Anleihekäufe der EZB vor dem Bundesverfassungsgericht:Die Reservekontrolleure

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über den Euro-Rettungsschirm 

(Foto: dpa)

Die Verfassungsrichter sehen ein Problem im Handeln der Europäischen Zentralbank bei der Euro-Rettung. Die Frage ist nur: Kann ein deutsches Gericht eine unabhängige Zentralbank an die Kandare nehmen? Denn das Bundesverfassungsgericht ist bestenfalls der Reservekontrolleur.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Als erster war Clemens Fuest dran, und er tat sich schwer. Gewiss, die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom vergangenen September, Anleihen maroder Staaten zu kaufen, habe auch mit Geldpolitik zu tun, der Kernaufgabe der EZB. Denn Geldpolitik benötige ein Umfeld mit soliden Staatsfinanzen, sagte der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.

Andererseits sei wichtigste Wirkung der Intervention, die Zinsen hoch verschuldeter Staaten zu drücken und damit deren Finanzierungskosten zu senken. Also Fiskalpolitik, die No-go-Area der EZB. Das wollte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle genauer wissen: Überschreite die EZB nun ihre Befugnisse oder nicht? Darauf Fuest: "Ich hatte gehofft, dass das Gericht dies entscheiden würde."

Tag zwei der Karlsruher Verhandlung über die Klagen gegen die Euro-Rettung begann also, wie der erste Tag geendet hatte - mit der Frage: Was darf die EZB bei der Euro-Rettung? Je länger man den Wirtschaftsexperten zuhörte, desto schwieriger wurde die Antwort. Zwar hatte Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, am Vorabend seine Skepsis an den EZB-Hilfsmaßnahmen zu Protokoll gegeben. "Es kann nicht Aufgabe der Geldpolitik sein, Zeit für fiskalisches Handeln zu kaufen." Und Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts, bekräftigte seine Grundsatzkritik an der mit Milliardenrisiken verbundenen Rettungspolitik.

Clemens Fuest blieb vorsichtig: "Ökonomisch bewegen wir uns in einer Grauzone zwischen Geld- und Fiskalpolitik." Ähnlich wie Harald Uhlig, Wirtschaftsprofessor in Chicago: Es sei "grenzwertig", das sogenannte OMT-Programm der EZB zum Anleihenkauf als erlaubte Geldpolitik zu qualifizieren.

Zwar war aus den vielen Fragerunden von der Richterbank - der Wissensdurst des Zweiten Senats war kaum zu stillen - eine klare Tendenz herauszuhören: Die Richter, wenn auch vielleicht nicht alle acht, sehen ein Problem im Handeln der EZB. Peter Michael Huber, zuständiger Berichterstatter im Zweiten Senat, kam beispielsweise auf die amerikanische Federal Reserve zu sprechen: Ob der Umstand, dass die EZB nicht ganz so sicherheitsorientiert handle wie die Fed, nicht auch darin begründet sei, dass in Europa einige Staaten vom weniger strikten EZB-Kurs profitierten. Eine Frage, die wohl rhetorisch gemeint und auf die ebenfalls im EZB-Rat vertretenen Südeuropäer gemünzt war.

Per nationaler Feinsteuerung auf den Pfad der Tugend

Die Frage ist nur: Kann ein deutsches Gericht eine europäische und noch dazu unabhängige Zentralbank an die Kandare nehmen? Denn die Zurückhaltung der Ökonomen, der EZB eine klare und von niemandem zu übersehende Überschreitung ihrer Befugnisse zu attestieren, birgt ein Problem für die Karlsruher Juristen. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich keineswegs die oberste Rechtsaufsicht über die EZB, es ist bestenfalls der Reservekontrolleur: Nur für den Fall, dass eine europäische Institution "ultra vires" handelt, also ihre in den europäischen Verträgen definierten Zuständigkeiten überschreitet, hat sich Karlsruhe ein Veto vorbehalten.

Und vor eine Ultra-Vires-Kontrolle hat sich das Verfassungsgericht vor drei Jahren selbst hohe Hürden aufgestellt - zum Beispiel die Vorgabe, dass der Kompetenzverstoß "offensichtlich" sein muss. Die Graubereiche und Grenzwertigkeiten, welche die Fachleute in den EZB-Aktivitäten identifizieren, sprechen eher dagegen.

Noch beim Eilurteil zum Rettungsschirm im September 2012 hatte es so ausgesehen, als stehe das ganz große Drama bevor: der erste Fall, in dem das Bundesverfassungsgericht ein Verfahren dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorlegt. Denn das wäre die Konsequenz, wenn Karlsruhe einen klaren Kompetenzverstoß der EZB sähe.

Am Mittwoch schien sich indes eine gewisse Tendenz zur vermittelnden Lösung abzuzeichnen. Immer wieder wollte Voßkuhle - der sich in der Verhandlung ungewöhnlich stark engagierte - von den Fachleuten wissen, wie man die Befugnisse der EZB eingrenzen könnte. Ob man zum Beispiel für den Aufkauf von Staatsanleihen bestimmte Sicherungsmaßnahmen verbindlich machen könne. Auch die Fragen seines Kollegen Peter Müller wiesen in diese Richtung: "Könnte damit der Verdacht für das OMT-Programm, dass es dabei um Staatsfinanzierung geht, ausgeschlossen werden?"

Der Charme der kleinen Lösung, die erst in einigen Monaten zu erwarten ist: Karlsruhe müsste sich nicht in einen europäischen Konflikt werfen, sondern könnte versuchen, die EZB per nationaler Feinsteuerung auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Dazu könnte man die Bundesregierung in die Pflicht nehmen, oder auch die Bundesbank, die ja ihrerseits eine im Grundgesetz festgelegte Aufgabe hat.

Dietrich Murswiek, juristischer Vertreter des klagenden CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, brachte noch ein weiteres Stichwort ins Spiel: Er habe ja schließlich ein Feststellungsurteil beantragt. Das wäre dann ein Weg für das Gericht, die Zähne zu zeigen, ohne wirklich zuzubeißen. Eine Variante, deren Wirkung man freilich nicht unterschätzen sollte: Ein klares Wort aus Karlsruhe wird in Europa auch dann gehört, wenn daraus keine direkten rechtlichen Konsequenzen folgen. Umgekehrt hat das ja auch funktioniert: EZB-Chef Mario Draghi musste den Kauf der Staatsanleihen nur ankündigen - und schon gingen die Zinsen nach unten.

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