Neue chinesische Führung:Nichts Neues im Osten

Chinesischer Premier Li Keqiang

Kommt nach Berlin: Der chinesische Premier Li Keqiang

(Foto: AFP)

Chinas neue Führung bedient sich altbekannter Mittel, um die Herrschaft der KP zu sichern: Sie reformiert die Wirtschaft ein bisschen und verfolgt Dissidenten. Darin wird sich wohl kaum etwas ändern.

Von Kai Strittmatter, Peking

Chinas Führer sind im Reisefieber. Premier Li Keqiang warb gerade in Indien für Entspannung, schob in der Schweiz ein Freihandelsabkommen an und will nun in Berlin für weiter gut Wetter mit Deutschland sorgen. KP-Chef Xi Jinping läuft sich derweil warm für eine Reise nach Südamerika und ein erstes Tête-à-tête als Staatspräsident mit Barack Obama in zwei Wochen. Die diplomatische Geschäftigkeit kommt zu einer Zeit, da die Dinge nicht unbedingt nach Plan laufen für Chinas Führer. Dieselbe BBC-Umfrage, die den Deutschen soeben bescheinigte, die beliebteste Nation der Welt zu sein, bescherte den nicht weniger überraschten Chinesen einen Absturz von Rang 5 auf Rang 9, einen Rang hinter die USA.

Seit Beginn der Umfrage im Jahr 2005 hatten noch nie so viele ein so negatives Bild Chinas. Das muss Peking schmerzen, wo die Kommunistische Partei doch darauf bedacht ist, den wirtschaftlichen Aufstieg ihres Landes mit dem Image der friedliebenden Kulturnation zu begleiten. Wenn das Bild gelitten hat im letzten Jahr, dann nicht zuletzt dank der neuen Führung, deren zunehmend herrisch-nationalistisches Auftreten in den Territorialdisputen mit den Nachbarn nicht wenige in der Region und darüber hinaus verschreckt hat.

Der Pekinger Professor Qiao Mu von der Universität für Auslandsstudien nannte die BBC-Umfrage "peinlich" und vermutete in der Hongkonger South China Morning Post noch einen weiteren Grund für den Stimmungswechsel seinem Land gegenüber: "Es zeigt sich, dass Chinas Werte und politisches System von der Welt nicht akzeptiert werden." Dieses System und die von ihm bestimmten Werte sind jedenfalls der Prüfstein für das Duo Li Keqiang und Xi Jinping. Bei allem Gerede von Chinas neuer Machtprojektion in der Welt: Die wahren Herausforderungen sehen Chinas Führer nach wie vor zuhause, und vieles von dem, was sie im Ausland tun, tun sie mit Blick auf die Innenpolitik. Das harte Auftreten der neuen Führung im süd- und im ostchinesischen Meer hat auch damit zu tun, dass sie glaubten, sich in der heiklen Phase der Machtkonsolidierung zuhause keine Blöße geben zu dürfen.

Absage an politische Reformen

Wie also will die Führung China in die Zukunft leiten? Noch immer liegt viel Nebel über dem Kurs der nächsten Jahre, aber es zeichnen sich Umrisse ab - und es ist jetzt schon klar, dass all jene enttäuscht sein werden, die sich angesichts der Probleme Chinas grundlegende Korrekturen am System erhofft hatten. Politischen Reformen hat KP-Chef Xi mittlerweile eine Absage erteilt. Wird es wenigstens in der Wirtschaft, für die Premier Li zuständig ist, mutige Schritte geben? Bedingt.

Xi Jinping pflegt einen anderen Stil als sein Vorgänger, der steife Hu Jintao. Er gibt den volksnahen Kümmerer, der verspricht, die Korruption zu bekämpfen. Aber der Unterschied zu den Vorgängern ist mehr Stil denn Substanz. Xi hat in mehreren Reden klargemacht, dass es vor allem um eines geht: ums Überleben der Partei, die mit einem gewaltigen Vertrauensverlust im Volk ringt. Da hält er es wie einst Mao Zedong, der sagte, die Macht komme aus den Läufen der Gewehre und aus den Stiften der Schreiber: Armee und Propaganda sind die Säulen der KP-Herrschaft.

Propaganda-Offensive hat begonnen

Xi stellte also erstens klar, dass Chinas Volksbefreiungsarmee weiter zuallererst der Partei zu dienen habe, nicht der Nation. Und in den letzten Wochen begann die Offensive der Propaganda. Die zuletzt trotz Zensur lebhafte Szene der sozialen Medien musste mehrere Schläge hinnehmen: Propagandabeamte verkündeten ein Ende der Toleranz für allzu unabhängige Meinungsäußerung, riefen wie in alten Zeiten zu einem verstärkten Kampf gegen die Subversion durch "feindliche Kräfte von außen" auf.

Mehreren prominente Bloggern wurden prompt die Blogs abgeschaltet. "Wie in den Jahren 1957, 1966 und 1989 fühlen Chinas Intellektuelle wieder diese Furcht, die man spürt, wenn sich ein Sturm nähert", schrieb diese Woche der bekannte Schriftsteller Murong Xuecun, der so vor ein paar Tagen seine Millionen von Lesern auf dem Mikrobloggingdienst Weibo verlor: "Das Schrecklichste ist gar nicht, wenn man zum Verstummen gebracht oder ins Gefängnis geschickt wird. Es ist das Gefühl der Ohnmacht, die Ungewissheit, was als Nächstes kommt . . . Es ist, als ob man mit verbundenen Augen in ein Minenfeld geschickt würde." Und so verspricht die Regierung den Kampf gegen die Korruption und lässt gleichzeitig Dutzende Aktivisten verhaften, die fordern, Beamte sollten ihre Vermögenswerte offenlegen. Die Anklage: "Subversion der Staatsgewalt".

Und Premier Li, der Wirtschaftsmann? Er spricht von einer Dezentralisierung der Entscheidungen, von mehr Marktmechanismen statt der oft so blinden wie ineffizienten Staatsinvestitionen, die einen Großteil des Wachstums der vergangenen Jahre ausmachten. Gleichzeitig scheint die Regierung nicht den Mut zu finden, das eigentliche Problem anzugehen, also die riesigen Staatsunternehmen und -monopole anzutasten und aufzubrechen. Sie müsste sich dazu mit Interessengruppen anlegen, die unermesslich reich und mächtig geworden sind.

Das liberale Wirtschaftsmagazin Caixin erinnert diese Woche daran, dass es im vergangenen Jahrzehnt nicht weniger als sechs große Reformrunden gegeben habe: "Jedoch waren sie alle weniger effektiv als erwartet." Weil sie in der Praxis alle von den alten Netzwerken ausgehebelt wurden. Das Magazin schloss, letztlich gebe es nur eine Garantie für eine erfolgreiche Reform auch in der Wirtschaft: eine "effektive Überwachung der Macht und Gewaltenteilung". Eine Schlussfolgerung, mit der sich diese Führung so wenig anfreunden kann wie die alte.

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