HIV-infiziertes Baby:Heilung mit Fragezeichen

US-Mediziner haben zum ersten Mal ein Kleinkind von seiner HIV-Infektion befreit - scheint es. Aidskranken sollte diese Meldung aber keine Hoffnung machen. Zumal nicht ausgeschlossen ist, dass irgendwo im Körper des Kindes noch HI-Viren lauern.

Von Berit Uhlmann und Markus C. Schulte von Drach

Es begann mit äußerst ungünstigen Bedingungen. Als die Frau aus einer ländlichen Gegend in Mississippi ihr Baby zur Welt brachte, wusste sie nicht, dass sie HIV-positiv war. Nach der Geburt stellten Ärzte fest, dass auch ihr Baby das Virus trug. Für die üblichen Vorsorgemaßnahmen war es zu spät. Die Ärzte entschieden sich deshalb zu einer drastischen Behandlung. Sie verabreichten dem Kind etwa 30 Stunden nach der Geburt eine Kombination aus drei antiviralen Medikamenten. Normalerweise erhalten Neugeborene nur ein oder zwei derartige Präparate.

18 Monate lang ging alles gut. Die Medikamente schlugen an und das Virus war im Blut des Kindes schon 29 Tage nach der ersten Verabreichung nicht mehr nachweisbar. Dann setzte die Mutter auf eigene Faust die Medikamente ab und meldete sich nicht mehr bei ihren Ärzten. Erst als das Baby 23 Monate alt war, kam sie erneut in die Sprechstunde. Die Mediziner befürchteten das Schlimmste. Denn bislang gibt es kein Medikament, das die Infektion ein für alle Mal heilt. Die heutigen Therapien können die Infektion lediglich unterdrücken - doch nur, solange sie regelmäßig eingenommen werden.

Erstaunlicherweise aber zeigte das Kind aus Mississippi keinerlei Hinweise auf eine HIV-Infektion. Die Viruslast im Körper des Kindes war so gering, dass Tests negativ ausfielen. Mehrere Ärzte untersuchten das Kind und sprachen anschließend ein Wort aus, das in der Aids-Therapie heikel ist: Heilung.

Der Fall ist noch in keiner wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht worden und konnte in der Fachwelt deshalb bislang nicht diskutiert werden. Die Mediziner um Deborah Persaud von der Johns Hopkins University in Baltimore und Hannah Gay von der University of Mississippi berichteten lediglich im Vorfeld einer Aidskonferenz in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) darüber, woraufhin mehrere US-Medien den Fall meldeten.

Die Mediziner vermuten, dass die frühe aggressive Behandlung das Virus vernichtete, bevor es sich Rückzugsmöglichkeiten im Körper suchen konnte. Diese Schlupflöcher insbesondere in den Lymphknoten, in denen das Virus schlummern kann, sind das Damoklesschwert in der Aids-Behandlung. Nehmen Kranke ihre Medikamente nicht mehr, können die Viren wieder aktiv werden.

So gerne man Erfolgsgeschichten aus der Aids-Forschung hört, ist es wohl noch zu früh zum Jubeln. Denn bislang handelt es sich um einen einzigen Fall. Langzeit-Effekte sind noch nicht abzusehen. Die Ärzte des Kleinkindes gehen zudem davon aus, dass diese Art der "Heilung" nur bei Neugeborenen funktioniert.

Vollständige Vernichtung der Viren ist nicht sicher

"Das widerspricht allen Erfahrungen"

Experten sind allerdings skeptisch, ob man tatsächlich von einer Heilung sprechen kann, wenn damit gemeint ist, dass eine infizierte Person frei von HI-Viren ist. Es ist schwierig, alle Orte zu überprüfen, wo die Erreger sich versteckt haben können. Die US-Mediziner konnten zwar keinen aktiven Virus mehr aufspüren, aber Genmaterial der Erreger war im Körper noch vorhanden.

