Neues Album von Justin Timberlake:Verblüffend leichtfüßig

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Für keinen Spaß zu schade: Justin Timberlake beim Preis der Studententheatergesellschaft Hasty Pudding Theatricals der Universität Harvard. (Foto: REUTERS)

Anders als austauschbare Stars, die zur Funktionselite gehören, ist Justin Timberlake ein wirklich großer. Alle lieben ihn. Sein neues Album? Mäßig, aber darauf kommt es kaum noch an. Ob als Tofu verkleidet oder nach fünf Tequila-Shots: Er führt gerade vor, dass ein Popmusiker auch anderswo seine großen Momente haben kann.

Von Jens-Christian Rabe

Es gibt Stars, die verehrt und bewundert werden, weil sie gerade massenhaft geteilte Träume und Wünsche verkörpern. Solche Stars werden längst gezielt aufgebaut, produziert. Manche von ihnen stehen ganz kurz im Licht, andere etwas länger. Manche werden von uns, dem ungnädigen Monster namens Publikum, eiskalt fallengelassen, andere jonglieren sich selbst aus dem Spiel.

Was sie eint, ist, dass sie einer Kaste angehören, die man vielleicht als Star-Funktionselite bezeichnen muss, die in liberalen kapitalistischen Massendemokratien offenbar gebraucht wird. Ganz so wie - in anderer Form und Funktion natürlich - andere Funktionseliten eben auch, also etwa Politiker, Wissenschaftler oder Manager. Die Macht oder wenigstens der Einfluss dieser Stars leitet sich am Ende nicht aus ihnen selbst ab, sondern aus ihrer Funktion. Jeder Einzelne für sich ist austauschbar.

Und dann gibt es die wirklich großen Stars, die, die man Superstars nennen könnte, wenn der Begriff nicht so inflationär und falsch gebraucht würde. Die wirklich großen Stars werden nicht nur berühmt - sie werden geliebt. Und zwar von so gut wie allen. Von den Jungen und Alten, den Frauen und Männern, von denen, die keine Ahnung haben und denen, den man es eigentlich nie recht machen kann. Ihre Macht als Herzschrittmacher der Bewusstseinsindustrie leitet sich aus ihnen selbst ab. Und ihre wahre Größe daraus, dass sie sie trotzdem nicht missbrauchen (oder wenigstens dafür sorgen, dass es niemand bemerkt, wenn sie es doch einmal tun).

Lauter Konjunktive

Einer dieser wenigen wirklich großen, geliebten Stars unserer Gegenwart ist der erst 32-jährige amerikanische Popsänger, Entertainer und Hollywood-Schauspieler Justin Timberlake.

Erkennen konnte man das in den vergangenen Tagen schon allein an den Reaktionen auf sein neues, gerade erschienenes drittes Album "The 20/20 Experience" (Sony). Überall begegnet man nämlich dem gleichen, sehr lustigen, aber halsbrecherischen rhetorischen Manöver: Richtig vom Hocker haut die Platte eigentlich keinen, aber alle geben sich große Mühe, sie doch irgendwie grandios zu finden. Wenn das nicht Liebe ist. Spiegel Online schreibt: "Und jetzt (. . .) würde man gerne sagen: Das Warten hat sich gelohnt. Hat es auch. Aber gleichzeitig bleibt das Gefühl, dass niemand diese Platte gebraucht hätte." Wie jetzt?

Der Londoner Guardian befindet formvollendet ausweichend, dass man sich in den fernen Zeiten, in denen Timberlake noch als Teenie-Star mit seiner damaligen Freundin Britney Spears im Jeans-Partnerlook in der Öffentlichkeit auftauchte, nicht hätte träumen lassen, dass er einmal so ein Album aufnimmt. Die New York Times wiederum rang sich zu einer Formulierung von sprödester Schönheit durch: "The 20/20 Experience" könnte man als ein Werk der Hybris missverstehen, wenn es denn im eigentlichen Sinne arrogant wäre.

