hollywood

Warum sich das deutsche Publikum beispielsweise für einen Film wie den Favoriten "Lincoln" begeistern sollte, ist eigentlich nicht zu begreifen. Steven Spielbergs Historiendrama mag weniger schmalzig sein als seine früheren Filme, aber kurzweiliger ist es auch nicht geworden. Ganz im Gegenteil: Das Drei-Stunden-Epos, das mit seinen vielen Innenraum-Szenen fast wie ein Kammerspiel wirkt, verlangt dem Zuschauer viel Sitzfleisch ab.

Auch Quentin Tarantino mag in Deutschland schon lange Kult sein, doch sein "Django Unchained", jetzt mit zwei Oscars ausgezeichnet, ist künstlerisch ebenfalls angreifbar. Das geht schon los mit der Frage, wie seine Referenzen an "Django", "Mandingo" und all die anderen Blaxpoitation-Klassiker, Spaghetti-Western und nordischen Sagen zu bewerten sind. Von dem amerikanischen Poeten Ezra Pound stammt das Bonmot, dass schwache Dichter plagiieren, während talentierte Erzähler Übernommenes verbessern.

Tarantino hat in seinen vergangenen Filmen ohne Zweifel schon viel Originalität bewiesen, doch bei "Django Unchained" ist von der Verbesserung der Vorlagen Sam Peckinpahs, Sergio Corbuccis und anderer nicht viel zu sehen. Tarantinos konfuses Drei-Stunden-Blutbad wirkt wie ein Trailer für ein Sklaven-Melodram, das großartig wäre, würde es existieren. So bleibt nur die Gewalt, die so übertrieben wirkt, dass sie nicht berührt, anfänglich ganz unterhaltsame Gags, die durch ständige Wiederholung aber nicht lustiger werden, und das schale Gefühl, dass hier ein ernstes Thema für Klamauk missbraucht wird.

Wie es anders geht, zeigte Michael Hanekes Drama "Liebe", der lediglich in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film" ausgezeichnet wurde. Der Österreicher hätte mehr verdient gehabt, denn seine Filme sind handwerklich dem ansonsten prämierten Hollywood-Kino in vielerlei Hinsicht durchaus überlegen.

Filme wie "Argo", "Lincoln" oder "Django Unchained" sind mit riesigem technischem Aufwand produziert und allein von daher oft sensationell anzusehen. Doch meist haben Helden wie der US-Präsident (in "Lincoln") und der Geheimdienstler Tony Mendez (in "Argo") zwar ihre Eigenheiten, sind im Kern aber grundanständig - und am Schluss fast immer erfolgreich.

Im realistischen Kino des Michael Haneke haben solche Charakterisierungen nichts zu suchen, weil die Menschen, wie Haneke es formuliert, "widersprüchlich sind". Aber den Menschen in seiner Gegensätzlichkeit darzustellen, ist nicht gerade die Stärke des schablonenhaften Hollywood-Kinos. Dort werden eher Storys konstruiert, bei denen am Schluss der Zuschauer mit einer Lösung versorgt wird.

Solche vorschnellen Antworten wollen Filmemacher wie Haneke vermeiden. Sie gehen Geschichten so an, "dass die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie etwas ausgehen könnte, was die Lösungen sein könnten, jede plausibel sind", so Haneke. Ein Kino, das sich diesem Anspruch verpflichtet fühlt, macht sich bei den großen Filmfestivals in Cannes, Venedig und Berlin viel stärker bemerkbar als bei den Oscars.

Aber genauso wenig wie die Show in den vergangenen Jahren revolutioniert oder an neue Sehgewohnheiten oder Unterhaltungspräferenzen der jüngeren Generationen angepasst wurde, so wenig wird wohl auch in Zukunft der US-Film sich mit dem europäischen und eher künstlerischen denn kommerziellen Anspruch messen können - oder wollen.

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