Debatte um "Unsere Mütter, unsere Väter":Der polnische Lückenbüßer

Unsere Mütter, unsere Väter

Viktor (Ludwig Trepte) wurde von den Partisanen als Jude enttarnt. Im Hintergrund: Partisanenführer Jercy (Lucas Gregorowicz).

(Foto: David Slama/ZDF)

Die netten Fünf im ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" wühlen die Gemüter auf. Für Polen besonders befremdlich ist die Episode mit den Antisemiten bei den polnischen Partisanen. Sie ist gedankenlos und schludrig. Polen wird allein aus Kostengründen zum Platzhalter. Was für ein ahistorischer Schinken dieser Film doch ist.

Ein Gastbeitrag von Adam Krzemiński, Warschau

Zwei Themen beherrschen deutsch-polnische small talks in diesen Tagen, die polnische Herkunft der Bundeskanzlerin und "Unsere Mütter, unsere Väter". Der ZDF-Dreiteiler ist Anlass für einen Austausch über die Substanz der deutschen Bekehrung nach 1945.

Und der läuft ungefähr so:

Es ist das Schamgefühl über den Holocaust, das für uns eine Bremse gegen einen Rückfall in nationale Hybris ist, meint der deutsche Gesprächspartner.

Und nicht etwa der Griff nach der Weltmacht im zweiten Dreißigjährigen Krieg? insistiert der Pole.

Die Vernichtung der Juden durch das 'Dritte Reich' war ja nur die Spitze des Eisbergs; der genozidale deutsche Eroberungskrieg begann 1938...

Nein, kommt als Antwort, Kriege hat es und wird es immer geben, auch Hegemonien der Starken über die Schwächeren, aber die Scham darüber, dass ein deutscher Staat auf distanziert bürokratisch-administrativem Wege die Vernichtung der Juden anordnen, vorbereiten und durchführen konnte, ist singulär...

Timothy Snyder zeigt aber in den "Bloodlands"...

Nebbich! Sein Buch ist bloß noch so eine Relativierung des Holocaust...

Die Zuspitzung auf die Singularität eines Völkermords lässt alle anderen nur als Kavaliersdelikte verblassen und stellt - wie in den polnischen Episoden von "Unsere Mütter, unsere Väter"- eine Gemeinsamkeit im Judenhass etwa zwischen der SS und der polnischen "Armia Krajowa" (Heimatarmee) her.

Die eigene "Familientherapie" vor dem Bildschirm kann doch nicht darauf beruhen, dass man eigene Schuldgefühle dadurch relativiert, dass man die anderen als nicht besser vorführt...

Das ist Euer Problem, auch die Polen müssten endlich lernen, mit der Nase in den eigenen Dreck zu stoßen und nicht den größten Feiheitskämpfer aller Zeiten zu spielen...

Und ausgerechnet Euch steht die Rolle der moralischen Schiedsrichter zu...?"

In so einem so chiffrierten deutsch-polnischen Wortwechsel würde wahrscheinlich der mediale Hype um den Film einvernehmlich getadelt, die schauspielerische Kunst der Berliner Fünf als Sympathieträger und die technische Sorgfalt in der Nachstellung des Russlandkrieges gelobt. Nur bei der Polenpassage gäbe es kein Einvernehmen.

Entsetzlicher Kitsch als Propagandaschinken

Nun aber gilt gerade sie manchen deutschen Kommentatoren des Films - wie dem Historiker Hans-Ulrich Wehler - durch die Thematisierung des polnischen Antisemitismus als besonders mutig. Sehr viel Mut braucht es dazu allerdings keineswegs, gehört er doch neben den Vertreibungen der Deutschen seit eh und je zum Repertoire des Polen-Diskurses in Nachkriegsdeutschland.

Ein Beispiel aus der DDR: In einem Theaterstück des einstigen Jung-Nazis und späteren Feuilletonchefs des Neuen Deutschland, "Die seltsame Reise des Alois Fingerlein", das jahrzehntelang durch fast alle Theater der Republik tingelte, wurde der "bürgerliche" Widerstand als feige und antisemitisch dargestellt, während der einzige Tapfere, der Juden aus dem Ghetto freikämpft, der Volksdeutsche Fingerlein war. Er lehnte es ab, im "Warthegau" einen polnischen Bauernhof zu übernehmen. Dafür schloss er sich der "Armia Krajowa" an, deren Soldaten nur an ihre Tafelsilber dachten (im ZDF-Film schlagen sie den getöteten Deutschen die Goldzähne aus). Danach half Fingerlein den von ihm geretteten Juden, den Staat Israel aufzubauen. Entsetzt darüber, dass sie mit den Palästinensern nicht können, kehrt er nach Deutschland zurück, um in der DDR, quasi als neuer Faust, im Oderbruch den Sumpf trockenzulegen.

Summa Sumarum: Entsetzlicher Kitsch als Propagandaschinken.

In einem Zeit-Gespräch verwahrte sich Produzent Nico Hofmann dagegen, seinen Dreiteiler einen Schinken zu nennen. Als Beleg dafür soll die zungenlösende Wirkung von "Unsere Mütter, unsere Väter" an deutschen Familientischen dienen. Das ist kein hinreichendes Argument.

