Debatte um Apple und Co.:Schließt die Schlupflöcher der Scheinheiligen

Die Welt der internationalen Konzerne ist komplex. Das nutzen Unternehmen wie Apple aus, um möglichst viele Steuern zu sparen. Es ist daher dringend geboten, dass die Industriestaaten die Unternehmensteuern neu ordnen - und zwar in ihren Ländern ebenso wie in den Steueroasen.

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

Die Idee, dass eine Steuererklärung auf einen Bierdeckel passen sollte, ist ja auf den ersten Blick bestechend. Ganz einfach, ganz klar soll das Steuersystem sein, jedermann soll es verstehen können. Das Problem ist nur, dass die Welt, in der wir leben und Geld verdienen, alles andere ist, nur nicht einfach und klar geordnet. Wenn man diese Wirklichkeit mit all ihren Schattierungen halbwegs abbilden soll, ist es kaum möglich, ein Steuersystem auf Bierdeckel-Maß zu reduzieren. Schon gar nicht ist dies möglich in der komplexen Welt der Konzerne, der Welt von Deutsche Bank und JP Morgan, IBM und Siemens.

Denn schon die Frage, wo ein Unternehmen zu Hause ist und mithin seine Steuern entrichten müsste, lässt sich in der globalisierten Wirtschaft nicht ohne Weiteres beantworten. Ein Unternehmen hat, anders als die meisten Menschen, nicht bloß einen Wohnsitz, sondern viele, manchmal Tausende. Der amerikanische Apple-Konzern verfügt sogar über eine Reihe von Tochterunternehmen, die formal in Irland sitzen, nach Angaben des Kongresses in Washington aber "no tax residence" haben; sie sind für das Finanzamt nirgends zu verorten.

Das klingt aberwitzig, und doch ist es die Realität in einer Zeit, in der das Kapital flüchtig ist: Es flüchtet aus den großen Industrieländern in Gegenden, in denen es kaum besteuert wird; und es verflüchtigt sich dort vollends, weil seine Spur sich kaum noch nachvollziehen lässt. So behauptet die Regierung in Dublin zum Beispiel, es liege an amerikanischen Steuergesetzen, nicht an irischen, dass Apples Tochterfirmen in Irland so gut wie keine Steuern bezahlen. Das ist scheinheilig, denn die Null-Steuer ist ja nicht in den USA angefallen, sondern in Irland. Apple behauptete vor dem US-Kongress sogar, Irland habe auf Wunsch des Unternehmens die Steuerregeln verändert; auch davon will man in Dublin nichts wissen.

Gesetze entstehen nicht aus dem Nichts

Scheinheilig ist in diesem Fall, der exemplarisch ist für die Besteuerung internationaler Konzerne, aber nicht nur das Verhalten der irischen Politiker. Scheinheilig ist auch die in dieser Woche vielfach aufgestellte Behauptung, man dürfe Unternehmen wie Apple keinen Vorwurf machen, da sie ja ganz legal vorhandene Lücken im Steuerrecht ausnützten. Natürlich ist dies legal (solange die Unternehmen sich an die gültigen Gesetze halten). Aber andererseits entstehen diese Gesetze ja - wie die Aussage von Apple vor dem US-Kongress zeigt - keineswegs aus dem Nichts heraus. Sondern Heerscharen von Lobbyisten bearbeiten Regierungen in aller Welt, damit diese das Steuerrecht so schneidern, dass es für sie passt: Je niedriger der Steuersatz, umso eher passt es.

Auch in Deutschland haben Steuerpolitik und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten eine unheilige Allianz geschlossen. Das eindrücklichste Ergebnis dieser Allianz ist eine Regel, die während der Regierung von Gerhard Schröder geschaffen wurde: Sie erlaubt, dass Aktiengesellschaften andere Aktiengesellschaften völlig steuerfrei verkaufen dürfen. Dadurch wollte Rot-Grün das Beteiligungsgeflecht der Deutschland AG auflösen, das enge Netz von Konzernen und Banken. Genutzt hat es auch vielen anderen. Steuerfreie Gewinne: Das gibt's sonst nur in der Karibik.

Unternehmenssteuern müssen neu geordnet werden

Solche Beispiele lassen sich überall finden: in Belgien oder den Niederlanden in den USA oder Großbritannien. Auf diese Weise entstehen Schlupflöcher wie jenes, durch das Apple gestiegen ist. Oder Schlupflöcher, wie sie die Banken im Vorfeld der Finanzkrise ausgenutzt haben. Denn wo waren die obskuren Zweckgesellschaften zu Hause, die dazu dienten, riskante Kreditpakete rund um den Globus zu verschieben? Eben: in Steueroasen. Nur so rentierte sich meist das Geschäft.

Es ist daher dringend geboten, dass die Industriestaaten die Unternehmensteuern neu ordnen - und zwar vor ihrer Haustüre ebenso wie in den Steueroasen. Ziel muss es sein, absurde Schlupflöcher, wie sie jeder kluge Konzern nutzt, so gut wie möglich zu schließen. Das ist anstrengend, das ist mühsam, und damit gewinnt man auch nicht auf Anhieb Wähler, weil eine Reform sich eben nicht auf einem Bierdeckel erklären lässt. Zudem werden die Konzerne mithilfe findiger Berater nach neuen Möglichkeiten suchen, sich dem Fiskus zu entziehen.

Dennoch sollten sich Europäer und Amerikaner dieser Frage eher heute als morgen zuwenden. Das bedeutet auch: Wenn sie Druck auf die Steueroasen ausüben, dürfen sie nicht bloß vermögende Privatleute im Visier haben, die ihr Vermögen dort - illegal! - versteckt halten. Sondern es muss schleunigst verhindert werden, dass internationale Konzerne diese Oasen nutzen können, um ihre Steuerlast - völlig legal! - zu minimieren.

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