Sparen in Großbritannien:Reich gegen Arm

Campaigners Protest Against The Government's Impending 'Bedroom' Tax

Demonstranten gehen Ende März in London gegen die sogenannte "bedroom tax" (Schlafzimmersteuer) auf die Straße

(Foto: Getty Images)

Schlafzimmersteuer, weniger Sozialhilfe: Allmählich merken die Briten, wie sehr sich ihr Land unter der Regierung Cameron verändert. Finanzminister Osborne sagt, er wolle mit dem Sparpaket arbeitende Familien belohnen.

Von Christian Zaschke, London

Seit Mai 2010 sind die Konservativen gemeinsam mit den Liberaldemokraten in Großbritannien an der Macht, doch erst in diesem Monat wird das Land spüren, was das wirklich bedeutet. Am Montag sind verschiedene Kürzungen im Sozialsystem in Kraft getreten, der Nationale Gesundheitsdienst wird neu organisiert, zugleich werden Steuern gesenkt. Weitere Kürzungen folgen im Lauf des Aprils. Finanzminister George Osborne hat am Dienstag erklärt, die Maßnahmen würden besonders arbeitende Familien belohnen.

Opposition, Kirchen und Gewerkschaften kritisieren das Sparpaket. Der Kommentator George Monbiot nannte es am Dienstag in seiner wöchentlichen Kolumne im linksliberalen Guardian einen "ökonomischen Krieg der Reichen gegen die Armen".

Osborne hatte für Dienstag kurzfristig eine Rede anberaumt, nachdem in der vergangenen Woche der Chor der Kritiker beständig gewachsen war. Der Finanzminister sprach im Lager einer Supermarktkette in Sittingbourne. Eine knappe halbe Stunde lang verteidigte er die Reformen der Regierung. Eingerahmt wurde der Minister von zwei Bannern, auf denen die neue Losung der Konservativen zu lesen war: "Für hart arbeitende Menschen".

Sozialhilfe-Vergabe wird neu geregelt

Vor gut einem Jahr hatte Osborne einen Haushalt vorgelegt, der zum Desaster geriet. Er hatte unter anderem Steuern auf warme Teigtaschen und Wohnwagen angekündigt, diese nach weitreichenden Protesten aber wieder gestrichen. Diesmal ist der Minister entschlossen, sein Programm umzusetzen. Seine Rede am Dienstag war einerseits eine Rechtfertigung der neuen Sparmaßnahmen, sie war andererseits auch eine entschlossene Vorwärtsverteidigung. Die Sozialsysteme im Land seien schlichtweg kaputt und müssten neu organisiert werden, sagte er. Genau das werde die Regierung nun tun.

Die Vergabe von Sozialhilfe in Großbritannien wird grundsätzlich neu geregelt. Besonders umstritten ist die sogenannte "bedroom tax". Bewohner von Sozialwohnungen müssen künftig Einbußen in der Sozialhilfe hinnehmen, wenn sie über ein freies Schlafzimmer verfügen. 465 Millionen Pfund im Jahr will die Regierung auf diese Weise sparen. Rund eine Million Haushalte sind betroffen, in zwei Dritteln davon lebt ein Mensch mit Behinderung.

Ein weiterer wesentlicher Posten ist die Kürzung beziehungsweise Streichung der Rechtsbeihilfe. Haushalte, die mehr als 32.000 Pfund (rund 38.000 Euro) im Jahr verdienen, sind künftig von der Beihilfe ausgeschlossen. Haushalte, die zwischen 14.000 und 32.000 Pfund im Jahr verdienen, müssen sich einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen, wenn sie Beihilfe beantragen. Die Regierung will so weitere 350 Millionen Pfund sparen. Die oppositionelle Labour-Partei spricht von einem "Tag der Schande".

Osborne senkt den Spitzensteuersatz

Rund sechs Millionen Familien mit niedrigem Einkommen sind zudem von der in Großbritannien üblichen Gemeindesteuer (council tax) ausgenommen. Die Entscheidung über die Ausnahmen oblag bisher dem Arbeitsministerium. Sie wird nun von den Gemeinden selbst gefällt, was bedeutet, dass mehr Familien die Abgabe zumindest zum Teil zahlen müssen. Das soll dem Staat bis zu 480 Millionen Pfund bringen.

Großbritannien, George Osborne, David Cameron, Sparpaket

Großbritanniens Finanzminister Minister George Osborne (vierter von links) posierte Ende März vor seinem Haus in der Downing Street Nummer elf, London: Damals stellte er den Haushalt des schuldengeplagten Landes für das Finanzjahr 2013/2014 vor

(Foto: AFP)

Die Sozialhilfe wird in den kommenden Jahren nicht mehr wie bisher um die Inflationsrate steigen, sondern um lediglich ein Prozent. Ausgenommen davon ist die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen. Diese Maßnahme betrifft 9,5 Millionen Familien. Sie spart dem Staat 505 Millionen Pfund im ersten Jahr und in drei Jahren nach Berechnungen der Regierung rund 2,3 Milliarden Pfund.

Zugleich ordnet Osborne das Steuersystem neu. Haushalte, die weniger als 10.000 Pfund verdienen, sollen künftig keine Steuern zahlen. Zugleich wird der Spitzensteuersatz von 50 auf 45 Prozent gesenkt. Labour hatte den 50-Prozent-Satz im April 2010 eingeführt, einen Monat, bevor die Partei die Parlamentswahl verlor. Osborne hatte die Senkung im vergangenen Jahr angekündigt, nun wird sie wirksam. Er argumentiert, dass der höhere Spitzensteuersatz lediglich eine Milliarde Pfund im Jahr gebracht habe, nicht wie erwartet 2,5 Milliarden.

Labour-Partei kritisiert Maßnahmen als ungerecht

Die größten Änderungen nimmt die Regierung im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) vor. Der Gesundheitssektor soll künftig offener für Wettbewerb von privaten Anbietern sein. Die Kontrolle über Budgets wird in die Hände von lokalen Kommissionen gelegt, die entscheiden müssen, welche Leistungen von welchem Gesundheitsdienstleister eingekauft werden. Der Umbau kostet 1,4 Milliarden Pfund, die mittelfristige Ersparnis soll rund fünf Milliarden Pfund betragen. Kritiker weisen darauf hin, dass private Firmen nur die lukrativen Dienste anböten, was dazu führe, dass der NHS sich um die Alten, die Notfälle und die teuren Sonderfälle kümmern müsse - das wiederum werde dazu führen, dass viele Krankenhäuser bankrott gehen.

Es ist das bisher umfangreichste Bündel an Maßnahmen der Regierung, und es wird Großbritannien dauerhaft verändern. Die Labour-Partei kritisiert die Kürzungen als ungerecht; die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung würden besonders getroffen, während das reichste Prozent der Briten sich über Steuer-Erleichterungen freuen könne.

Finanzminister Osborne sagte am Dienstag: "Zu lange hatten wir ein System, in dem Menschen, die das Richtige tun, sich bestraft fühlten. In diesem Monat beginnen wir, die Dinge richtigzustellen. In diesem Monat stellen wir sicher, dass sich Arbeit lohnt." Die Kritik an den Maßnahmen nannte er "auf deprimierende Weise vorhersehbar".

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