Fußball: Nationalelf:Halbfinale im Torwart-Kampf

Wie groß ist der Vorsprung von Robert Enke? Bundestrainer Löw muss den Vierkampf der Torhüter Enke, Manuel Neuer, René Adler und Tim Wiese moderieren.

Ulrich Hartmann

Es sind ja nicht alle so wie Klaus Allofs. Der Sportdirektor von Werder Bremen hat ganz schön gemotzt, als er erfuhr, dass sein Torwart Tim Wiese von Bundestrainer Joachim Löw diesmal nicht in den Kader der Nationalmannschaft berufen wurde. Jupp Heynckes hat das anders gemacht. Der Trainer von Bayer Leverkusen hätte auch motzen können, als er hörte, dass sein Stürmer Stefan Kießling von Löw wieder nicht ins Nationalteam geholt wurde, aber statt zu zetern hat er mit ernstem Ton und verständnisvoll formuliert: "Der Bundestrainer hat es aber auch nicht leicht, man muss sich doch bloß mal die Situation bei den Torhütern ansehen."

Robert Enke, Nationalmannschaft

Robert Enke hat derzeit laut Bundestrainer Joachim Löw einen kleinen Vorsprung.

(Foto: Foto: Getty)

Auf dieser Position hat es Löw tatsächlich noch schwerer als bei den Stürmern, denn hier hat er für eine einzige Position nicht nur den vorerst zur Nummer eins erklärten Robert Enke sowie die drängelnden Jungspunde Manuel Neuer und René Adler - sondern im vorübergehend verbitterten Tim Wiese, dem unablässig annoncierenden Jens Lehmann und dem kaum mehr diskutierten Timo Hildebrandt weitere gute Leute, die bei der WM durchaus im Tor stehen könnten. "An guten Torhütern haben wir in Deutschland nun wirklich keinen Mangel", sagt Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler.

Zwischen Mitleid und Missmut schwanken derweil die Reaktionen auf Löws schwierige Personalentscheidungen, aber das müsse wohl so sein, sagt der Teammanager Oliver Bierhoff: "Nominierungen für die Nationalmannschaft wecken Emotionen, und das um so mehr, als wir ein Jahr vor der WM einen erhöhten Konkurrenzkampf haben."

Nachdem die Torwartfrage jahrelang nur ein Duell zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann war, ist es nun offiziell ein Vierkampf, in welchem mit dem von Löw abgelehnten 39-jährigen Stuttgarter Jens Lehmann sogar noch ein fünfter Mann ungefragt Ansprüche erhebt. Für Löw ist der Kampf um den Platz im Tor momentan aber gewissermaßen nur ein Halbfinale mit den vier Teilnehmern Enke, Adler, Neuer und Wiese.

Adler darf am kommenden Samstag gegen Südafrika im Tor stehen, weil das Spiel schließlich in seinem Heimatort Leverkusen stattfindet. Für das danach am Mittwoch anstehende und viel bedeutsamere WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan in Hannover wird Adler sich am Samstag allerdings nicht empfehlen können. Gegen Aserbaidschan wird Robert Enke im Tor stehen, und das hat nichts damit zu tun, dass Hannover Enkes Heimatort ist; eher damit, dass Löw für die drei entscheidenden und wegweisenden Qualifikationsspiele gegen Aserbaidschan, Russland (10. Oktober) und Finnland (14. Oktober) Sicherheit sucht und kurzfristige Diskussionen vermeiden will.

"Robert hat im Moment einen kleinen Vorsprung", sagt Löw, "deshalb geben wir ihm jetzt das Vertrauen." Ende des Jahres, falls die Qualifikation geschafft ist, will Löw neu überlegen. "Dann können wir neu diskutieren", sagt er und nennt das vorübergehende Bekenntnis zu Enke explizit "keine Vorentscheidung". Das ist zumindest die offizielle Sprachregelung, um nicht schon wieder Unruhe zu schaffen. Eine kleine Vorentscheidung ist es aber doch.

Denn Enke hat inzwischen deutlich die Nase vorn, und sollte er sich in den Qualifikationsspielen bewähren, bleibt der 32-Jährige der klare Favorit für die WM 2010. Die jungen Adler, 24, und Neuer, 22, könnten auch nach der WM noch reüssieren, eine voreilige Akzeptanz der Reservistenrolle ist von ihnen aber nicht zu erwarten. "Ich möchte die Nummer eins sein", sagt Adler und erklärt das mit seinem grundsätzlichen Streben nach dem Maximalen. "Mir reicht es nicht, einfach nur dabei zu sein", sagt der Leverkusener, der Wieses Enttäuschung auch deswegen verstehen kann, "weil ich im August fürs Spiel in Aserbaidschan auch nicht nominiert und darüber nicht erfreut war."

Adler und Neuer äußern sich aber stets dezent, im Gegensatz zu Wiese ("Vielleicht muss ich ja mal ein Tor schießen, um nominiert zu werden"). Der Bremer hat mit seinen 27 Jahren mehr Druck, seine Chance auf eine WM-Teilnahme noch zu nutzen. Allerdings hat er von allen vier Kandidaten bislang am wenigsten im Nationaltor gestanden. Am 19. November 2008 hütete er beim 1:2 gegen England in der zweiten Halbzeit das Tor. Enke kommt auf 720 Minuten im DFB-Tor (acht Einsätze), Adler auf 315 (4 Einsätze), Neuer auf 90 (ein Einsatz).

Dass in der Torwartlotterie immer häufiger auch freche Worte fallen, stört aber nicht nur den Bundestrainer Löw ("Ich fordere mehr Respekt für meine Entscheidungen"), sondern auch den Teammanager Bierhoff, der von allen Beteiligten weniger Wehleidigkeit und mehr Professionalität einfordert. "Jeder Spieler muss sich doch im Klaren sein, dass er sich einem Konkurrenzkampf stellt, in dem nicht alle gewinnen können." Sehr positiv, sagt Bierhoff, seien ihm da jüngst die Reaktionen aus Leverkusen aufgefallen. "Dort haben sie gelassen reagiert." René Adlers langfristige Chancen verschlechtert das keineswegs.

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