"Unsere Mütter, unsere Väter" im ZDF:Vom Fragenstellen und Zuhören

Volker Bruch Tom Schilling Dreharbeiten ZDF "Unsere Mütter, unsere Väter"

"Keiner bleibt, was er ist": Volker Bruch und Tom Schilling bei den Dreharbeiten zu Unsere Mütter, unsere Väter.

(Foto: dpa)

Die ZDF-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" über fünf Freunde im Zweiten Weltkrieg befeuert die deutsche NS-Aufarbeitung. Und verfolgt damit einen zukunftsweisenden Trend: Selbstreflexion statt Selbsthass.

Von Kia Vahland

Zur besten Tatortzeit zeigte das ZDF am Sonntag einen Kriegsfilm: die erste Folge des Dreiteilers "Unsere Mütter, unsere Väter", produziert von Nico Hofmann. 7,22 Millionen Zuschauer schalteten ein, davon 14,5 Prozent unter 50 Jahren - und wohl etliche, die ihre Abende ansonsten nicht vor dem Fernseher verbringen. Die Trilogie ist gekonnt inszeniert, mit fünf starken Schauspielern und vielen einprägsamen Nahaufnahmen. Sie zeigt aber auch viel Gewalt, Blut und Tod, und sie spart nicht die unappetitlichen Sexszenen zwischen einem SS-Mann und einer sich ihm prostituierenden Hauptdarstellerin aus.

Warum tun sich das die Zuschauer an? In einem Land, das nicht einmal seine aus Afghanistan heimkehrenden Veteranen im großen Stil ehren mag, weil es partout mit Krieg nichts zu tun haben will? Das zudem Neonaziverbrechen wie die des "NSU" lange nicht wahrhaben wollte, weil das ja bei uns nicht mehr vorkommt?

Verroht, verkauft, verraten

Der Film handelt eher am Rande von historischen Zusammenhängen. Vielmehr erzählt er die individuellen Geschichten von fünf durchschnittlichen jungen Menschen, von denen, wie einer es formuliert, "keiner bleibt, was er ist". Der eine verroht, die andere verkauft sich, eine dritte wird zur Denunziantin. Trotzdem kommen die Figuren nicht sehr schlecht weg, im Gegenteil: Ihnen bleiben Restzweifel, Ambivalenzen - vielleicht, weil das Leben in Diktaturen genau so sein kann, vielleicht auch, weil ein Spielfilm seine Helden nicht komplett verraten kann, wenn er als Drama funktionieren will.

Auf solche Grauwerte kommt es in der Debatte jetzt an, deshalb trifft die Serie einen Nerv. Generalvorwürfe helfen nicht weiter, stellvertretende diffuse Schuldgefühle für die eigenen Eltern und Großeltern auch nicht.

Zu lange war die Diskussion um die deutsche NS-Vergangenheit geprägt vom Bedürfnis der Abgrenzung von den Tätern. Das mag in den Jahren um 1970 für die Kindergeneration notwendig gewesen sein, um überhaupt zu einem eigenen Leben zu finden. In erster Linie ging es dabei oft um eine Entlastung der Gegenwart, erst in zweiter Linie um akribische Aufklärung der gesellschaftlichen und familiären Vergangenheit.

Die Illusion mancher Täterkinder vom Bruch mit allem Gewesenen und der eigenen moralischen Überlegenheit musste blinde Flecken auf der Netzhaut erzeugen - schon die Philosophin Hannah Arendt schüttelte den Kopf über die deutsche Studentenbewegung, die "gar nicht sieht, was ihr vor der Nase liegt" und lieber gegen den Vietnamkrieg revoltiere, als sich über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie Gedanken zu machen.

Falsche Kompromisse, kleine Bequemlichkeiten

Inzwischen sind die Täterkinder pensioniert und die Kindeskinder am Zug. Es ist die erste und letzte Chance, den Teufel im Detail zu suchen, nach den wirklichen Biografien der Großeltern zu fragen (oder der Vorvorgänger in den Institutionen des Landes), nach ihren falschen Kompromissen, unguten kleinen Bequemlichkeiten, ihren Lebenslügen und verpassten Handlungschancen - nach all dem also, was in der Masse in die Katastrophe führte. Das ist nicht unbedingt immer angenehm, und von der Vorstellung einer großartigen Ahnengalerie werden sich viele Leute in diesem Prozess genauso verabschieden müssen wie von der Idee, man habe in der zweiten Jahrhunderthälfte komplett von vorne angefangen.

Die Deutschen werden sich nicht mehr darüber identifizieren können, selbst ganz anders zu sein, nämlich immer integer. Passé ist damit auch die Logik, wonach ein Großteil der Bevölkerung zwar eine Kollektivschuld anerkennt, sich aber selbst in familiär und institutionell unbelasteten Traditionen zu wissen glaubt.

Und was kommt stattdessen? Wir sind die lernfähigen Nachfahren der Verbrecher. Der Diskussionsprozess selbst, das Fragen und Zuhören, könnte zum neuen gesellschaftlichen Identifikationsmuster werden: Weil es befreiend ist zu verstehen - und davor bewahrt, die Routine der emotionalen Abwehr in die nächste Generation weiterzutransportieren. Wer das ganze "Was uns nicht tötet, härtet uns ab"-Gehabe der Großeltern und Altvorderen der Republik als Schutzpanzer und Ausweichmanöver durchschaut, der kann sich selbst neugierig und nahbar zeigen - weil er oder sie Konflikte besser zu lösen versteht.

Diesen Weg gehen Historiker, die mit Zeitzeugen arbeiten, schon lange. Auch Literaten und Sachbucherzähler der mittleren und jüngeren Generation haben in NS-Fragen die Fallstudie für sich entdeckt. So hat die Journalistin Katja Thimm in ihrem Buch "Vatertage" minutiös die Vertriebenengeschichte ihres Vaters nachgezeichnet, mit allen Konsequenzen für die westdeutsche Gesellschaft sowie ihre eigene Erziehung. Und die Schriftstellerin Annette Pehnt hat im vergangenen Jahr in "Chronik der Nähe" ein bedrückendes Dreifach-Porträt einer Trümmerfrau mit Tochter und Enkelin entworfen, in dem Gewalt und Herzenskälte seit dem Krieg ihre Kreise ziehen - und doch, dank der Gespräche und Gedankenarbeit, von Generation zu Generation immer weniger werden.

Diesen Trend - Selbstreflexion statt Selbsthass - bündelt der ZDF-Dreiteiler in einem Film der Stunde. Und macht damit populär, was zwischen den Generationen schon seit einiger Zeit im Gange ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: