Neue Drogen auf dem Vormarsch:Legale Killer

Der Drogenmarkt wird von immer neuen psychoaktiven Substanzen überschwemmt. Sie entstehen schneller als Kontrollbehörden sie klassifizieren und einschätzen können. "Legal Highs" stellen auf den Kopf, was bisher in der Suchtbekämpfung als sicher galt.

Ein Gastbeitrag von Yury Fedotov

United Nations Office on Drugs and Crime UNODC Executive Director Fedotov addresses a news conference in Vienna

Yury Fedotov ist Leiter des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC).

(Foto: REUTERS)

In der berühmtesten Szene des Films "Fantasia" aus dem Jahr 1940 spaltet der Zauberlehrling des alten Meisters einen Besenstiel mit einer Axt. Daraufhin verwandeln sich die Splitter des Besenstiels in immer neue Besen. Die Situation gerät völlig außer Kontrolle. Neue psychoaktive Substanzen (NPS) sind ähnlich wie jene Besen in "Fantasia". Immer neue Veränderungen ihrer molekularen Zusammensetzung kreieren immer neue Substanzen, viel schneller, als Kontrollbehörden diese klassifizieren und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit einschätzen können.

Nach Statistiken des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) gibt es derzeit etwa 250 verschiedene psychoaktive Substanzen auf dem Markt. Diese Anzahl wächst stetig. Im Vergleich dazu sind bisher nur 234 Substanzen unter den internationalen Abkommen über Betäubungsmittel kontrolliert, deren Auswirkungen auf die Gesundheit weitgehend untersucht wurden.

Neue psychoaktive Substanzen sind zahlreich, manigfaltig und gesundheitsgefährlich. Umfragen unter 15- bis 24-Jährigen in den Vereinigten Staaten haben ergeben, dass psychoaktive Substanzen dort mehr als doppelt so häufig konsumiert werden wie innerhalb der Europäischen Union. Probleme für Gesundheitsexperten, Jugend- und Sozialarbeiter ergeben sich aus der Tatsache, dass die sogenannten "Legal Highs" den traditionellen Drogenkonsum-Diskurs auf den Kopf stellen. Statistiken von UNODC zeigen, dass die Illegalität bestimmter Substanzen für viele Konsumenten ein Argument ist, diese Drogen nicht auszuprobieren.

Wie dieses Argument wirkt, verdeutlicht sich auch am Beispiel verschiedener Arten neuer psychoaktiver Substanzen: Ketamin wurde bereits im Jahr 1999 unter die Kontrolle der Behörden gestellt. Der Konsum dieser Droge ging bei Schülern der 12. Klasse in den Vereinigten Staaten zwischen 2000 und 2012 um 40 Prozent zurück. Mephedron wird in Großbritannien seit 2010 von den zuständigen Behörden kontrolliert. Der Konsum dieser Drogen unter Clubgängern ist von 51 Prozent im Jahr 2000 auf 19 Prozent im Jahr 2011 gefallen.

Zwar führt der Status der Illegalität mancher Drogen offensichtlich zu einer Abnahme ihres Konsums. Was aber kann getan werden, wenn skrupellose Geschäftemacher eine Möglichkeit finden, illegale Substanzen durch geringe chemische Veränderungen in legale beziehungsweise nicht-kontrollierte Substanzen umzuwandeln?

Mehr noch als klassische Drogen fordern neue psychoaktive Substanzen dazu auf, Jugendliche für ihre negativen Wirkungen und Gesundheitsgefahren zu sensibilisieren. Dafür ist es wichtig, die Jugendlichen als Partner einzubeziehen und nicht übertriebene Panik oder falsche Informationen zu verbreiten. Es bedeutet stattdessen einen rationalen und wissenschaftlich fundierten Diskurs mit jungen Menschen zu führen. Diskussion ist immer auch ein Dialog, der es vermag, eine enge Einbahnstrasse in einen breiten Weg des interaktiven Austausches von Informationen zu verwandeln.

Reicht der Ratschlag "Nehmt keine Drogen" noch?

Sensibilisierung bedeutet auch gegen verbreite Fehlwahrnehmungen anzugehen. In das Gespräch und die Auseinandersetzung mit den Gefahren des Substanzkonsums sollten auch gerade junge Drogenkonsumenten und benachteiligte junge Menschen einbezogen werden - nicht nur Musterschüler und Hoffnungsträger.

Die "Youth Initiative" des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, die bereits 50 Ländern erreicht hat, bemüht sich, Jugendliche aus aller Welt zum Austausch zu bewegen und gemeinsam lokale Drogenpräventions-Projekte für ihre Schulen, ihre Nachbarschaft und ihre Cliquen zu entwickeln.

Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, junge Menschen zu aktiver Teilhabe statt passivem Zuschauen zu mobilisieren. Wenn sie die Möglichkeit bekommen, sich ernsthaft - sachbezogen und emotional - auseinanderzusetzen, entsteht ein Umfeld, in dem ehrlicher Erfahrungsaustausch und Veränderung möglich ist. In einem solchen Umfeld fassen Jugendliche Vertrauen und gewinnen Selbstbewusstsein, welches auf ihren Freundeskreis ausstrahlen kann.

Abgesehen vom Klassenzimmer ist Präventionsarbeit innerhalb der Familie von zentraler Bedeutung. Gerade junge Menschen aus armen Verhältnissen, die Erfahrungen mit Missbrauch, psychischer Krankheit, Gewalt und Drogen in ihrem Umfeld haben, benötigen dringend Unterstützung. Es gilt, einen Teufelskreis zu bekämpfen und jungen Menschen ein gesundes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Das kann Zeit und finanzielle Mittel benötigen. Langfristige Spendenzusagen aus dem öffentlichen und privaten Sektor für evidenzbasierte Hilfsprojekte sind gerade in schwierigen Zeiten besonders wichtig.

Neue psychoaktive Substanzen bergen das Risiko einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Der jungen Generation haben wir einmal den simplen Ratschlag gegeben: "Nehmt keine Drogen." Es scheint, dass ein solcher einfacher Ratschlag nicht ausreicht. Wie Präventionsstudien bestätigen, ist es viel wichtiger, sich in der Zusammenarbeit mit jungen Menschen weniger auf das alleinige Thema "Drogen" zu beschränken. Vielmehr ist es von grösster Bedeutung, junge Menschen ganzheitlich dabei zu unterstützen, ihre Talente zu entwickeln, um sich eine eigene Zukunft aufzubauen: eine selbstbestimmte Zukunft, in der sich Träume und Hoffungen erfüllen können - und von daher ohne das Bedürfnis nach bewusstseinsverändernden Substanzen.

Der Russe Yuri Fedotov steht seit 2010 dem UN-Büros für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNOCD) vor. Er ist 65 Jahre alt. Das UNODC wurde 1997 gegründet und hat weltweit etwa 500 Mitarbeiter.

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