Neues Punktesystem in Flensburg:Wo Urinstinkte walten

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Vom Febuar 2014 an werden Verkehrsdelikte anders geahndet als bisher.

(Foto: dpa)

Gegen enthemmte Autofahrer hilft nur die Androhung massiver Strafen: Dieser Einsicht folgend gibt es seit 1958 das Flensburger Register für Verkehrssünder. Das Punktesystem soll 2014 reformiert werden - und besonders Wiederholungstätern nur noch wenig Gnade gewähren.

Von Joachim Becker

Verkehrssicherheit ist das Ziel, doch die Realität sieht anders aus. Die Zahl der Autos steigt ebenso kontinuierlich wie die Durchschnittsleistung der Motoren - und die Zahl der Verkehrsopfer geht in Deutschland langsamer zurück als in anderen Ländern Europas. Schon zu Zeiten des ersten VW Käfers warnten Verkehrspsychologen vor einer kollektiven Enthemmung hinter dem Steuer: "Das Autofahren fordert bei manchen Menschen die triebhafte Lust an der Technik und an der Geschwindigkeit heraus. Das Rasen im Auto ist ihnen eine Art Urfreude, mit der die Reiterherden durch die Steppen jagten", schrieb ein Kommentator 1953.

Wo Urinstinkte walten, fruchtet Verkehrserziehung wenig, wenn sie nicht mit drakonischen Strafen droht. Seit 1958 werden die versammelten Verkehrssünden in Flensburg festgehalten. Schon im ersten Jahr fanden 810.000 Personen Aufnahme im Zentralregister - bei damals nur knapp sieben Millionen registrierten Kraftfahrzeugen. Jetzt hat der Bundestag die größte Reform der Flensburger Verkehrssünderdatei seit 50 Jahren beschlossen.

Punkteampel mit drei Stufen

Vom 1. Februar 2014 an soll eine dreistufige Punkteampel gelten, der Führerschein ist künftig schon bei acht statt 18 Punkten weg. Dafür werden je nach Schwere des Vergehens nur noch ein, zwei oder drei Punkte pro Verstoß vergeben. Bisher reichte die Skala von eins bis sieben Zähler für besonders gravierende Verkehrsdelikte. Im grünen Bereich der Punkteampel liegen Otto-Normalverbraucher, die sich durch Unachtsamkeit ein Bußgeld einhandeln: Wer eine rote Ampel überfährt oder innerorts bis 30 km/h zu schnell ist, erhält neben einer Geldstrafe beziehungsweise einem befristeten Fahrverbot künftig einen Punkt (bisher bis zu drei Punkte).

Denselben Malus brocken sich auch Fahrer ein, die im Auto ohne Freisprechanlage telefonieren. Beim Stand von 1 bis 3 Punkten erfolgt die Vormerkung ohne weitere Maßnahme. Wem sein Führerschein lieb ist, sollte spätestens jetzt vom Gas gehen und beim Fahren die Finger vom Handy lassen.

Drakonischer werden die Strafen für Rowdys, die andere Verkehrsteilnehmer bedrängen. Wer ab Tempo 130 km/h nicht den gesetzlichen Mindestabstand (halber Tachowert) einhält, riskiert demnächst neben 320 Euro Strafe und zwei Monaten Fahrverbot auch zwei Punkte (bisher vier Punkte). Mehr als 1,1 Promille Alkohol hinter dem Steuer wird mit drei Punkten im Sündenregister geahndet, ein halbjähriges Fahrverbot ist ein Vorgeschmack auf den drohenden Führerscheinentzug mit acht Punkten.

Ermahnung bei vier bis fünf Punkten

Wer einen Kontostand von vier bis fünf Punkten in Flensburg erreicht, soll eine Ermahnung und eine Information über das Fahreignungs-Bewertungssystem erhalten. Beim Stand von sechs oder sieben Punkten wird der Sünder voraussichtlich eine Verwarnung und eine Anordnung zur Teilnahme an einem Fahreignungsseminar erhalten.

Ordnungswidrigkeiten wie das Einfahren in eine Umweltzone ohne Plakette oder Beleidigungen im Straßenverkehr werden künftig nicht mehr in Flensburg festgehalten. Bestraft werden solche Vergehen dennoch: mit 80 Euro Bußgeld im Falle der Umweltzonen beziehungsweise mit einer Strafe in Höhe eines Monatsgehalts für lautstarke Streitereien.

Hintergrund der Neuordnung ist die Erkenntnis, dass das Verkehrssicherheitsrisiko eines Betroffenen nicht von der Anzahl der Punkte im heutigen System, sondern von der Anzahl der Eintragungen abhängt: Wer immer wieder auffällig wird, stellt eine größere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. Deshalb sollen die bisher angesammelten Punkte künftig jeweils separat verjähren, und zwar je nach Schwere nach zweieinhalb, fünf oder zehn Jahren. Zudem werden die ins neue System umgerechnet: Bis zu drei alte Punkte werden als ein Punkt neu registriert, bei acht bis zehn alten Punkten springt die neue Ampel bereits mit drei Punkten auf die gelbe Ermahnungsstufe.

Punktabbau durch Seminar bleibt möglich

Noch immer diskutieren Parteien und Verbände darüber, ob reuigen Sündern ein Ablass auf dem Punktekonto gewährt werden soll. Gegen den Willen von Verkehrsminister Peter Ramsauer bleibt nun die Möglichkeit erhalten, Punkte mit einem freiwilligen Seminarbesuch abzubauen. Reuige mit vier bis fünf Punkten können im Fahreignungsseminar zwei Punkte abbauen - allerdings nur einmal innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren. Eine Neukonzeption des Fahreignungsseminars soll ein reines "Absitzen" verhindern, so dass mit dem Punkteabbau auch ein besseres Fahrverhalten und damit ein Mehr an Verkehrssicherheit einhergeht.

An der Zusammensetzung dieser Seminare wird sich aber wohl wenig ändern: Die Statistik zum 50sten Bestehen des Verkehrszentralregisters zeigte, dass Frauen nur 20 Prozent der Verkehrsdelikte verursachen. Mit 400 Einträgen kamen sie auch nur auf einen verschwindend geringen Anteil der notorischen Verkehrssünder. Dagegen hatten 2009 rund 67.000 Männer mehr als 14 Punkte angehäuft. Sie mussten ein verpflichtendes Aufbauseminar und - bei 18 Punkten - eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) absolvieren, um den Führerschein zu behalten.

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