Neue Kriminalitätsstatistik in NRW:Wenn Rechtsextreme ohne Führerschein fahren

Ob Ladendiebstahl oder Volksverhetzung: Jede Straftat bekannter Rechtsextremisten wird in Nordrhein-Westfalen inzwischen zentral erfasst. Nun gibt es Ergebnisse - und Kritik am Sinn des Projekts.

Von Antonie Rietzschel

Nordrhein-Westfalen hat schon lange ein Problem mit Rechts: Dortmund gilt als Neonazi-Hochburg in Westdeutschland, die Partei von NPD-Exfunktionär Christian Worch, "Die Rechte", hat in dem Bundesland mehrere aktive Landesverbände, und die rechtspopulistische "Bürgerbewegung Pro NRW" geht mit islamfeindlichen Thesen auf Stimmenfang.

In Ralf Jäger hat Nordrhein-Westfalen seit 2010 einen Innenminister, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, "den Neonazis auf die Springerstiefel zu steigen", wie der SPD-Politiker betont. Nach Bekanntwerden der NSU-Morde im November 2011 legte er einen "Acht-Punkte-Plan gegen Rechts" vor. Punkt eins: Egal, ob Volksverhetzung oder Ladendiebstahl - wirklich alle Straftaten von bekannten Rechtsextremisten werden zentral erfasst. Das ist deutschlandweit einmalig.

Nun liegen Ergebnisse für 2012 vor. Ob sich die Mühe gelohnt hat, ist fraglich. Jäger weiß nun, dass 556 Rechtsextremisten 1387 nicht politische Straftaten begangen haben. Darunter ein Tötungsdelikt, 275 Körperverletzungen sowie 310 Diebstähle und Einbrüche. Auf jeden Rechtsextremen, der in NRW eine ausländerfeindliche oder anders politisch motivierte Gewalttat begangen hat, kommen zwei weitere Gewaltdelikte, die keinen rechten Hintergrund haben. Dazu zählt auch der Fall eines rechten Jugendlichen, der in Recklinghausen auf einem Friedhof einen Freund mit einer Grablampe erschlagen hatte.

"Neonazis haben eine hohe kriminelle Energie", so das Fazit des Innenministeriums. Von 800 gewaltbereiten Rechtsextremisten in NRW gelten 170 als besonders gefährlich. Durch das Vorgehen sollten die rechtsextremen Straftäter spüren, dass sie stark unter Beobachtung stehen und dazu gebracht werden, keine weiteren Delikte zu begehen, heißt es in einer Erklärung. Ob das Vorhaben wirkt, wird sich wohl erst in ein paar Jahren zeigen. Tatsächlich erhalten das Innenministerium und die Öffentlichkeit durch die neue Zählweise einen Überblick über das kriminelle Potenzial der Szene.

Zu enger Blick

Alexander Häusler von der Arbeitsstelle Neonazismus in Düsseldorf zweifelt jedoch an dem Sinn, wirklich jede Straftat aufzuführen: "Zu wissen, ob ein Neonazi ohne Führerschein Auto fährt, sagt nichts über dessen rechtsextremes Gesamtbild aus", sagte er Süddeutsche.de. Anstatt vermeintlich nicht politische Straftaten bloß aufzuzählen, sollten sie gründlich daraufhin untersucht werden, ob sie nicht doch einen rechtsextremen Hintergrund haben.

Dass das Innenministerium jedes Delikt aufführt, wertet er als übetriebene Reaktion darauf, dass die Polizei viele Jahre politisch motivierte Straftaten nicht als solche wahrgenommen hat: "Der Blick auf rechtsextreme Straftaten war lange Zeit viel zu eng." So auch im Fall dreier ermordeter Polizisten. Lange Zeit wurden die rechtsextremen Aktivitäten des Täters ignoriert. Im November 2011, elf Jahre nach der Tat, wurde im Zuge der NSU-Ermittlungen über die politischen Hintergründe diskutiert.

Seitdem versucht das Innenministerium, hart durchzugreifen: Ende August 2012 verbot Innenminister Ralf Jäger die rechtsextremen Vereine "Nationaler Widerstand Dortmund", "Kameradschaft Hamm" und "Kameradschaft Aachener Land". "Durch das Verbot haben wir große Löcher in das Netzwerk der Neonazis gerissen", heißt es dazu in der aktuellen Erklärung Jägers.

Dabei hat der Erfolg der Aktion nicht lange angehalten: Die Aktivisten der verbotenen Vereine reorganisierten sich in der Partei "Die Rechte". Sie gründeten einen NRW-Landesverband und mehrere Kreisverbände. An der Stelle ist Jäger machtlos. Er kann keine Partei verbieten, die bisher, zumindest nach außen, den Prinzipien des Grundgesetzes folgt. Der Innenminister kann nur hoffen, dass einer der Mitglieder mal ohne Führerschein erwischt wird.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, dass die Daten vom Verfassungsschutz zentral erfasst werden. Korrekt ist jedoch, dass sie von der Polizei gesammelt werden. Mit einem landesweiten Intensivtäterprogramm versuchen die Ermittler kriminelle Lebensläufe Rechtsextremer frühzeitig zu erkennen.

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