Profiler bei der Polizei:Im Kopf der Schwerverbrecher

Profiler bei der Polizei: Alexander Horn ist einer der bekanntesten Profiler Deutschlands.

Alexander Horn ist einer der bekanntesten Profiler Deutschlands.

(Foto: Robert Haas)

Grausame Szenen beschreibt er in nüchternem Ton, aber wie ein Monsterjäger sieht er nicht aus: Alexander Horn ist Tätern bereits auf der Spur, wenn andere noch völlig im Dunkeln tappen - etwa dem Maskenmann oder den NSU-Tätern. Wie einer der bekanntesten Profiler Deutschlands ermittelt.

Von Florian Fuchs

Es war eine bizarre Szene, Regisseure hätten das sicher gerne gedreht: Alexander Horn, alleine mit dem Verdächtigen im Vernehmungsraum, überzeugt, ihn endlich gefunden zu haben - den Maskenmann. Mehr als 40 Kinder soll der damals 41-Jährige missbraucht und drei von ihnen getötet haben. Immer ganz in Schwarz gekleidet, immer mit einer schwarzen Maske über dem Kopf. Der Mann stieg sogar in Häuser ein und verging sich an Kindern, wenn die Eltern nebenan im Schlafzimmer schliefen.

Horn also war sich sicher, dass dieser Täter nun vor ihm saß, aber es gab keine Fingerspur, keine DNA und auch sonst keine Sachbeweise. "Wir mussten ein Geständnis bekommen, es war die einzige Chance." Horn bekam das Geständnis, am Ende lehnte der Täter an seiner Schulter und weinte. Der Ermittler hielt seine Hand.

Es ist eine Szene wie im Kino, aber damit braucht man Horn gar nicht erst zu kommen. Mit Krimiserien und Psychothrillern hat er es nicht so. Das mag einerseits daran liegen, dass sich Horn in seinem Beruf als Profiler ohnehin jeden Tag in die Gedankenwelt von Sexualtätern, Mördern und Kinderschändern einarbeiten muss. Es liegt aber auch daran, dass das Fernsehen ein schiefes Bild von seiner Arbeit vermittelt.

Der Profiler arbeitet Mordkommissionen und anderen Ermittlern zu und versucht, anhand der Informationen von Tatort, Opfern und Rechtsmedizin herauszufinden, wer der Täter sein könnte und wie er tickt. Der Profiler steht aber nicht im Wald vor einer Leiche, schließt die Augen und hat dann die geniale Eingebung, wo der psychopathische Triebtäter zu finden ist. "Die Arbeit ist leider etwas komplizierter", sagt Horn. Vor allem ist sie viel methodischer.

Ein Monsterjäger sieht anders aus

Der 39-Jährige sitzt in seinem Büro in der Hansastraße auf einer Ledercouch und hat ein Bein über das andere geschlagen. Wie ein Monsterjäger sieht er eher nicht aus, mit seinem Anzug und den leicht ergrauten Haaren. Aber er kann völlig nüchtern von abgeschnittenen Brüsten und toten Frauen in einer Badewanne erzählen. Der Mann hat eine gewisse Routine im Umgang mit Abscheulichem: Mehr als 500 Täterprofile hat er schon erstellt und die Schauplätze grausamster Verbrechen gesehen.

Horn ist tätig beim Polizeipräsidium München, aber wohl der bekannteste Profiler in Deutschland, deswegen wird er bei wichtigen Fällen auch gerne über sein eigentliches Aufgabengebiet in Bayern hinaus konsultiert. In den neunziger Jahren hat er als 24-Jähriger das Profiling in Deutschland mit eingeführt, sein Team war das einzige, das bei den NSU-Morden schon früh die Theorie von Einzeltätern mit rechtsextremistischem Hintergrund vertreten hat und es hat auch kürzlich bei dem Mord eines offenbar psychisch gestörten jungen Mannes an einer Frau in Sendling ein Täterprofil erstellt. In der Öffentlichkeit wird Horn nicht müde, den Unterschied zwischen der Arbeit in echten Fällen und Filmrollen darzustellen - auch was die Täter betrifft.

Der "Maskenmann" ist da ein gutes Beispiel: Natürlich stammt der Name nicht von Horn und auch nicht von der Sonderkommission, die ihn seit Jahren verfolgt hat. Der Begriff stammt aus den Medien. Genauso wenig wie er Monsterjäger genannt werden will, neigt Horn dazu, Täter zu dämonisieren. Für seine Ermittlungen ist so etwas wenig zweckdienlich, denn meist haben auch Serientäter einen Beruf und einen Alltag. Das Bild vom Monster, von dem dann schnell die Rede ist, verstellt den Blick: nicht nur für Ermittler, sondern auch für Zeugen, die wertvolle Hinweise geben könnten, aber eine völlig falsche Vorstellung vom Täter bekommen.

