Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie:Nach jeder Katastrophe das gleiche zynische Spiel

Aufgereihte Leichen, verzweifelte Mütter, Gewerkschafterinnen, die in den Trümmern Labels fotografieren - und nach jedem Unglück reden sich die Textilunternehmen raus. Und auch wenn jetzt endlich Kik, H&M und Co. ein Abkommen unterzeichnen: Solange nicht weltweit Standards und Mindestlöhne gelten, werden wir immer wieder Leichen zählen.

Ein Kommentar von Karin Steinberger

Textilindustrie in Bangladesch

Eine Textilfabrik in Dhaka: Es braucht endlich weltweite Sicherheitsstandards und Mindestlöhne.

(Foto: Jeff Holt/Bloomberg)

Das Gute ist: Es tut sich etwas. Das Todtraurige ist: Es mussten erst 1100 Menschen sterben, es mussten erst grauenhafte Bilder von aufgereihten Leichen um die Welt gehen, es mussten erst Mütter mit den Fotos ihrer toten Kinder in die Kameras schreien, bis sich eine zynische Industrie dazu durchringen konnte, an den Zuständen etwas zu ändern.

Jetzt unterschreiben immer mehr Unternehmen jenes Abkommen für Gebäudesicherheit und Brandschutz, das sie jahrelang abgelehnt haben. Firmen wie Kik, Primark, Otto, Aldi, Lidl, Zara, Benetton, H&M haben plötzlich verstanden, dass es so nicht weitergehen kann. Aber haben sie das wirklich, oder reagieren sie nur auf den Druck der Öffentlichkeit, auf die Empörung der Käufer, die nicht mehr wissen, was sie noch kaufen können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?

Seit Jahren wirbt die Kampagne für Saubere Kleidung schon für das Sicherheitsabkommen, man hat bei den betroffenen Unternehmen Klinken geputzt, man war lästig, hat sich abwimmeln lassen, war weiter lästig, hat sich mit Firmenvertretern getroffen, hat nachgefragt. Passiert ist: nichts. Die meisten Unternehmen haben sich auf ihre privaten Auditings berufen, darauf, dass man seine eigenen Zertifizierungsmaßnahmen habe, dass man selber nach dem Rechten sehe.

Die Nachrichten haben schon immer gezeigt, dass das nicht reicht: Im September 2012 starben 300 Menschen in zwei Textilfabriken in Pakistan, im November 2012 verbrannten 112 in einer Textilfabrik in Bangladesch. Und jetzt 1100 Tote in Rana Plaza. Von den unzähligen kleinen Unfällen nicht zu reden.

Das Geschäft ist verlogen, die Bezahlung ein Witz

Nach jeder dieser Katastrophen fängt das gleiche zynische Spiel an. Gewerkschafterinnen vor Ort rennen durch die Ruinen und suchen nach verkokelten Labels und staubigen T-Shirts, sie fotografieren Beweisstücke zwischen aus dem Schutt ragenden Beinen von Leichen. Wenn sie zu spät kommen, ist alles weg.

Aber ohne diese Beweise gibt kein Unternehmen zu, in der Katastrophenfabrik produziert zu haben. Alle reden sich raus, verweisen auf Subunternehmer, von denen man nichts wusste. Es ist ein erbärmliches Geschacher. Wie kann es sein, dass man in der Automobilbranche bei jeder Schraube weiß, wo sie produziert wird. Und bei den Kleidern nicht?

Fraglich ist, ob alle, die das jetzt großspurig ankündigen, auch unterschreiben. Und man muss prüfen, ob sich die Zustände in Bangladesch wirklich verändern. Die Käufer müssen weiter ihre Macht nutzen, denn dass sie Macht haben, das konnte man in den drei Wochen seit der Katastrophe gut beobachten. Aber das Geschäft ist verlogen, die Bezahlung der Arbeiterinnen ist noch immer ein Witz.

Wenn die bangladeschische Regierung bei ihrem Versprechen bleibt und die Mindestlöhne anhebt, wird die Branche einfach weiterziehen, in das nächste, billigere Land. Das Abkommen gilt für Bangladesch, nur für Bangladesch. Solange nicht weltweit gewisse Standards und Mindestlöhne gelten, werden wir immer wieder Leichen zählen müssen.

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