Skater nach Schlaganfall:Im Gleichgewicht

Kilian Heubeger Kilian Heubeger sitzt neben seinem Skateboard.

Kilian Heubeger erlitt vor zwei Jahren bei einem Contest eine Gehirnblutung und war halbseitig gelähmt. Heute steht er wieder auf dem Bord.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Kilian Heuberger war einer der besten Skater der Welt - bis er bei einem Wettbewerb eine Gehirnblutung erlitt. Er war halbseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen. Heute steht er wieder auf dem Board. Eine Begegnung.

Von Martin Mühlfenzl

Lässig lehnt das Skateboard an der Hausmauer - Boards lehnen schließlich immer irgendwo lässig. Locker fläzt daneben Kilian Heuberger im Stuhl, das unvermeidliche Cap mit streng aufgerichtetem Schirm auf dem Haupt. "Hier neben der TU gibt es die beste selbst gemachte Limo", sagt der 28-jährige Münchner und pult in seinem Glas nach frischen Himbeeren. So ganz selbstverständlich ist es für Kilian Heuberger nicht, lässig und locker nahe der Technischen Universität mit Himbeerlimonade und Board im Café zu sitzen. Das merkt man spätestens dann, wenn er sein Cap kurz anhebt und auf dem ordentlich rasierten Kopf eine hufeisenförmige Narbe sichtbar wird.

Es geschieht am 31. März 2011. "Aus dem Nichts, von einer Sekunde auf die andere", sagt Heuberger. Das Leben eines der besten deutschen Skateboarders, Zweiter der Weltmeisterschaft und mehrfacher europäischer Titelträger, liegt plötzlich in Trümmern. Heuberger nimmt an einem Wettbewerb auf einer Bergstation im österreichischen Flachau Winkel teil - ein Event mit den besten Skatern Europas vor Hunderten Zuschauern: Bei einem seiner berüchtigten Moves auf der Halfpipe kommt Heuberger leicht aus dem Gleichgewicht, slamt leicht auf die Schulter, wie Boarder ihre Stürze beschreiben.

Den spektakulären Stunt beendet er aber, klettert noch auf die Minirampe - und bemerkt, wie ihm leicht schwindlig wird. Dort bleibt Heuberger stehen, regungslos und nicht in der Lage sich zu bewegen. Ein Kollege eilt herbei, redet auf ihn ein, versucht ihn zum sitzen zu bewegen. "Er hat auf mich eingeredet - und ich habe, so hat man mir erzählt, durch ihn hindurchgeschaut. Als hätte ich Magic Mushrooms genommen", sagt Heuberger.

Der Skater kann sich nicht bewegen und nicht antworten. Was folgt, ist eine Rettungsaktion in höchster Eile, Sanitäter und Notärzte bringen ihn mit dem Helikopter in eine Salzburger Klinik. Heuberger wird notoperiert. Bei der Erschütterung durch den leichten Sturz, die Belastung beim Aufprall über die Schulter hat sich eine Gehirnblutung gebildet - eine angeborene Schwachstelle, also eine Anomalie in Form einer kleinen Blutung, die Heuberger seit seiner Geburt im Gehirn trägt, und die ausgerechnet beim Skaten ausbricht, gerinnt und fatale Folgen hat: Heuberger ist halbseitig gelähmt und kann nicht mehr sprechen.

"Ich wollte wieder der werden, der ich war"

Dass dieser Vorfall zu ihm, zu seinem Leben gehört, hat er erst langsam lernen müssen. "Verdrängen kann man so etwas überhaupt nicht", sagt er und rückt das Cap wieder gerade. Er ist gerne in der Maxvorstadt unterwegs, auf dem Rad und mit dem Board auf dem Rücken. An der TU studiert Heuberger Umweltingenieurwesen, ein paar Straßenzüge weiter an der Dachauer Straße ist eine seiner "Lieblings-Locations" zum Skaten. Dort trifft er sich mit Freunden, probiert neue Moves aus und studiert die alten wieder ein.

"Aber es kostet mich heute immer noch viel Überwindung. Manchmal habe ich auch etwas Angst, aber mit jedem Versuch wird es besser", sagt der 28-Jährige. Und er hat mittlerweile immer den Helm nicht nur dabei, sonder auch auf: "Meiner Frau zuliebe. Und weil die Ärzte, die ja immer sehr vorsichtig sind, dazu geraten haben."

