Sicherheitskräfte in Südafrika:Wo Kriminelle besser ausgebildet sind als Polizisten

Polizei Südafrika REUTERS NEWS PICTURES - IMAGES OF THE YEAR 2012

Im August 2012 starben Dutzende Menschen in Zusammenstößen streikender Minenarbeiter mit Polizisten. Das brutale Vorgehen der Einsatzkräfte wurde heftig kritisiert. 

(Foto: REUTERS)

Beamte greifen angesichts der hohen Gewaltbereitschaft selbst oft brutal durch: Die südafrikanische Polizei hat große Probleme und keinen besonders guten Ruf. Der Wissenschaftler Johan Burger war dort selbst 36 Jahre lang Polizist. Ein Gespräch über den Fall Pistorius und Polizeigewalt.

Von Lena Jakat

Polizisten, die von der Brutalität der Kriminellen überfordert sind. Von denen Dutzende jedes Jahr im Dienst getötet werden. Die selbst gewalttätig werden: Südafrikas Polizei hat große Probleme und keinen besonders guten Ruf. Viele Schwierigkeiten sind auch die Spätfolgen eines schwierigen Transformationsprozesses. Johan Burger war 36 Jahre lang Polizist in Südafrika. Seit sieben Jahren leitet er am Institut für Sicherheitsstudien in Pretoria die Forschungsgruppe Kriminalität und Justiz. Ein Gespräch über den Fall Oscar Pistorius und Polizeigewalt.

Süddeutsche.de: Herr Burger, gegen den mittlerweile abgesetzten Chefermittler im Fall Oscar Pistorius, Hilton Botha, wird wegen siebenfachen versuchten Mordes ermittelt. Wie konnte er überhaupt mit der Untersuchung betraut werden?

Johan Burger: Polizisten werden hin und wieder in gewaltsame Vorfälle verwickelt, zum Beispiel, wenn sie Verdächtige verfolgen und diese versuchen, sich der Festnahme zu entziehen. Jeder Festgenommene hat das Recht, in solchen Fällen den Beamten anzuzeigen. Dann muss ermittelt werden, ob die angewandte Gewalt rechtmäßig war. Das Seltsame am Fall Hilton Botha ist, dass die Sache juristisch schon abgeschlossen war. Weder Botha noch seine Vorgesetzten wussten, dass der Fall neu aufgerollt werden sollte.

"Siebenfacher versuchter Mord" klingt nach einem neuen Hinweis für eine Eskalation der Polizeigewalt in Südafrika.

Bei den Vorwürfen gegen Botha ging es um einen einzelnen Vorfall mit sieben Beteiligten - nicht etwa um sieben Delikte. Er hat auch nicht den Ruf, besonders gewalttätig zu sein. Es gibt zwar Fälle von eskalierender Polizeigewalt in Südafrika, wie den der getöteten Minenarbeiter in Marikana. Das ist sehr tragisch und muss restlos aufgeklärt werden. Aber ich glaube, dass es sich um Einzelfälle handelt. Ich will hier keine brutalen Vergehen durch Polizisten rechtfertigen. Man muss sich aber auch klarmachen, unter welchem Druck die hiesigen Beamten stehen.

Sie spielen auf die hohen Kriminalitätsraten an?

Unsere Mordrate ist sieben Mal so hoch wie der internationale Durchschnitt. Fast 50 Menschen werden hier durchschnittlich jeden Tag getötet. Es ist auch keine Seltenheit, dass Gruppen von 15 Verbrechern oder mehr, bis an die Zähne mit Maschinenpistolen bewaffnet in einem Laden auftauchen. Viele Kriminelle haben irgendeinen militärischen Hintergrund und keine Scheu, diese Expertise einzusetzen. Im vergangenen Jahr starben in Südafrika 84 Polizisten - eine unvorstellbare Zahl für Länder in Europa. (In Deutschland starben seit 1945 knapp 400 Beamte im Dienst, das sind weniger als sechs pro Jahr, Anmerkung der Redaktion.)

Steigert die Brutalität der Verbrechen die Gewaltbereitschaft der Polizisten?

