Verkaufsstrategie:Jeder Kunde hat seinen Preis

Mit der Aufforderung "Zahl', was du willst" versuchen immer mehr Firmen und Lokale, Verbraucher zu locken.

Ann-Kathrin Eckardt

Seit ein paar Tagen liegt Marokko in einem Brillengeschäft in der Münchner Fußgängerzone. "Stellen Sie sich einfach vor, Sie sind in Marrakesch auf dem Markt", sagt Matylda Gil jedes Mal, wenn ein Kunde sich mal wieder nicht traut, selbst einen Preis für ein Brillengestell zu benennen. Denn statt einer Zahl bekommt die Optikerin oft zu hören: "Ich soll den Preis wirklich selbst festlegen?" oder "Nein, das geht doch nicht, dann machen Sie ja Verluste!".

Verkaufsstrategie: Was kostet die Ware? In manchen Geschäft bestimmt das der Kunde.

Was kostet die Ware? In manchen Geschäft bestimmt das der Kunde.

(Foto: Foto: dpa)

Seit ihr Arbeitgeber, eine große Optiker-Kette, die Werbeaktion eingeführt hat, macht Frau Gil die Arbeit noch mehr Spaß - auch wenn sie jetzt manchmal Brillengestelle für einen Euro verkauft.

Mit dem Slogan "Zahl', was du willst" versuchen derzeit Restaurants, Ferienorte, Auto-Werkstätten oder Massage-Anbieter auf sich aufmerksam zu machen. Dabei müssen die Kunden nicht einmal handeln, sondern einfach nur den Preis bezahlen, der ihnen das Produkt oder die Dienstleistung wert ist - also im Zweifel keinen Cent.

Die totale Kundendemokratie soll es ermöglichen, neue Angebote risikolos zu testen. "Außerdem signalisiert dieses Konzept Qualität", sagt Ju-Young Kim, Marketingexpertin von der Universität Frankfurt. Nur wer von seinem Produkt überzeugt ist, lässt sich auf das Experiment ein. Zusammen mit Kollegen hat Kim das Modell in einer Studie wissenschaftlich untersucht. Ihr Fazit: Der Umsatz konnte bei vielen Anbietern deutlich gesteigert werden. In einem persischen Restaurant in Frankfurt wuchs der Umsatz mittags sogar um 32 Prozent. Und: Die Scham ist bei vielen Kunden immer noch größer als der Geiz.

Die Gäste zahlen freiwillig mehr

Wenn Martin Santer von seinem Projekt in der Tiroler Gemeinde Längenfeld erzählt, schwingen Stolz, aber auch Verwunderung mit. "In unseren Restaurants haben die Gäste sogar freiwillig mehr gezahlt als üblich", erzählt der Leiter vom Ötztal Marketing. Bei den Übernachtungen lagen die Einnahmen immerhin bei 70 bis 100 Prozent.

Eine Woche lang durften 110 Touristen Anfang Juli Heubaden, Raften, Ponykutsche fahren oder in der Luxustherme baden, ohne dafür eine Rechnung zu erhalten. "Wir wollten in diesen schwierigen Zeiten einfach mal was Positives bieten", sagt Santer. Außerdem habe man die eigene Qualität testen wollen. Ganz nebenbei hat der Qualitäts-Check den Bekanntheitsgrad des Dorfes gesteigert. Sogar aus Japan kamen Anfragen.

Vielerorts sind die Verbraucher noch skeptischer. Auch die Kunden des Brillengeschäfts in München: Die meisten Befragten vermuten hinter dem Satz "Sie bestimmen den Preis", der auf einem Plakat vor dem Laden prangt, ein Angebot mit Haken. "Die Deutschen sind sehr misstrauisch", bestätigt auch Matylda Gil - und nicht sehr gut im Handeln. "Unsere ausländischen Kunden können das viel besser." Wie sich die Werbeaktion bislang auf den Umsatz ausgewirkt hat? Dazu möchte man lieber noch nichts sagen.

In den drei Lokalen der Weinerei in Berlin herrscht schon seit Jahren völlige Preis-Anarchie. Wer etwa im "Frarosa" zwei Euro Eintritt zahlt, bekommt dafür ein Weinglas und kann erst trinken, dann zahlen nach Lust. Auch für das exquisite Vier-Gänge-Menü steht kein fester Preis auf der Karte. Doch nicht jeder Gast will sich am Ende des Abends über die Qualität den Kopf zerbrechen. Um die Gäste beim Griff ins Portemonnaie nicht zu überfordern, ist deshalb ein Richtwert von 20 Euro angegeben.

"Wir kaufen unsere Ware bei Feinkostlieferanten, da fällt es den Leuten oft schwer, den Preis richtig einzuschätzen", sagt Mitarbeiterin Anna. Zwar orientierten sich die meisten Gäste am Referenzpreis, doch etwa zweimal pro Woche müsse sie beim Abkassieren schon schlucken. "Wenn jemand nur einen Euro zahlt, frage ich natürlich, was da nicht gepasst hat." Meist bringe das Diskutieren aber nichts: "Diese Gäste wollen das Angebot einfach voll ausreizen."

Noch größer ist der Sparwille ohne persönlichen Kontakt. Wer sich 20 Minuten den Rücken massieren lässt, zahlt schon aus Höflichkeit einen angemessenen Preis. Wer sich dagegen eine CD aus dem Internet runterlädt, hat kein Problem, bis zum unteren Limit zu gehen. Als die britische Band Radiohead ihren Fans vor zwei Jahren freie Preisbestimmung für ihr neues Album gewährte, zahlten eine halbe Million Internetnutzer im Schnitt nur sechs Dollar für die CD, die anderen 60 Prozent überwiesen gar nichts. Allerdings konnte die Band mit der ungewöhnlichen Preisaktion viele neue Fans gewinnen.

Eine psychologische Grenze hat das Konzept allerdings: Es funktioniert nur bei eher günstigen Produkten. "Bei einem Porsche ist die Freude, viel gespart zu haben, mächtiger als der Wille, ein fairer Kunde zu sein", sagt Ju-Young Kim. Wo die Grenze genau liegt, muss erst noch erforscht werden. Bei dem Optiker in München gilt die Werbeaktion vorsichtshalber nur für Brillengestelle unter 100 Euro.

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