Ärzteschaft gegen Bürgerversicherung:Geschenk für Gesundheitsminister Bahr

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Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in der neuen Rettungsstelle im Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn. (Foto: dpa)

So viel Einigkeit zwischen Politik und Ärzteschaft war selten: Das Horrorgemälde der Bürgerversicherung schweißt Ärzte und schwarz-gelbe Koalition zusammen. Das kann man den Medizinern nicht einmal übel nehmen. Doch hilft es nichts: Es wird in Deutschland über kurz oder lang nur noch ein Versicherungssystem geben.

Ein Kommentar von Guido Bohsem

Es war ein Bild fast wie aus den schönsten Momenten der Arbeiterbewegung. Beinahe meinte man, "wenn wir schreiten Seit' an Seit'" im Hintergrund zu hören. So viel Einigkeit und Brüderlichkeit zwischen Politik und Ärzteschaft war selten. Wie sich Ärztekammer-Chef Frank Ulrich Montgomery und Gesundheitsminister Daniel Bahr auf dem Ärztetag präsentierten, das machte jedenfalls einen harmonischeren Eindruck als, sagen wir, ein Gespräch zwischen SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und DGB-Chef Michael Sommer über die Rente.

Die Harmonie war kein Zufall. Sie war sogar dringend erhofft, hatte das SPD-Mitglied Montgomery dem FDP-Politiker Bahr doch gerade ein wunderbares Geschenk gemacht: Wenige Monate vor der Bundestagswahl spricht sich der Ärztetag gegen die von SPD, Grünen und Linken geforderte Bürgerversicherung aus. Die Ärzteschaft sah sich sogar berufen, den Plänen der Roten, Dunkelroten und Grünen ein eigenes Finanzmodell entgegenzustellen. Ausgiebig unkt der Ärztechef, in den Zeitungen, Magazinen und TV-Sendern vor den schlimmen Konsequenzen einer Einheitskasse zu warnen, die zur Einheitsmedizin und zur Zweiklassengesellschaft im Gesundheitssystem führen würde.

Deutschlands Mediziner ergreifen im Bundestagswahlkampf also eindeutig Partei für Union und FDP. Zwar findet das Modell der Ärzte in den teuren und kniffeligen Details so gut wie keine Zustimmung in den Regierungsparteien. Die Union will schon lange keine Kopfpauschale mehr, und auch in der FDP hält sich die Begeisterung in Grenzen, liegt doch der für das Arzt-Modell notwendige staatliche Zuschuss im hohen zweistelligen Milliardenbereich.

Wer heute zu den Top-Verdienern gehört, könnte zum Verlierer werden

Doch das sind Einzelheiten und die sind so komplex und verzwickt, dass kaum ein Wähler bereit ist dahinterzusteigen. In den Wahlkampfreden oder TV-Duellen werden sie ohnehin keine Rolle spielen. Es ist also primär das Horrorgemälde der Bürgerversicherung, das Ärzte und schwarz-gelbe Koalition zu einem Team verschweißt.

Man kann es der Ärzteschaft nicht einmal übel nehmen. Die von versammelter Opposition geforderte Umstellung würde das gesamte System durchschütteln und kaum absehbare Konsequenzen für die Mediziner haben. Wer heute zu den Top-Verdienern unter den Ärzten zählt, weil er vorwiegend privat Versicherte behandelt, könnte zum großen Verlierer der Reform werden. Und auch der Kassenarzt auf dem Land dürfte dem Braten nicht trauen, obwohl er tendenziell zu den Gewinnern der Umstellung zählen dürfte, weil sich nur alle paar Wochen mal ein Privatpatient in seine Praxis verirrt. Zu oft, so ist der Eindruck der Mediziner, hat die Politik feierlich gegebene Versprechen wieder einkassiert.

Das ist verständlich, und die Sorgen müssen ernst genommen werden. Doch hilft es nichts. Es wird in Deutschland über kurz oder lang nur noch ein Versicherungssystem geben. Es ist nur noch die Frage, ob es eher staatlich organisiert sein wird wie die Bürgerversicherung oder eher privatwirtschaftlich wie zum Beispiel das in den Niederlanden.

© SZ vom 29.05.2013/ratz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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