SPD-Chef Gabriel fordert Tempolimit:Mit Vollgas in den Fettnapf

Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel (re.) fordert ein Tempolimit auf Autobahnen. Doch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hält nichts davon, die Debatte jetzt zu eröffnen.

(Foto: AFP)

Oh weh, die SPD: Mit seiner Forderung nach einem Tempolimit stapft diesmal SPD-Chef Gabriel in ein Fettnäpfchen. Kanzlerkandidat Steinbrück bleibt nur, die Debatte zu beenden, bevor sie richtig losgeht. Und Generalsekretärin Andrea Nahles? Die will weiter rasen dürfen.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Er ist gefragt worden, er hat geantwortet, und jetzt hat die SPD wieder ein Problem am Hals. Ausnahmsweise war es nicht Peer Steinbrück, der mit Wonne in ein Fettnäpfchen getreten ist, sondern sein Parteichef Sigmar Gabriel. Auf die Frage, wie er es denn mit dem von den Grünen geforderten Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Deutschlands Autobahnen hält, antwortete Gabriel in der Rheinischen Post:

"Der Rest der Welt macht es ja längst so. Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt. Die Grünen allerdings wollen diese Geschwindigkeitsbegrenzungen, um den Klimaschutz voranzubringen. Ich glaube, dass die Wirkung dafür sehr, sehr begrenzt ist. Da sind modernere Motoren und Elektromobilität viel wirksamer."

Da ist das Thema also wieder in der Welt: Tempolimit. Umweltschützer und manche Verkehrsexperten fordern es seit einer gefühlten Ewigkeit. Auch jetzt applaudieren sie laut. "Ein Tempolimit ist eine zentrale und längst überfällige Maßnahme", sagte Verkehrsexperte Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er erhofft sich von einem Tempolimit weniger Lärm, weniger Unfälle, weniger Verkehrstote, weniger Treibhausgase.

Genauso verlässlich bricht jedoch jedes Mal eine Welle der Empörung über jene herein, die es offensiv fordern. Der Verkehrsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dirk Fischer, nennt Gabriels Tempolimit-Ansage auf Anfrage von SZ.de "völlig unsinnig". Keine Straße sei sicherer als die Autobahn. Lediglich zehn Prozent der tödlichen Unfälle geschähen dort. Das sei eher Problem auf Landstraßen und innerorts. (Mehr zu den Argumenten pro und contra Tempolimit lesen Sie hier)

Was die SPD am besten kann: Uneinigkeit demonstrieren

Recht gibt Fischer dem SPD-Chef in Sachen Klimaschutz: "Auf den Autobahnen wird im Schnitt ohnehin nur 100 km/h gefahren. Schon deswegen greift das Klimaargument nicht." Mit Union und FDP jedenfalls werde es ein Tempolimit nicht geben.

Mit Gabriels Kanzlerkandidat Peer Steinbrück offenbar auch nicht. Der hält gar nichts von einer solchen Diskussion: "Wir haben auf einem überwiegenden Teil des deutschen Straßennetzes bereits eine Geschwindigkeitsbeschränkung, und ich denke es ist nicht die Zeit, diese Debatte neu zu befeuern", sagt er dem WDR. Spätestens damit zeigt die SPD wieder, was sie in diesem Wahlkampf am besten kann: Uneinigkeit demonstrieren.

Steinbrück liegt wahlkampftaktisch richtig: Freie Fahrt für freie Bürger, kaum etwas liegt den Deutschen mehr am Herzen. Umfragen unterschiedlicher Qualität erscheinen dazu alle Nase lang. Mal sind angeblich 54 Prozent der Deutschen gegen ein Tempolimit. Mal sind es 60 Prozent. Mal sogar 89 Prozent. Alles Zahlen aus Umfragen, die in diesem Jahr durchgeführt worden sind.

Nach einem Wahlkampfschlager riecht das nicht gerade. Das hätte Steinbrück Gabriel vielleicht vor dessen Interview mit der Rheinischen Post sagen müssen.

Im SPD-Regierungsprogramm taucht weder Tempolimit noch Autobahn auf

Recht hat Gabriel jedoch damit, dass Deutschland ein Eiland der Glückseligen für Freunde der unlimitierten Raserei ist. Wer Bleifuß seinen besten Freund nennt, kann europaweit lediglich noch auf den zu Finnland gehörenden Åland-Inseln, auf den Färöer, auf Island, der Isle of Man, in Lettland oder auf Malta richtig Gas geben. Na ja, stimmt nicht ganz, in den meisten der genannten Gegenden gibt es gar keine Autobahnen. Überall sonst gelten Höchstgeschwindigkeiten zwischen 100 und 140 km/h.

Gabriels Einlassung zum Tempolimit wirkt wie einer seiner gefürchteten Alleingänge. Im Regierungsprogramm der SPD, gerade erst in Augsburg verabschiedet, taucht weder das Wort Tempolimit noch Autobahn auf. Doch die Beschlusslage der SPD ist seit 2007 klar: "Ein schneller und unbürokratischer Weg zum Klimaschutz ist die Einführung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h." Das haben die Delegierten in Hamburg mit knapper Mehrheit entschieden - damals allerdings gegen den erklärten Willen von Gabriel, der sich als Umweltminister der großen Koalition keinen Ärger mit dem Koalitionspartner aufhalsen wollte.

Spaß am Rasen

Wenige Wochen später lenkte er ein. "Auch auf den Klimaschutzbeitrag eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen können wir meines Erachtens auf Dauer nicht verzichten", hieß es in einem Brief, den Gabriels damaliger Staatssekretär Matthias Machnig an die SPD-Fraktion im Bundestag schickte. Ein Tempolimit könne einen "wichtigen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen des Straßenverkehrs leisten". Was das Klimaargument angeht, scheint Gabriel wieder in der alten Spur zu sein: Er lässt es nicht gelten.

Neben Steinbrück dürfte noch jemand aus der SPD-Spitze herzlich wenig Verständnis dafür haben, wenn der Chef ihr das Rasen verbieten will: Generalsekretärin Andrea Nahles. Sie hat sich erst am Sonntag in einem großen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als leidenschaftliche Schnellfahrerin geoutet, die auch schon mal mit Vollgas über den Nürburgring brettert. Auf die Anmerkung, es sei doch wohl politisch unkorrekt, wenn eine Frau vom linken Parteiflügel der SPD Spaß am Rasen habe, sagte sie: "Das ist mir so was von egal!"

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