Bundesverfassungsgericht und die Euro-Rettung:Sehnsucht nach dem Schwerthieb

Bundesverfassungsgericht verhandelt über Euro-Rettungsschirm ESM

Verhandlungen über ESM und EZB-Politik: der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht

(Foto: dpa)

Die Kläger in Karlsruhe sehen durch die Maßnahmen der EZB zur Euro-Rettung die deutsche Verfassungsidentität gefährdet, doch das Bundesverfassungsgericht wird wohl nicht zum großen Schlag ausholen. Auch die höchsten Richter dieses Landes wissen, dass der europäische Knoten nicht so einfach zu durchtrennen ist.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Als er den gordischen Knoten zerschlug, war Alexander der Große 23 Jahre alt. Fast so lange, seit 20 Jahren, steht das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nun schon vor dem europäischen Knoten und überlegt, ob es zuschlagen soll; immer wieder hat es das Zuschlagen angekündigt; ab und an hat es das Schwert auch schon gezückt, es dann in der Sonne der öffentlichen Aufmerksamkeit nur funkeln lassen - und es wieder weggesteckt. Das Schwert bleibt weggesteckt.

Karlsruhe lässt, wie es aussieht, den europäischen Knoten Knoten sein. Das Gericht betrachtet ihn, es studiert ihn, es zupft und nestelt an ihm herum - und es sagt dann schließlich, wie ein guter europäischer Knoten aussehen müsse. So wird es auch diesmal sein, nach der großen Verhandlung über das Handeln und die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank.

Die deutsche Verfassungsidentität sei gefährdet, sagen die Kläger. Gefährdet? Sie hat sich schon geändert. Die europäischen Verträge haben die deutsche Staatlichkeit grundlegend umgestaltet; und das Verfassungsgericht hat diese Änderungen in den vergangenen zwanzig Jahren nolens volens akzeptiert. Die Hoffnungen der EU-und Euro-Kritiker auf den späten großen Streich des höchsten deutschen Gerichts bleiben mit einiger Sicherheit unerfüllt.

Versöhnung mit einem Europa, dass die Bürger viel zu lange nicht gefragt hat

Die Kläger in Karlsruhe begehren diesmal die Feststellung, dass es sich bei den EU-Maßnahmen zur Euro-Rettung um Maßnahmen "ultra vires" handele - um solche also, mit denen die EU die ihr von Deutschland auf dem Boden des Grundgesetzes übertragenen Befugnisse überschreite.

Es spricht einiges dafür, dass die Kritiker recht haben; wenn Karlsruhe seine eigenen Urteile der Vergangenheit ernst nehmen würde, müsste es nicht mehr nur Ja, aber, sondern Nein sagen. Aber auch diese Feststellung geht "ultra vires", sie geht über die Kräfte des Gerichts; Karlsruhe hat den Wagemut nicht, den es dafür bräuchte. Sollte man ihn sich wünschen?

Die Sehnsucht nach dem großen Streich, nach schneller Besserung der Malaisen in Europa ist gewaltig. Aber mit Schwerthieben macht man Europa nicht besser. Sie sind auch nicht sehr demokratisch. Demokratie ist ein ständiges Nesteln. Würde Karlsruhe auf einer Volksabstimmung bestehen, wäre das freilich kein Schwerthieb. Eine Volksabstimmung könnte die Versöhnung der Bürger mit einem Europa bringen, das sie viel zu lange nicht gefragt hat.

Der europäische Knoten ist noch viel kunstvoller verknotet als der gordische. Und das Einmalige am europäischen Knoten ist, dass er wächst. Seit dem Maastricht-Vertrag, über den Karlsruhe vor 20 Jahren entschieden hat, ist der Knoten immer größer und verwickelter geworden. Der Respekt des Karlsruher Gerichts vor dem Knoten ist gewachsen. Das Gericht begnügt sich daher mit dem selbstbewussten Gefühl: Ich will ihn nicht zerschlagen, obwohl ich es könnte. Vielleicht ist es auch anders: Vielleicht kann Karlsruhe den Knoten gar nicht mehr zerschlagen, selbst wenn es dies wollte. Das Gericht wird es auf den Versuch nicht ankommen lassen.

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