Und das einflussreichste der Online-Musikmagazine Pitchfork eiert sich zu dem Befund durch, Timberlake sei ein erwachsenes Album gelungen, es verstoße zwar ganz klar gegen die Popregel, dass glückliche Ehen wie die des Meisters mit der Schauspielerin Jessica Biel kein Stoff für erfolgreiche Pop-Alben sind, aber vielleicht könnte es ja jetzt doch so weit sein. Vielleicht. Konjunktive überall.

Und was sage ich? Ich würde sagen, dass auf diesem Album all die bislang scheinbar zeitlos tollen breitwandig-flackernden Synthie-Schnipsel, die bei Michael Jackson geborgten Falsett-Säuseleien und voluminösen Stop-and-go-Beat-Brösel des avancierten R'n'B des vergangenen Jahrzehnts zu hören sind, die die beiden ersten Alben Timberlakes - also "Justified" von 2002 und "FutureSex/LoveSounds" von 2006 - zu so großartigen Pop-Alben machten und noch immer machen.

Aber Songs wie "Senorita", "Like I Love You", "Cry Me A River", "What Goes Around Comes Around" oder "Sexy Back", die den ehemaligen Disney-Kinderstar und Boy-Group-Hampelmann Justin Timberlake zu einem Star und Popmusik-Künstler eigenen Rechts machten - Songs dieser Qualität fehlen auf "The 20/20 Experience" leider völlig. Alles plätschert etwas allzu solide dahin, wie schon die erste Single "Suit & Tie".

Und es stimmt auch nicht wirklich, dass Tim Mosley, der unter dem Namen Timbaland einer der drei wichtigsten R'n'B-Produzenten des vergangenen Jahrzehnts ist, endlich seine anhaltende Formkrise überwunden hat. Er hat vielmehr auf höchstem Niveau ein eher uninspiriertes Sofa-Soul-Album produziert, auf dem über die Hälfte der Songs länger als sieben Minuten ist, ohne dass man versteht, warum das so sein musste. Außer natürlich, dass es so irgendwie erwachsener, ambitionierter erscheint. Aber wer die jüngsten Auftritte Timberlakes in der Late-Night-Show von Jimmy Fallon, bei Saturday Night Life oder im BBC bei Jonathan Ross gesehen hat, der war natürlich trotzdem hingerissen von diesem liebenswerten, begnadeten Entertainer.

Die großen Momente

Wen kümmert es, dass ein neues Timberlake/Timbaland-Album degradiert wird zum bloßen Anlass für Fernsehauftritte, wenn das Momente ergibt, wie den vierten Teil der History-of-Rap-Nummer. Mithilfe der Roots, die im Nebenberuf die Studioband der Show ist, rappte sich Timberlake da wieder einmal so verblüffend leichtfüßig wie gekonnt mit Fallon durch ein Medley berühmter Hip-Hop-Hits. Auch das in derselben Woche bei Fallon mit eigener Band live aufgeführte Medley seiner besten alten Songs war einer jener Fernsehmomente, die immer so lange rar sind, bis einer wie Timberlake sie im Dutzend hinlegt. Einfach so.

Der Mann kann auf einer Bühne und mit einem Mikrofon alles: singen, rappen, tanzen, schauspielern und wirklich lustig sein. Ja, das auch noch - und alles immer schön supernett mit links. Egal ob als er selbst, als Tofu verkleidet bei Saturday Night Life oder beim Minigolf nach fünf strammen Tequila-Shots in der BBC, wo ihm Jonathan Ross während des Interviews plötzlich grinsend zwei Schnapsgläser und eine Flasche des Timberlake-Tequilas vor die Nase stellte.

Einzig vielleicht, dass er die Vagina seiner Frau in "Strawberry Bubblegum" mit einem ebensolchen Erdbeer-Kaugummi vergleicht und sein eigenes Geschlechtsteil mit einem Blaubeer-Lollipop - das erscheint nicht so locker stilsicher. Man würde sich aber gar nicht wundern, wenn das auch einfach nur die Vorlage wäre für die nächste grandiose Saturday-Night-Life-Selbstparodie. Ach, lovely.

© SZ vom 21.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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