Es sind die Ärzte, die ihm in den Wochen nach dem Vorfall in Flachau kaum Hoffnung auf vollständige Genesung gemacht haben. Zwei Wochen verbringt Heuberger nach seiner Operation, bei der zwei Gerinnsel aufgelöst werden, im Salzburger Klinikum. Zehn Wochen in der Münchner Schön Klinik folgen: Mit dem straffen Programm der Rehabilitation - Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und kognitive Therapie. "Mir war immer klar, weil ich ja auch immer bei vollem Bewusstsein war, dass ich wieder aufrecht aus der Klinik rausgehen werde", sagt Heuberger. "Das liegt vielleicht an meinem ausgeprägten Ehrgeiz. Ich wollte immer wieder der werden, der ich war."

"Mit jedem Versuch wird es besser"

Sieht man den jungen Mann in seinem Skater-Look, dem Muskelshirt im Military-Style, kurze Hose und Sneaker, in der Maxvorstadt im Café sitzen oder an der Dachauer Straße auf dem Gelände der alten Kaserne skaten, lässt nichts auf einen Schlaganfall schließen.

Nur in manchen Momenten erkennt Heuberger selbst, dass die Gehirnblutung ihn auch heute noch beschäftigt. Es sind kleine "Aussetzer", wie er sie selbst nennt. Manchmal fällt ihm ein Begriff nicht ein, in anderen Momenten gerät er einfach kurz ins Stocken. "Aber ich war vorher schon kein guter Rhetoriker und bin es jetzt auch nicht", sagt er und lacht. "Und in der Uni war ich vorher keine Leuchte und bin es jetzt auch nicht. Das habe ich schon mal wieder geschafft."

Absurde Missverständnisse

Aber er nimmt sein Studium ernst - und versteht es damals als ein großes Ziel während der Rehabilitation. Vier Wochen nach der Operation spürt Heuberger, dass es endlich aufwärts geht. Das Gefühl auf der bis dahin gelähmten rechten Körperhälfte kehrt zurück; er schafft es wieder, einzelne Wörter mühevoll auszusprechen.

"Am Anfang konnte ich mich überhaupt nicht verständigen und das hat auch immer wieder zu Missverständnissen geführt", sagt der Skater. Will er seiner damaligen Freundin andeuten, dass die Rückenlehne des Bettes zu weit oben steht, schiebt sie ihm zwei Kissen unter den Rücken. "Das war absurd. Wie schon beim Unfall, als ich immer allen erklären wollte, dass mir nichts fehlt - aber ich konnte es nicht", erinnert sich Heuberger.

"Man ist bis zu einem gewissen Grad hilflos, und gleichzeitig so ungeduldig." Denn dem 28-Jährigen kann es nicht schnell genug gehen. Nicht in der Physiotherapie, nicht beim Logopäden - obwohl er selbst die Fortschritte registriert. "Mein erster Satz, den ich gesprochen habe war: Alles in Butter", sagt er und lacht dabei. "Das ist doch absurd: Ich hatte eine Gehirnblutung. Und alles ist in Butter."

Nach zwölf Wochen im Krankenhaus ist es dann aber soweit. Eigenständig verlässt Heuberger die Schön Klinik, aufrecht und in der Lage, sich selbst ein Taxi zu rufen oder eine Pizza zu bestellen. Zu Hause angekommen nimmt er sich erst einmal eine zweiwöchige Auszeit mit seiner Freundin Friederike, die seit 2012 seine Frau ist.

Er geht spazieren, ruht sich einfach nur aus und fängt danach wieder mit der Reha an. Nach drei Monaten steigt er erstmals wieder auf ein Board, wacklig und kaum in der Lage, das Brett selbständig anzuschieben. An der Uni setzt er nur ein Semester aus und steigt im Oktober 2011 wieder zum Wintersemester ein: "Das habe ich gebraucht, die Kommunikation, die Normalität."

Heute ist Kilian Heuberger wieder in der Normalität angekommen. Er gehört wieder zu Deutschlands besten Skatern, ist in der Szene ein großer Name und Hauptdarsteller vieler spektakulärer Videos: "Und Publicity ist für uns Skater so wichtig wie ein Titel bei einem Contest oder einer WM." Und natürlich der Spaß am Fahren - trotz unzähliger Knochenbrüche und Bänderrisse, die sich der Skater zugezogen hat, seitdem er im Alter von zehn Jahren erstmals auf ein Board gestiegen ist. Das größte Zeichen der Erinnerung trägt er aber unter dem Cap.

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