Afghanistan:Wenn der Pakt mit den Taliban scheitert

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Die Amerikaner werden aber nicht bleiben, um in das Wohl und Wehe des afghanischen Staates einzugreifen: Ein US-Soldat in einem Dorf in der Provinz Kandahar. (Foto: AFP)

Trotz massiver Militärpräsenz der Nato, trotz Milliardensummen aus dem Westen: Afghanistan entwickelt weder eine tragfähige Wirtschaft noch ein stabiles Staatswesen. Nun kehren die Aufständischen aus ihren Winterquartieren nach Afghanistan zurück - und werden die zentrale Behauptung des Westens auf die Probe stellen.

Tobias Matern

Was sich in Afghanistan alles nicht erreichen lässt, haben westliche Politiker immer wieder in blumigen Erklärungen aufgeschrieben: eine westliche Demokratie zu schaffen, Schweizer Verhältnisse am Hindukusch zu etablieren, einem Land auf die Beine zu helfen, das normale Beziehungen zu wohlmeinenden Nachbarn unterhält. Kein Afghane hat dies je erwartet. Doch die übertrieben formulierten Nicht-Ziele sollten eher das Scheitern des Einsatzes kaschieren - denn gescheitert ist er, auch gemessen an den realistischeren Zielen, die eingangs formuliert worden sind.

Mit dem Ende der Militärmission vor Augen, wäre es an der Zeit für den Westen, sich mit einer nüchternen Frage zu beschäftigen: Was lässt sich in Afghanistan eigentlich noch erreichen - außer einem Rückzug, bei dem die Staatengemeinschaft nicht ihr Gesicht verliert? Afghanistan hat trotz der ausländischen Präsenz und der Milliardensummen, die hineingepumpt worden sind, weder eine tragfähige Wirtschaft noch ein stabiles Staatswesen entwickelt. Die Sicherheitslage bleibt prekär. Das Ausland verspricht zwar, auch in den nächsten zehn Jahren werde Afghanistan "nicht im Stich gelassen". Aber kaum ein Afghane glaubt daran.

Die Soldaten aus dem Westen räumen ihre Lager, sie treten gestaffelt den Rückzug an. Das klappt je nach Landesteil mal besser, mal schlechter, in manche Regionen müssen die Kämpfer auch zurückkehren. Die afghanischen Sicherheitskräfte können eben entgegen der Nato-Darstellung nicht so einfach auf eigenen Beinen stehen, Qualität und Quantität sind bei Armee und Polizei absolute Gegensätze.

Auch der Haupttruppensteller Amerika reduziert seine Einheiten drastisch. Die USA werden über das in Stein gemeißelte Ende des Kampfeinsatzes im Jahr 2014 hinaus nur einige Tausend, vielleicht etwas mehr als 10.000 Mann am Hindukusch belassen - wenn sich darüber eine Einigung mit der für Washington längst nicht mehr steuerbaren Regierung Karsai finden lässt.

Die Amerikaner werden aber nicht bleiben, um in das Wohl und Wehe des afghanischen Staates einzugreifen, sondern weil Stützpunkte in der Nachbarschaft zu Pakistan und Iran einen strategischen Nutzen bringen. Jenseits dieses geopolitischen Interesses bleibt aber nach wie vor ein Konflikt bestehen. Man braucht keine prophetischen Fähigkeiten, um sich 2013 als eines der blutigeren Jahre dieses Krieges vorzustellen. Der jüngste Luftangriff der Nato, bei dem auch afghanische Kinder gestorben sind, und der Tod einer amerikanischen Diplomatin beweisen: Es wird mit aller Härte weiterhin geschossen und gebombt. Trotz der Bekundungen, ein Friede mit den Islamisten müsse verhandelt werden, lassen sich die Kampfhandlungen nicht drosseln. Die Konfliktparteien wollen ihre Positionen stärken. Und Opfer sind vor allem die Zivilisten.

Der Auftakt der sogenannten Kampfsaison, die traditionell beginnt, wenn die Aufständischen aus ihren Winterquartieren nach Afghanistan zurückkehren, stellt auch eine wichtige westliche Behauptung infrage. Bis wir gehen, so die allgemeine Devise, wird es schon einen Friedensschluss mit den Taliban geben. Und wenn nicht? Was passiert, wenn es weder den öffentlichen Handschlag mit Mullah Omar noch einen geheim verabredeten Ausgleich gibt? Es ist zumindest denkbar, dass ein Pakt nicht zustande kommt, auch wenn die Taliban erkannt haben, dass sie bei aller nach wie vor vorhandenen Stärke und pakistanischer Unterstützung Afghanistan nicht noch einmal alleine werden regieren können.

Doch die Taliban zögern, sie weisen die Angebote zurück - alles eine Folge des zentralen strategischen Fehlers, den US-Präsident Barack Obama begangen hat. Im Gegensatz zum Irak war dieser Einsatz für ihn der gute Krieg, den zu kämpfen sich lohnte. Doch er setzte das Ende des Einsatzes zu einem Moment fest, als die Taliban ebenbürtige Gegner waren. Das rächt sich: Sie lassen ihn warten und können den Preis für einen Deal in die Höhe treiben. Die Zeit ist auf ihrer Seite.

Zwar gibt es nach einer Pause nun wieder Bemühungen, die Taliban in Verhandlungen im Golfemirat Katar für den politischen Prozess zu gewinnen. Doch es mangelt nicht nur an ihrer ernsthaften Gesprächsbereitschaft. Auch an einer anderen Front droht Ungemach. Die Anführer der nördlichen Gebiete Afghanistans sind alles andere als bereit, den Erzfeinden Taliban in Kabul mehr Einfluss zu gewähren. Die Warlords wetzen die Messer, wenn nicht eine große Verhandlungslösung gefunden wird, die sie mit einbezieht. Es wäre schon ein Erfolg, wenn nicht unmittelbar nach dem westlichen Abzug die alten innerafghanischen Scharmützel ausbrächen.

© SZ vom 09.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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