Super-Teleskop Alma:Jenseits des Staubs

Weltraumteleskop Alma

"Alma ist ein Quantensprung was die Beobachtungsmöglichkeiten angeht", sagt Fabian Walter vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

(Foto: Reuters)

Eines der größten Observatorien der Welt ist eingeweiht. 5000 Meter hoch in der Atacama-Wüste in Chile gelegen, soll "Alma" nach Strahlung suchen, die in der Geburtsstunde des Universums entstand.

Von Robert Gast

Otto und Lore haben viel geleistet. Dutzende Male haben sie eine der zwölf Meter großen Schüsseln Huckepack genommen, den Motor aufheulen lassen und sind auf die Staubstraße gerollt. Jedes Mal mussten sie sich fünf Stunden lang bergauf kämpfen, bis sie ihre 115 Tonnen schwere Last auf 5000 Meter Höhe gehievt hatten. Dorthin, wo die Sonne beißt und der Sauerstoff langsam versiegt.

Otto und Lore hat das nicht viel ausgemacht. Die beiden sind Schwerlasttransporter aus Pfedelbach bei Heilbronn. Seit 2008 sind sie hilfreiche Werkzeuge beim Bau eines der weltgrößten Weltraum-Observatorien auf dem Chajnantor-Plateau in den chilenischen Anden. Am Mittwoch wurde Alma, das "Atacama Large Millimeter/submillimeter Array", mit viel Pomp eingeweiht. Sogar Chiles Staatspräsident Sebastián Piñera ist in die abgelegene Gegend gereist, die auf manchen Besucher wie das Ende der Welt wirkt.

Tagsüber ist es dort 20 Grad warm, nachts minus 20 Grad kalt. Lediglich Vulkanreste, bunt schillernde Lagunen und die bolivianische Grenze lockern die Einöde etwas auf. Den Astronomen kommt die Ruhe gelegen. Sie wollen an den Anfang des Universums blicken, und vom Ende der Welt aus geht das besonders gut. Almas 66 Parabolantennen, die mit aufwendiger Elektronik vernetzt werden, sollen eine spezielle Art kosmischer Strahlung empfangen, Physiker sprechen von Millimeter-Strahlung. Auf dem wüstenhaften Hochplateau stören nur wenige Wasserdampf- und Sauerstoffmoleküle diese Messungen.

Lange Zeit interessierten sich Astronomen vor allem für einen anderen Wellenlängenbereich der elektromagnetischen Strahlung: für sichtbares Licht, das sich als winzige Schwingungen durch den Raum bewegt, deren Wellenhügel weniger als ein Millionstel Meter trennen. Radiowellen, die ebenfalls untersucht werden, haben dagegen eine Wellenlänge von mehr als zehn Zentimetern. Alma soll nun auch jenen Bereich des Spektrums erschließen, der zwischen diesen beiden Strahlungsarten liegt.

Radioteleskop Alma

Alma steht für Atacama Large Milimeter Array. Es handelt sich um das teuerste Observatorium, das von der Erdoberfläche aus in den Weltraum schaut.

(Foto: AFP)

Mit dem Observatorium in Chile wird die Millimeter-Astronomie erwachsen. "Alma ist ein Quantensprung, was die Beobachtungsmöglichkeiten angeht", sagt Fabian Walter vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Der Himmelsforscher arbeitet mit einem Empfänger der Millimeter-Wellen, der bis vor kurzen zu den leistungsfähigsten Instrumenten der Disziplin gehörte: Auf 2550 Meter in den französischen Alpen gelegen, können die sechs Antennen des Iram-Observatoriums aber nicht mit Alma mithalten. Alma schießt so scharfe Bilder, dass man aus 15 Kilometern Entfernung einen Golfball erkennen würde. Auch sei Alma Hunderte Mal so sensitiv wie bisherige Millimeter-Observatorien, sagt Walter. "Beobachtungen, für die man bisher eine Nacht gebraucht hat, sind in Minuten möglich."

Im Millimeter-Licht werden Dinge sichtbar, die in der Astronomie bisher ein Schattendasein fristeten. Dazu gehört der im Kosmos allgegenwärtige Staub. Er ballt sich vor allem in den Kinderstuben des Alls zu dichten Gaswolken zusammen, in denen sich Wasserstoffatome verklumpen, bis sie irgendwann zu kritischer Dichte anwachsen und eine nukleare Kernfusion zünden, das Leuchtfeuer aller bekannten Sterne. Auch schälen sich aus Staubballen, die sich um entstehende Sterne oft als Scheibe formieren, junge Planeten heraus.

Mit Alma wollen Astronomen live dabei zusehen, wenn solch ein Spektakel stattfindet. Vor allem möchten die Forscher aber in der Zeit zurückblicken. Moleküle wie die des Kohlenmonoxids senden in extrem fernen Galaxien Infrarot-Licht aus, das nach einem Milliarden Lichtjahre weiten Weg durch das All auf der Erde als Millimeter-Wellen ankommt.

