Neue Regeln für Aktienhandel:Vom Erbstück zur Massenware

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Eine historische VW-Aktie: Diese sogenannten Nullstücke - ohne Stempel und Kontrollunterschrift - mussten Unternehmen früher einreichen, bevor die Papiere zum Handel zugelassen wurden. (Foto: dpa)

Wer früher Aktien besaß, galt als Eigentümer einer Firma. Hochfrequenzhandel und deregulierte Märkte aber machten aus dem Wertpapier eine Ware, die alle paar Sekunden den Besitzer wechselt. Der Bundestag hat jetzt ein neues Gesetz beschlossen, das den Blitz-Handel einschränken soll. Denn nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch sinnvoll.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt

Als im November 1996 die Deutsche Telekom an die Börse ging, da rang manch zeitgenössischer Kommentator um Worte, die seiner Ergriffenheit und der Bedeutung des Moments Ausdruck geben konnten. Von einer Zeitenwende war die Rede, einem Kulturwandel und davon, dass die Deutschen endlich im Kapitalismus angekommen seien. Die T-Aktie, sie war so etwas wie das Sinnbild einer Wirtschaftsform, die schöner, effizienter und vor allem profitträchtiger sein sollte als alles bisher Dagewesene.

Seither haben viele Menschen viel Geld verloren - und viele Aktien ihre Funktion. Aktien waren einmal so etwas wie ein Grundbucheintrag, ein Bekenntnis zu einem Unternehmen, an dessen Erfolg man teilhaben wollte, und mit dem man durch dick und dünn ging. Ein klein wenig war der Aktionär tatsächlich Miteigentümer, und am Ende vererbte er das Papier seinen Kindern. Heute ist von Eigentümerschaft meist keine Rede mehr. Im Gegenteil: Im Schnitt wechselt eine Aktie angeblich alle 22 Sekunden den Besitzer. Aus einem Erbstück wurde so Massenware.

Schuld daran ist nicht zuletzt der sogenannte Hochfrequenzhandel, bei dem Computer mittels Algorithmen, einer Folge von Verarbeitungsvorschriften also, Aktien binnen Sekundenbruchteilen ordern und wieder abstoßen. Dieses Algotrading macht in Deutschland und den USA mittlerweile etwa die Hälfte aller Börsenumsätze aus, einige der jüngsten Crashs auf den Finanzmärkten hat es nachweislich ausgelöst oder zumindest verschärft.

Hochfrequenzhandel in der Kritik
:Maschinen regieren die Börse

Der Hochfrequenzhandel an den Börsen boomt: Experten gehen davon aus, dass mittlerweile mehr als 70 Prozent des amerikanischen Aktienhandels von Computern gesteuert werden. Doch die Finanzkrise bringt die Handelscomputer an ihre Grenzen und lässt Hedgefonds an den Algortihmen zweifeln.

Sabrina Keßler

Politik will Aktienhandel stärker kontrollieren

An diesem Donnerstag haben Union und FDP im Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das den Spielraum des Genres ein wenig beschränkt. ( Hier der Originaltext des Gesetzentwurfes) Demnach müssen sich Hochfrequenzhändler und ihre Auftraggeber künftig registrieren lassen, die Finanzaufsicht Bafin soll das Geschehen kontrollieren. Geraten die Kurse ins Rutschen, kann der Handel gestoppt werden. Am Tempo und am Volumen indes ändert das Gesetz nichts, ja, es fragt nicht einmal danach, ob diese Form des Handels überhaupt wünschenswert ist.

Die Algotrader selbst argumentieren, dass sie mit ihren milliardenfachen Deals dafür sorgen, dass Käufer und Verkäufer am Markt immer ein Pendant finden. Einer der Händler sagte jüngst im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, er verkleinere als "hundertprozentiger Dienstleister" die Spanne zwischen dem Verkaufs- und dem Kaufpreis der Aktie und verschaffe so dem Anleger "Gerechtigkeit". Aber ist es wirklich zwingend, dass ein Anbieter immer einen Abnehmer findet - auch dann etwa, wenn vielleicht der Preis, den er aufruft, gar nicht angemessen ist?

Immerhin: Recht hat der Händler in dem Punkt, dass Liquidität für einen Markt ein wichtiger Faktor ist. Insofern ist das, was er und seine Kollegen tun, nicht sinnlos. Dass aber etwas nicht sinnlos ist, bedeutet noch nicht, dass es automatisch sinnvoll ist. Dient etwa die Liquidität allein dazu, teils überflüssige, im schlechteren Fall sogar volkswirtschaftlich schädliche Geschäfte in Gang zu halten, braucht sie niemand.

Der Gesetzentwurf der Koalition muss deshalb um eine Mindesthaltefrist für Aktien ergänzt werden, die wenigstens einige Sekunden betragen sollte. Auch muss die neue Finanzmarktsteuer so gestaltet werden, dass sich der Geschwindigkeitswahn an den Börsen einfach nicht mehr rechnet. Wenn dadurch 90 Prozent des Hochfrequenzhandels wegfielen, bedeutete dies einen Gewinn an Sicherheit, der höher zu bewerten wäre als die geringfügige Verteuerung der verbleibenden ökonomisch notwendigen Transaktionen.

Die Mentalität derer, die, und sei es nur kurz, Aktien besitzen, wird man dadurch nicht zurückentwickeln können - und das muss man vielleicht auch gar nicht. Andererseits zählt zu den zentralen Ursachen der Weltfinanzkrise der Fakt, dass in den großen Industrieländern im Zuge der Deregulierung der Finanzmärkte zentrale marktwirtschaftliche Prinzipien Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt worden waren: dass etwa Eigentum zur Beteiligung an Gewinnen berechtigt, zugleich aber zur Übernahme von Verlusten verpflichtet; oder dass die Größe der Gewinnchance immer mit dem Maß an Haftungsbereitschaft korrespondieren muss.

Darüber hat der Algotrader im SZ-Interview nicht gesprochen. Wohl aber darüber, dass man im Zeitalter des Flugzeugs doch nicht mehr Schiff fahre und nicht auf dem Marktplatz oder dem Börsenparkett herumschreie, wenn der Computer viel schöner, effizienter und schneller handle. Alles richtig. Doch so wie nicht alles sinnvoll ist, nur weil es nicht sinnlos ist, muss man etwas auch nicht allein deshalb tun, weil es technisch möglich ist.

© SZ vom 28.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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