Alexander Horn und sein fünfköpfiges Profilerteam arbeiten deshalb möglichst wenig mit Zeugenaussagen. "Die sind sehr subjektiv", sagt Horn. Stattdessen orientiert er sich an Fakten. Die Methodik ist bei jedem Fall gleich: Zuerst besichtigt das Team den Tatort und sammelt alle Informationen, dann analysiert es den Fall und entwirft mögliche Täterprofile, die es den Ermittlern vorstellt. "Wir können aber immer nur Hypothesen erstellen", sagt Horn, "und dann die wahrscheinlichste Theorie herausfiltern."

Vermisst oder ermordet?

Horn erinnert sich an den Fall Mareike, bei dem es besonders schwierig war, ein Profil über den Täter zu erstellen - es gab weder einen Tatort, noch eine Leiche. Mareike aus Waldmünchen war im Jahr 2003 vermisst gemeldet worden. Unter dem Küchentisch ihrer Wohnung fanden Ermittler zwei winzige Scherben einer Vase, ansonsten waren die Zimmer penibel aufgeräumt. "Die Frage war nun, ob wir es mit einem Vermisstenfall oder einem Mord zu tun haben", sagt Horn.

Das Profilerteam tippte auf ein Tötungsdelikt, bei dem der Mörder sich heimlich in der Wohnung aufhielt und vom Opfer überrascht wurde. Er beseitigte die Leiche, reinigte den Tatort und inszenierte ein Verschwinden der 20-Jährigen. Einer der entscheidenden Hinweise: Die Wohnungstür war abgesperrt, Mareike hatte sie laut Aussage ihrer Eltern immer nur ins Schloss gezogen.

Das Täterprofil beschrieb einen sozial isolierten Einzelgänger, der das Opfer kannte. Vielleicht ein abgewiesener Verehrer, weil er heimlich die Nähe der Frau suchte. Das Alter schätzten Horn und seine Kollegen auf etwa 30 Jahre. "Der Täter hat kühl und rational den Tatort gesäubert, das sprach gegen einen ganz jungen Mann." Die Polizei ermittelte 120 Männer aus dem Umfeld Mareikes, auf sieben traf das Profil zu. Beim Täter, der nach fast sechsstündiger Vernehmung gestand, stimmten 22 der 23 aufgestellten Persönlichkeitsmerkmale überein.

Im Rückblick mögen die Rückschlüsse, die sein Team damals zog, alle logisch klingen. "Es gibt aber keine Wenn-Dann-Szenarien", sagt Horn. Gewalt, die nur angewendet wird, um ein Opfer zu überwältigen, spricht im Normalfall für ältere Täter. Wer seinem Opfer weh tut, obwohl es schon unter Kontrolle und gefesselt ist, den schätzen die Profiler eher jünger ein. "Daraus lässt sich aber keine Regel ableiten. Eine Einschätzung über Alter und andere Merkmale kommt immer auf das Zusammenspiel aller Faktoren an", erläutert Horn.

Warum geschehen derartige Verbrechen?

Der Profiler interessiert sich dafür, warum Täter solch grausame Verbrechen begehen. Ausgehend von dieser Frage ist er überhaupt zu dem Job gekommen. "Jeder hat zum Beispiel sexuelle Phantasien, manche haben welche, die von der Normalität abweichen. Wieso überschreiten aber dann einige die Schwelle und leben diese Phantasien tatsächlich aus?", fragt sich der Profiler.

Angefangen hat er bei der Kriminalpolizei in München im Dezernat für Sexualdelikte. Als 1996 die Idee aufkam, ein deutsches Pilotprojekt für Profiling zu starten, bewarb er sich als 24-Jähriger. Gemeinsam mit einem erfahrenen Mordermittler baute er die Operative Fallanalyse Bayern auf, wie seine Abteilung heute heißt.

Er flog in die USA, wo das FBI Profiling seit Ende der siebziger Jahre entwickelte, er schaute sich bei Kollegen in Kanada und Großbritannien um. Vor allem aber lernte er aus eigenen Fällen, wie in Waldmünchen und auch beim Maskenmann, dem er mehr als zehn Jahre auf der Spur war, weshalb ihn der Soko-Leiter damals auch zur Vernehmung bat. "Das war sehr ungewöhnlich, Vernehmungen bleiben eigentlich den Mordermittlern vorbehalten", sagt Horn.

Erst Mord, dann Sexualverbrechen, dann der Rest

Etwa 70 Prozent aller Fälle, die er bearbeitet, sind Tötungsdelikte. 20 Prozent sind Sexualstraftaten und zehn Prozent andere Verbrechen wie Serienbrandstiftungen. In seinem Team arbeiten deshalb ein ehemaliger Brandermittler, ein früherer Therapeut für Sexualstraftäter und ein Kollege, der einmal bei der Spurensicherung war.

"Natürlich kumuliert bei uns die Perversion besonders drastischer Fälle", sagt Horn. Ihn schreckt so etwas aber nicht ab. "Man lernt damit umzugehen." Viel wichtiger ist ihm die Botschaft, dass auch hinter den perversesten Fällen oft Täter stecken, die nach außen hin ein normales Leben führen - und nicht wie im Film Verbrechergenies sein müssen. "Ein Hannibal Lecter ist mir noch nicht untergekommen", sagt Horn. Es wäre ihm auch ganz lieb, wenn es dabei bleiben würde.

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