Dass die Strahlung auf ihrer Reise scheinbar Energie verliert, ist eine Folge der sogenannten Rotverschiebung, der optischen Version des Dopplereffekts: Weil sich die Galaxien am Rande des Universums mit enormer Geschwindigkeit von der Erde entfernen, wirken ihre Lichtwellen gedehnt, so wie ein Rennwagen tiefer klingt, wenn er vom Zuhörer davonrast.

Weil das Licht der fernen Galaxien so "alt" ist, lässt sich mit Alma die Gasverteilung in den Anfangszeiten des Kosmos studieren. Für Astronomen ist das eine spannende Phase in der Entstehungsgeschichte des Universums. Nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren formte sich vor gut zwölf Milliarden Jahren der Weltraum, den wir heute kennen. In einer speziellen Klasse von Galaxien ging es damals besonders wild her.

Diese sogenannten Starburst-Galaxien waren bis zum Rand mit Gas gefüllt. Jährlich spuckten sie Sterne mit einer Gesamtmasse aus, die Tausenden Sonnen entspricht. Das Licht dieser Starburst-Galaxien wird jedoch von Staub verschluckt, weswegen sie beispielsweise auf den Bildern des optisch arbeitenden Hubble-Teleskops oft nicht auftauchen.

Das Teleskop Ama in Chile

Bei Alma handelt es sich um ein Radioteleskop. Es hat bereits einige Informationen über den Weltraum geliefert.

(Foto: dpa)

"Im Millimeter-Wellenlängenbereich sehen wir diese Galaxien plötzlich", erläutert Fabian Walter. Vorläufer von Alma haben eine Handvoll der Sternfabriken des frühen Universums ausgemacht. Das riesige Feld schüsselförmiger Antennen in Chile wird viele weitere der kosmischen Kreißsäle sichtbar machen.

Für Astronomen sind Starburst-Galaxien ein heißes Eisen. Denn offenbar haben sie sich sehr viel schneller gebildet, als man es mit den derzeit bekannten physikalischen Mechanismen erklären kann. Einige der Galaxien gab es offenbar bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall, was nicht mit theoretischen Modellen in Einklang zu bringen ist. "Das ist ein großer Widerspruch zwischen Beobachtungen und Theorie", sagt Walter.

Alma könnte mit seinen Messungen die Evolutionsgeschichte des Kosmos umschreiben. "Bisher sehen wir nur die extremsten und hellsten Galaxien im frühen Universum", sagt Axel Weiss vom Max-Planck Institut für Radioastronomie in Bonn, der an Alma mitarbeitet. Nun könne man untersuchen, ob es die Regel ist, dass sich so früh so viel Gas in Galaxien versammelt hat - oder ob die blutjungen Sternfabriken Ausnahmeerscheinungen sind und nur wenig über die Gesamtheit der Prozesse im frühen Universum aussagen.

Erste Beobachtungen von Alma legen Weiss zufolge nahe, dass sich Starburst-Galaxien tatsächlich deutlich früher formten als bisher angenommen. Mit jenen 16 Antennen, die bereits länger auf dem Hochplateau in Chile stehen, haben die Forscher das Alter von 26 der Sterninseln bestimmt. Insgesamt seien die Objekte deutlich älter als bisher angenommen, sagt Weiss. Die Studie wird in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature veröffentlicht.

Solche Messungen sind natürlich auch als Appetitanreger für künftige Arbeit des Alma-Observatoriums zu verstehen. Weiss zufolge sind aktuell erst 40 der künftig 66 Antennen in Stellung gebracht, vollständig werde die Anlage erst in einem Jahr sein. Allerdings ist das Großprojekt für Wissenschaftsfans schon jetzt ein Grund zum Feiern. Fast 30 Jahre sind seit der ersten Idee für ein großes Millimeter-Observatorium vergangen. Zunächst versuchte man in Europa, Japan und den USA unabhängig voneinander das Projekt zu realisieren. 1997 entschloss man sich schließlich, ein internationales Konsortium zu gründen, das Alma gemeinsam baut. So werden die Kosten von etwa einer Milliarde Euro rund um die Welt verteilt.

Alma ist das erste Observatorium einer neuen Generation riesiger Astronomieprojekte. Vom 2023 an soll das Square Kilometer Array Radiowellen aus dem All durchkämmen, ähnliches ist vom Gammastrahlen-Observatorium CTA zu erwarten, das am kurzwelligen Ende des elektromagnetischen Spektrums arbeitet.

Ein anderes Großprojekt steht indes auf der Kippe: Von 2019 an soll das James-Webb-Teleskop das in die Jahre gekommene Hubble-Teleskop ablösen. Doch die Kosten für das Infrarot-Teleskop explodieren, auch weil man es in eine Region hieven muss, gegen die das Hochplateau in Chile geradezu heimelig wirkt. Das Webb-Teleskop soll 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt seinen Dienst tun. Beim Transport dorthin können Otto und Lore nicht mehr behilflich sein.

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