"Die Botschaft darf nicht sein, dass es gelungen ist, mit einer Therapie das HI-Virus vollständig zu eliminieren und dass die antiretrovirale Behandlung deshalb beendet werden kann", sagt Bernhard Ruf, Aidsexperte vom Klinikum St. Georg in Leipzig. "Es ist immer noch Stand der Erkenntnis: Einmal HIV - immer HIV, einmal Behandlung - lebenslang Behandlung." Zu sagen, HIV sei heilbar, wäre verfrüht, warnt das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Es müssten nun die kommenden Jahre abgewartet werden, ob in dem Kind nicht doch wieder latent vorhandene Viren aktiv werden.

"Vollständig verschwinden könnten die HI-Viren nur, wenn die infizierten Zellen abgestorben sind, ohne das ein funktionelles Virus neue Zellen befallen konnte", erklärt Ruf. "Dann verschwände HIV praktisch komplett aus dem Körper. Aber das widerspricht allen Erfahrungen, die wir bislang gemacht haben - auch mit Kindern."

"Es gibt eine gewisse Chance, dass das Baby früh genug behandelt wurde, um tatsächlich geheilt zu sein", sagt auch Ralf Wagner von der Universität Regensburg, "allerdings lässt sich das derzeit noch nicht abschließend beurteilen."

Beiden Experten zufolge belegt der Fall aber, wie effektiv und wichtig eine hochaktive antiretrovirale Therapie mit einer Kombination aus verschiedenen Substanzen - meistens sind es drei Medikamente - möglichst schnell nach einer Infektion ist. Und zwar nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen. Man spricht dann von einer Postexpositionsprophylaxe.

"Aber es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, man hätte hier einen Weg gefunden, HIV-Patienten, die bereits längere Zeit infiziert sind, zu heilen", betont Wagner.

Anders die Geschichte des "Berliner Patienten"

In westlichen Ländern ist eine Übertragung von der Mutter auf das Kind nicht sehr häufig. US-Ärzte sprechen von 200 Fällen pro Jahr, in Deutschland sind es vermutlich zehn bis zwanzig. Denn die Übertragung kann durch Vorsichtsmaßnahmen in der Schwangerschaft verhindert werden. Schwangeren in Deutschland wird daher standardmäßig ein HIV-Test angeboten.

Weltweit allerdings ist die Lage anders: 2011 infizierten sich laut UN 300.000 Kinder mit HIV, die meisten davon in Afrika. Sollte die Neugeborenen-Behandlung tatsächlich funktionieren, wäre sie eine große Hilfe für diese Länder - vor allem, weil Standardmedikamente verwendet wurden.

Darin unterscheidet sich dieser Fall von der zweiten berühmt gewordenen möglichen Heilung eines HIV-Infizierten. Der "Berliner Patient" Timothy Brown wurde durch eine Stammzell-Transplantation behandelt. Nötig wurde sie, weil der Mann zusätzlich an Leukämie erkrankte. Möglich wurde sie, weil Brown großes Glück hatte: Es fand sich ein Stammzell-Spender, dessen Gewebsmerkmale nicht nur pefekt passten, sondern der aufgrund einer seltenen Genmutation immun gegen das HI-Virus war. Brown wurde damit quasi die Immunität transplantiert.

Mittlerweile haben zwei weitere Patienten eine ähnliche Behandlung erprobt. US-Mediziner transplantierten zwei an Blutkrebs erkrankten Aids-Patienten Stammzellen. Allerdings fehlte den Zellen die seltene Mutation, die Immunität gegen HIV verleiht. Die Männer nahmen daher während der Stammzellbehandlung ihre antiviralen Medikamente weiterhin ein. Offenbar verhinderten diese Medikamente, dass die neuen Zellen des Immunsystems mit dem Virus infiziert wurden.

Doch als Standardverfahren ist die Transplantation nicht sinnvoll. Sie ist riskant, aufwändig, teuer und weniger gut erprobt als die Medikamente, die heute eine Aids-Erkrankung oft sogar lebenslang unterdrücken können. Sie sind momentan die stärkste Waffe im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit, mit der noch immer 34 Millionen Menschen weltweit leben.

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