Gerührt von den netten Fünf, die aus der heilen Welt des Sommers 1941 auszogen, das Fürchten zu lernen, mögen deutsche Zuschauer die aberwitzigen Kopfgeburten der Filmemacher, die unglaubwürdigen Begegnungen der Protagonisten übersehen. Für polnische Zuschauer ist beispielsweise die schlampig geschriebene und gespielte Episode bei den polnischen Partisanen äußerst befremdlich. Ärgerlich ist dabei weniger die Darstellung der antisemitischen Partisanen. Schließlich thematisieren gerade in diesen Monaten zwei hervorragende polnische Spielfilme, "Die Nachlese" und "Die Treibjagd", sowohl den Antisemitismus als auch Kollaboration und Grausamkeit des Partisanenkrieges in Polen.

Lucas Gregorowicz in "Unsere Mütter, unsere Väter"

Lucas Gregorowicz als Partisanananführer Jerzy im ZDF-Mehrteiler Unsere Mütter, unsere Väter.

(Foto: David Slama)

Ärgerlich ist vielmehr die Gedankenlosigkeit und Schludrigkeit der polnischen Episode. Die Filmemacher geben ja selbst zu, dass sie erst im letzten Moment darauf gekommen sind, als die ursprüngliche Idee, Viktor nach Amerika fliegen und wie etwa Stefan Heym mit der US-Armee zurückkehren zu lassen, aus Kostengründen geplatzt sei. Polen also als Platzhalter aus Kostengründen - eine veritable Aufarbeitung der Geschichte!

Und so wurde diese Episode auch zusammengeschustert. Sie fängt mit der kleinen Alina an, die Viktor zu den Partisanen führt. Dass sie gebrochen Deutsch spricht, ist verständlich, dass sie Polnisch aber mit deutschem Akzent spricht, wie übrigens auch einige der übrigen "Polen", macht die Sache peinlich. Für deutsche Zuschauer mag das irrelevant sein, für polnische - die sofort merken, dass die russische und ukrainische Episode sorgfältiger inszeniert wurde - leuchtet ein Alarmsignal auf: Warte mal, was denken sie sich jetzt bloß aus?

Und es geht noch weiter. Ausgerechnet Ende Juli 1944 von der nahen Befreiung Warschaus zu sprechen, ohne den Warschauer Aufstand zu erwähnen, zu dem diese Partisanen hinzuzustoßen wären, hätte verpflichtender Bestandteil des Films sein müssen. So ist er einfach nur feige. Genauso feige ist es von Nico Hofmann, Katyn in den Gesprächen der Polen untereinander NICHT zu erwähnen.

Sträflich unglaubwürdig

Eigentlich hätte es bereits in der Smolensker Episode erwähnt werden können, als eines der Gerüchte, was die Sowjets im besetzten Teil Polens angerichtet haben. Aber darum, dass der Sommer 1941 nur die Folge des September 1939 ist, scheren sich weder die Filmemacher noch ihre Figuren. Sträflich unglaubwürdig wird die ganze Episode schließlich dadurch, dass sie Viktor - wie Alois Fingerlein bei Kerndl - zu einer Pappfigur macht. Wenn seine Aufnahme in die Gruppe nur hoffnungslos papiern erscheint, dann ist seine Teleportation aus den polnischen Wäldern im Sommer 1944 nach Berlin im Mai 1945 nur ein weiteres Zeichen für die Feigheit der Filmemacher.

Realistisch wäre die Geschichte nämlich, wenn sie die Gruppe - anstatt sich dümmlich über den Bigos als Nationalgericht auszulassen - zum Schluss von den Sowjets überrennen, Viktor als Jude outen und in die Rote Armee aufnehmen, die Polen dagegen - ob Antisemiten oder nicht - entweder an Ort und Stelle liquidieren oder nach Sibirien verschleppen ließen. Aber dieser polnische Aspekt der deutschen Geschichte interessiert die ZDF-Filmemacher nicht, die ganze Episode ist ja ohnehin nur ein Platzhalter gewesen. Und Viktor in eine sowjetische Uniform zu stecken, würde optisch den einzigen Schuldlosen unter den fünf in ein ungünstiges Licht rücken.

Das ist schade, denn mit Ausnahme der polnischen Passage gewinnen einige polnischen Rezensenten dem Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" durchaus positive Noten ab. Umso mehr drängt sich die Frage auf, warum sich deutsche Filmemacher so schwer tun, diesen Nachbarn seriös in ihr Weltbild zu integrieren, wenn sie nicht ausdrücklich bilaterale Themen aufgreifen?

Ein Beispiel: In einer lustigen Schmonzette wie "Hotel Lux" - einer Film-Komödie über den Hitler-Stalin Pakt im August 1939 - werden zwar Stalin, Hitler, Molotow, Ribbentrop, Ulbricht, Johannes R. Becher und Herbert Wehner karikiert, das Objekt des Paktes aber, die Vernichtung Polens, nicht einmal erwähnt. Lediglich die künftige Auslieferung der deutschen Emigranten an Berlin. Wird etwa im privatisierten und entpolitisierten Kriegsbild im deutschen Kino die bisherige Selbstbemitleidung zur Selbstbefriedigung vor Historienmalerei?

Immerhin bliebe meiner hypothetischen deutsch-polnischen Runde doch noch ein gemeinsamer Lacher darüber, dass Angela Merkel auch Aniela Kazmierczak heißen und polnische Ministerpräsidentin hätte werden können. Denn während Donald Tusks Großvater in die deutsche Wehrmacht eingezogen wurde, wechselte Angela Merkels Großvater 1918 von der deutschen zur polnischen Armee, bevor er schließlich in Ostberlin Polizist wurde.

Der Germanist Adam Krzemiński, Jahrgang 1945, studierte in Warschau und Leipzig und ist seit 1973 Redakteur des polnischen politischen Wochenmagazins Polityka.

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