Münchner NSU-Prozess:Kreativität? Guter Wille? Mangelware

NSU-Prozess München, Oberlandesgericht München

Pressesitze im Münchner Oberlandesgericht: kein fester Platz für türkische Journalisten.

(Foto: AFP)

Dass beim Verfahren gegen die Nazi-Terrorgruppe NSU kein türkischer Journalist einen festen Platz im Gerichtssaal bekommt, ist peinlich. Obwohl der Einlass bei Prozessen strikt geregelt ist, haben Gerichte anderswo längst vorgemacht, wie flexible Lösungen aussehen können.

Von Hans Holzhaider

Nichts bereitet dem Gerichtsreporter schlimmere Albträume als die Vorstellung, bei einem wichtigen Prozess nicht in den Gerichtssaal gelassen zu werden. Sicher, es gibt Gerichtssprecher, die für Auskünfte zur Verfügung stehen. Man kann in Verhandlungspausen mit den Verteidigern oder dem Staatsanwalt reden. Aber nichts, absolut nichts, ersetzt die persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal. Was der Angeklagte sagt, und wie er es sagt, was die Zeugen sagen, welche Emotionen sie zeigen, die Interaktion zwischen den Richtern, den Anwälten, den Anklägern - ein Journalist, der nicht in den Gerichtssaal kommt, kann seine Sachen packen und nach Hause fahren.

Aber wie kommt man hinein? Ganz einfach: Man geht zum Gerichtsgebäude, lässt gegebenenfalls die mehr oder weniger strikten Eingangskontrollen über sich ergehen, erkundigt sich nach dem Verhandlungssaal und geht hinein. Der Strafprozess ist grundsätzlich öffentlich. Es mussten schon Prozesse wiederholt werden, weil der Hausmeister aus Versehen die Eingangstür zum Gericht zu früh abgesperrt hat und die Öffentlichkeit deshalb nicht gewährleistet war.

Nur - wenn der Saal voll ist, ist er voll. Stehplätze gibt es nicht. Bei spektakulären Prozessen kommt es oft vor, dass der Zuschauerandrang das Fassungsvermögen des Sitzungssaals weit übersteigt. Dann stehen die ersten Zuschauer manchmal schon um sechs Uhr morgens Schlange vor dem Gerichtsgebäude.

In den meisten Gerichten gibt es reservierte Plätze für die Presse. Die Frage ist nur, wie viele. Der Schwurgerichtssaal im niedersächsischen Stade zum Beispiel hat eher Puppenstubenformat. Wenn dort ein Prozess stattfindet wie zum Beispiel der gegen den "Maskenmann", der über Jahre hinweg kleine Jungen aus Zeltlagern oder Jugendherbergen entführt und drei von ihnen ermordet hatte, dann müssen sich auch manche Journalisten frühmorgens vor den Eingang stellen, um einen der wenigen Zuschauerplätze zu ergattern. Die Rechtsprechung ist insoweit eindeutig: Der Zugang zum Gerichtssaal muss nur nach Maßgabe der räumlichen Möglichkeiten gewährt werden.

Routiniertes Akkreditierungsverfahren

Um dem Medieninteresse bei großen Strafprozessen gerecht zu werden, sind viele Gerichte dazu übergegangen, ein Akkreditierungsverfahren durchzuführen. Meistens wird dafür eine bestimmte Frist gesetzt; wer das nicht rechtzeitig mitbekommt und sich zu spät anmeldet, hat Pech gehabt. In der Regel werden die Presseplätze in der Reihenfolge des Eingangs der Anmeldung zugeteilt. Das gibt den Medien im Umfeld des jeweiligen Gerichts einen gewissen Vorsprung, weil sie ohnehin im Presseverteiler stehen und deshalb sofort reagieren können. Wer dagegen erst aus der Nachrichtenagentur vom Prozesstermin erfährt, hat oft das Nachsehen.

Das kann zu unerwünschten und mitunter peinlichen Ergebnissen führen - das Akkreditierungsverfahren für den Münchner Prozess gegen die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), der am 17. April beginnen soll, ist dafür ein beredtes Beispiel. Es gibt durchaus Möglichkeiten, das zu vermeiden. Als der Wettermoderator Jörg Kachelmann wegen Vergewaltigung angeklagt wurde, stand das Landgericht Mannheim vor einem ähnlichen Problem. Im Mannheimer Schwurgerichtssaal, der gut 130 Sitzplätze hat, waren 48 Plätze für die Medien reserviert.

Die Nachfrage übertraf die Anzahl der Plätze bei weitem. Weil Kachelmann Schweizer Staatsbürger ist, gab es ein großes Interesse von Seiten der Schweizer Medien, das Gericht wollte sicherstellen, dass diese einen festen Platz im Gerichtssaal bekommen. Deshalb bildeten sie bei der Akkreditierung einen eigenen "Topf" für die Schweizer Medien. Ein ähnliches Verfahren bei einem spektakulären Mordprozess vor dem Landgericht Ulm hatte das Bundesverfassungsgericht zuvor ausdrücklich abgesegnet. Dort hatte das Gericht drei "Töpfe" gebildet - einen für die regionale Presse, einen für die überregionale Presse und einen für Rundfunk und Fernsehen.

Bei gutem Willen unproblematisch

Aber man kann das Platzproblem mit gutem Willen und etwas kreativer Phantasie auch anders lösen. Als im Juli 2002 die Seilbahnkatastrophe von Kaprun vor dem Salzburger Landesgericht verhandelt werden sollte, gab es im Gerichtsgebäude keinen auch nur annähernd ausreichenden Saal. 16 Angeklagte mit je zwei Anwälten, eine Vielzahl von Nebenklägern, über 70 Journalisten aus vielen Ländern. Es waren durchaus Konfrontationen zwischen Nebenklägern und Angeklagten zu erwarten. Das Gericht mietete kurzerhand den Saal im Salzburger Kolpinghaus. Die Polizei riegelte das Gebäude weiträumig ab, Besucher mussten durch zwei Sicherheitsschleusen gehen, jeden Morgen wurde das Gebäude mit einem Sprengstoffhund abgesucht. Es gab keinerlei Zwischenfälle.

Auch beim Prozess gegen den Massenmörder Anders Breivik in Oslo fand das Gericht eine von allen akzeptierte Lösung. Der Gerichtssaal wurde je zur Hälfte für Journalisten und Angehörige der Opfer reserviert. Im Gerichtsgebäude wurde ein zweiter Saal für die Presse eingerichtet, dort konnten die Journalisten das Geschehen im Gerichtssaal auf Bildschirmen in norwegischer Sprache verfolgen. In einem nahegelegenen Hotel war ein Pressezentrum eingerichtet, dort wurde die Verhandlung in englischer Simultanübersetzung auf eine Großleinwand übertragen - auch hier hatten nur akkreditierte Journalisten Zugang.

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