Pflegeversicherung:Stiftung Warentest warnt vor Pflege-Bahr

1500 Euro monatliche Zuzahlung im Pflegefall: Um diese Versorgungslücke zu mindern, gibt es staatlich geförderte Pflegetagegeldtarife. Doch die Stiftung Warentest rät von der sogenannten "Pflege-Bahr" ab. Kunden müssten immer noch ordentlich draufzahlen - nicht geförderte Versicherungen seien besser.

Von Sarah Ehrmann, Berlin

Nehmen wir einmal an: Mit Mitte 80 entschließt sich Heinz Kannegießer, seine fünf-Zimmer-Wohnung gegen 25 Quadratmeter in einem Berliner Altenheim einzutauschen. Nach einem Schlaganfall hatte er sich unsicher in seiner großen Wohnung gefühlt. 2500 Euro muss Kannegießer seither monatlich zahlen - die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt auch im Pflegefall nicht alle Kosten. Weil Kannegießer Hilfe braucht, um morgens aus dem Bett zu kommen, die Socken anzuziehen, zu duschen und die Haare zu waschen, ist er in Pflegestufe I eingestuft und erhält monatlich 1023 Euro. Die restlichen knapp 1500 Euro bezahlt er selbst aus seinen Ersparnissen. Versorgungslücke heißt diese Differenz - sie teilt sich auf in Kosten für Pflege und fürs Wohnen. Heinz Kannegießer ist ein Beispiel dafür, wie sehr Pflegekosten ein Loch in die Finanzen von Senioren reißen können, wenn sie pflegebedürftig werden.

Seit Januar gibt der Staat jedem Versicherten fünf Euro im Monat dazu, der eine private Pflegetagegeldversicherung für mindestens zehn Euro im Monat abschließt. Die geförderte Zusatzpolice, "Pflege-Bahr" genannt, soll dann zumindest einen Teil der Versorgungslücke schließen.

Nachdem die Verbraucherorganisation Stiftung Warentest im Januar die ersten beiden Pflege-Bahr-Angebote der Versicherer Huk und Barmenia als "durchaus nützlich" bezeichnet hatte, stellte sie den staatlich geförderten Tarifen am Dienstag ein schlechtes Zeugnis aus: "Die Angebote schließen die finanzielle Lücke im Pflegefall bei weitem nicht", sagte Hermann-Josef Tenhagen, Finanztest-Chefredakteur. "Die Verbraucher sollten keinen Vertrag mit staatlicher Förderung abschließen."

Für die Mai-Ausgabe der Zeitschrift untersuchte Stiftung Warentest 17 geförderte Pflegetagegeldtarife und 23 Tarife ohne Förderung. Demnach stopften staatlich geförderte Versicherungen oft gerade einmal die Hälfte der Versorgungslücke; die Betroffenen müssten auch mit einer solchen Zusatzversicherung noch mehrere hundert Euro im Monat draufzahlen - zusätzlich zu den Wohnkosten, die sie ohnehin allein tragen. "Würden wir die geförderten Tarife mit dem Maßstab für ungeförderte Tarife messen, müssten wir fast alle mit ,mangelhaft' bewerten", sagte Holger Rohde, wissenschaftlicher Leiter von Versicherungen und Recht bei der Stiftung Warentest.

Nicht geförderte Tarife lohnen mehr

In Pflegestufe III müsse laut gesetzlicher Vorgabe nur eine Leistung von mindestens 600 Euro vereinbart sein - "das ist viel zu wenig" heißt es dazu im aktuellen Heft. Schließlich droht Betroffenen eine Versorgungslücke von bis zu 2320 Euro. Dass die Kunden auch nachdem sie pflegebedürftig geworden sind weiterhin einen recht hohen Monatsbeitrag zu zahlen hätten, sei ein großer Nachteil, "den die monatliche Zulage von fünf Euro oft nicht wettmachen kann". Der Vorteil der geförderten Pflege-Police: Um sie zu bekommen, ist keine Gesundheitsprüfung notwendig. Es gibt auch keine Risikozuschläge bei Vorerkrankungen. Damit können auch chronisch Kranke mit hohem Pflegerisiko eine Zusatzversicherung abschließen.

Das Problem daran laut Stiftung Warentest: Wenn viele Kranke diese Verträge abschließen, dürften die Beiträge in Zukunft stärker steigen als in ungeförderten Tarifen. Und: Der Versicherte kann die Leistung oft erst nach fünf Jahren in Anspruch nehmen. Zudem sind Pflegegeldzahlungen bei Demenzerkrankungen häufig nicht ausreichend abgedeckt, weil die Betroffenen körperlich fit sind und daher nicht den gängigen Pflegestufen zugeordnet werden könnten (Pflegestufe Null).

Nach den Prüfungen von Stiftung Warentest lohnen die nicht geförderten Tarife mehr: Wer es sich leisten kann, solle demnach eine Pflegetagegeldversicherung ohne staatliche Zulage abschließen. Am besten schnitt dabei der Vertrag PA der Hanse Merkur ab - er erhielt das Testurteil "sehr gut" (1,3) sowohl für 45-Jährige als auch für 55-Jährige. Schließt ein Kunde mit 55 Jahren diesen Vertrag ab und zahlt 85 Euro monatlich ein, erhält er in den Pflegestufen Null und I zusätzlich monatlich 700 Euro - modellhaft errechnet läge die Versorgungslücke in diesen Pflegestufen zwischen 530 Euro (Pflege zuhause) und 740 Euro (Pflege im Heim). Der Versicherte muss zwar die Monatsbeiträge weiterzahlen, die Leistungen im Tarif der PA der Hanse Merkur seien allerdings so hoch, dass sie diesen Nachteil aufwögen, heißt es.

Ebenfalls "sehr gut" für 45-Jährige wurde das Angebot PZV der Familienversicherung DFV getestet, für 55-Jährige erhielt es das Urteil "gut". Von Kombiprodukten aus staatlich geförderten und nicht geförderten Angeboten, die viele Versicherungen gerne abschließen wollen, rät Stiftung Warentest ab. Demenzkranke seien schlechter abgesichert, Wartezeiten länger, die Beitragsentwicklung ungewiss. Für die Kunden wiege die staatliche Förderung die Nachteile der Zulagentarife oft nicht auf.

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