Jo-Wilfried Tsonga bei French Open:Ein Franzose, stärker als der Schmerz

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Lässt ganz Frankreich träumen: Jo-Wilfried Tsonga.

(Foto: AFP)

Jo-Wilfried Tsonga hat abgenommen, trainiert härter und spielt ausdauernder - das bewies der Franzose nicht zuletzt bei seinem glatten Sieg gegen Roger Federer. Ganz Frankreich träumt nun vom ersten Heimsieg seit 30 Jahren.

Von Milan Pavlovic, Paris

Wer Jo-Wilfried Tsonga nicht erst seit seinem Sieg vom Dienstag gegen Roger Federer kennt, muss unweigerlich an seine ersten großen Auftritte denken: Anfang 2008 stürmte ein bulliger, unerschrockener, unbekümmerter Franzose ins Endspiel der Australian Open. Auf dem Weg dorthin schaltete er Geheimtipps wie Andy Murray und Richard Gasquet aus und ließ den Favoriten Rafael Nadal wie einen Balljungen aussehen.

Das Finale verlor der damals 22-Jährige vor allem, weil sein Gegner Novak Djokovic den kühleren Kopf bewahrte. Müsste der Tsonga von damals gegen jenen von heute antreten, "gäbe es eine Abreibung für den jungen Tsonga", glaubt sein Trainer Roger Rasheed. Das gesamte Spiel habe sich seitdem weiterentwickelt, "aber vor allem Jo-Wilfried hat eine Menge dazugelernt. Er hat jetzt das Zeug dazu, einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen".

Aussagen wie diese nähren die Hoffnung der Gastgeber, pünktlich zum 30. Jahrestag des bislang letzten französischen Triumphs wieder einen Einheimischen feiern zu dürfen. Vor dem Turnier waren die Skeptiker noch deutlich in der Überzahl, vor allem die Franzosen machten sich Luft. Yannick Noah, der 1983 das Finale gewann, glaubte zwar, dass Tsonga "einen großen Sieg in sich hat, aber um zu gewinnen, müsste er zwei Große schlagen, und das kann ich mir nicht vorstellen". Henri Leconte, Finalist von 1988, beklagte, "Jo ist einfach nicht böse genug. Yannick hat die Gegner schon mit seiner Persönlichkeit ausradiert, das könnte Tsonga gar nicht". Cédric Pioline, 1998 Halbfinalist, stimmte ein: "Jo hat die Physis, um einen Gegner einzuschüchtern - aber nicht den Charakter, den anderen fertigzumachen." Er meinte das gar nicht einmal negativ.

Beklagt wurde aber seit einigen Jahren, dass Tsonga nicht den unbedingten Willen zeige, alles aus sich herauszuholen; dass er genügsam sei. Man verübelte ihm zudem, dass er eineinhalb Jahre lang keinen Trainer hatte und sich dann für einen ausländischen Coach entschied. Spätestens seit dem Halbfinaleinzug hat sich die Meinung geändert. "Er hat eine bewundernswerte äußere Kraft", lobte Noah, "das ist schön anzusehen. Dass er seinen Sieg gegen Federer nicht übermäßig gefeiert hat, beweist, dass er begriffen hat, dass er längst nicht am Ziel ist." Und Pioline findet, dass "Jo den Heimvorteil fast so gut nutzt wie einst Noah: Da ist so viel Energie . . . Wenn es ihm gelingt, all die Kraft aufzunehmen, dann wird er, wow, Triple-Turbo haben."

"Die Zuschauer haben mich immer geschätzt", glaubt Tsonga, "aber es ist wahr, dass mir niemand zugetraut hat, es so weit zu bringen." Der Spieler zweifelte ja selbst. "Als ich Roger im Oktober 2012 als Trainer engagierte, habe ich alles in Frage gestellt." Rasheed, der einst Lleyton Hewitt trimmte, brachte Tsonga dazu, einen Schritt zurückzugehen und sich das Spiel im Ganzen anzusehen. "Er sollte sein Potenzial erkennen und besser ausschöpfen", sagt der Australier mit libanesischen Wurzeln. "Ich wollte, dass er begreift, dass jeder Schlag auf dem Platz einen Zweck erfüllen soll."

Mischung aus Offensive und Defensive

Tsonga justierte sein Spiel und erkannte: "Um zu gewinnen, bin ich nicht gezwungen, die ganze Zeit Asse mit 220 km/h zu servieren, mächtige Vorhände zu schlagen und ans Netz vorzurücken. Ich habe Szenen vom Finale 1983 angeguckt, in denen Noah ans Netz stürmte. Aber heute hätte er gar nicht mehr die Zeit, da anzukommen. Djokovic bleibt, wenn man ihm 220-km/h-Aufschläge rein wuchtet, trotzdem an der Grundlinie stehen und hämmert dir den Ball mit dem gleichen Tempo zurück. Das macht pim-pim!"

Rasheed schätzte es, dass Tsonga "mit der wachsenden Größe der Aufgabe immer gelassener wird". Deshalb arbeiteten die beiden mehr an der Taktik. Früher liebte Tsonga Gewinnschläge über alles. Heute sagt der 28-Jährige: "Das mag ich noch immer, aber ich habe gelernt, auch anderes zu lieben. Ich kann jetzt auch die Grundlinienspieler herausfordern", glaubt er, auch dank der verbesserten Rückhand, "ich kann die Bälle fünf-, sechs-, zehnmal zurückspielen, ohne panisch zu werden."

Dafür musste er sich physisch fortentwickeln. Denn er war zwar stets schnell auf den ersten Metern, aber auf Dauer wogen seine über 90 Kilo zu viel für den 1,88 Meter großen Mann. "Ich hatte im Dezember und Januar mal probiert, mich glutenfrei zu ernähren. Danach habe ich damit aufgehört, um besser vergleichen und sicher sein zu können, dass es mir gut tut. Und tatsächlich war es so. Nach den Australian Open hatte ich fünf Kilo verloren, war aber immer noch so kraftvoll wie vorher. Meine Muskeln waren dafür viel lebhafter. Wenn du ein Champion sein willst, musst du wie ein Nadal oder Djokovic in der Lage sein, vier oder fünf Stunden von hinten zu spielen. Da wird die richtige Ernährung Pflicht. Zumal das ja nicht bedeutet, dass ich nichts mehr essen darf, was Spaß macht."

Was die Ausdauer angeht, hat der 44-jährige Roger Rasheed ihm im Training "so harte Aufgaben gestellt, dass ich überall Schmerzen hatte. Und er lässt sie mich wiederholen und wiederholen, bis mein Körper nicht mehr kann. Doch selbst dann höre ich nicht auf. Denn es zahlt sich aus. Statt wie früher bei langen Ballwechseln auseinanderzubrechen, nehme ich diese jetzt wie ein Spiel im Spiel an. Ich sage mir, dass ich stärker als der Schmerz sein muss. Und dass ich dieses Spiel gewinne, wenn der andere zuerst zusammenklappt. Ich sage mir: Du wirst den Ball nicht verschlagen, du wirst ihn nicht verschlagen."

Die neue Mischung aus Offensive und Defensive, Explosivität und kühlem Kopf wird im Halbfinale nötig sein, denn sein Gegner, der Sandwühler David Ferrer, 31, ist in Bestform. Sollte es Tsonga nach zwei Ruhetagen gelingen, den nicht immer nervenstarken Spanier zu bezwingen, wird Noah sehen, dass er sich doppelt vertan hat: Um die French Open zu gewinnen, müsste Tsonga drei Gegner der Top 5 bezwingen. Denn im Finale wartet entweder Djokovic oder Nadal.

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