Viele Beamte, die in solche Vorfälle verwickelt werden, sind einfache Streifenpolizisten. Sie sind für derlei Situationen gar nicht ausgebildet. Oft werden sie zu vermeintlichen Routineeinsätzen gerufen, die dann völlig eskalieren. Dabei sind sich die Polizisten der Gefahren ihres Jobs sehr bewusst. Sie wissen, dass die Kriminellen schwer bewaffnet sein können und dass sie mitunter besser ausgebildet sind als die Sicherheitskräfte. Sie wissen, wie viele ihrer Kollegen verletzt werden, wie viele sterben. Psychologisch spielt das sicherlich eine Rolle. Aber gewalttägige Zwischenfälle haben auch strukturelle Ursachen.

Welche?

Um die heutigen Probleme der südafrikanischen Polizei zu verstehen, muss man ihre Geschichte anschauen. Während der Apartheid war die South African Police, zuständig für das "weiße Südafrika", keine demokratische Institution. Die Polizisten wurden von den allermeisten Südafrikanern als Unterdrücker ohne jede Legitimation warhrgenommen, als Werkzeug einer rassistischen Regierung. Anfang der 1990er Jahre wuchs der internationale Druck auf das Regime. Polizisten wurden zunehmend dafür eingesetzt, Widerstand im Land zu unterdrücken. Die Polizei war sehr unbeliebt. Und je unbeliebter sie wurde, desto autoritärer traten die Beamten auf.

Aber das ist jetzt 20 Jahre her.

Mit der ersten demokratischen Verfassung musste sich auch die Polizei verändern, von einer autoritären hin zu einer demokratischen Staatsmacht. Das hieß zum Beispiel auch, dass die Führungskräfte nun die Bevölkerung repräsentieren sollten - während der Apartheid waren alle höheren Beamten weiß. Es gab damals dieses naive Denken, dass man einfach nur schwarze gegen weiße Polizisten austauschen müsse, und alle Probleme seien erledigt. Stattdessen schuf man neue Probleme. Denn demokratischer Wandel geht nicht über Nacht.

Welche neuen Probleme sind enstanden?

Nicht alle, die neu in Führungspositionen kamen, hatten die nötige Ausbildung und Erfahrung dafür. Manche stiegen sehr schnell in der Hierarchie auf, zu schnell. Von 2000 bis 2009 amtierte Jackie Selebi als Police Commissioner, als oberster Polizeichef des Landes. Das war eine rein politische Personalentscheidung. Selebi hatte keinerlei Polizei-Hintergrund. Doch er war nicht nur sachlich inkompetent, er war ein herrischer Autokrat und kriminell.

Was wurde ihm zur Last gelegt?

2010 wurde Selebi wegen schwerer Korruptionsdelikte zu 15 Jahren Haft verurteilt. Auch sein Nachfolger wurde wegen Verwicklungen in dubiose Immobiliengeschäfte des Amtes enthoben. Unter diesen Männern hat die Polizei schweren Schaden genommen.

Einen Imageschaden?

Der ohnehin schlechte Ruf der Polizei hat ungemein gelitten. Es gab auch eine ganze Reihe von Polizisten, die wegen Korruption oder anderer Vergehen verhaftet wurden. Das Hauptproblem war, dass Selebi die Polizei massiv ausbaute.

Was ist daran falsch - angesichts der hohen Kriminalitätsraten?

Dass mehr Polizisten gebraucht wurden, lag auf der Hand - zumal die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 anstand. Aber man schaute nur auf die Zahlen und wurde sehr nachlässig, wenn es darum ging, die Einstellungvoraussetzungen für Polizisten einzuhalten. Das war verheerend: Es wurden Leute zum Polizeidienst zugelassen, obwohl sie die nötigen Tests nicht bestanden hatten. Die neu eingestellten Beamten wurden nicht angemessen ausgebildet, weil es an Personal und Schulungsräumen fehlte. In der Folge litt die Disziplin. Inzwischen hat man erkannt, dass schwere Fehler gemacht wurden, der Polizeiminister hat sich sogar offiziell entschuldigt. Aber all die Leute, die damals eingestellt wurden, sind heute Polizisten in Amt und Würden. Die wird man nicht mehr so einfach los - außer, sie werden straffällig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: