Nach dem Hochwasser:Eine Flut von Gerüchten

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Erst kamen die Wassermassen, dann die Helfer - und jetzt sind die Gerüchte und Verschwörungstheorien da (im Bild Deggendorf-Fischerdorf) (Foto: dpa)

Warum hat es gerade uns erwischt? Nach dem Hochwasser fangen die Menschen an, sich Gedanken zu machen. Einige glauben, dass Deiche mutwillig gesprengt und Dörfer zugunsten größerer Innenstädte geopfert wurden.

Von Heiner Effern und Wolfgang Wittl

Die Wassermassen sind fort, die Arbeiten an Kellern, Häusern und Plätzen schreiten zügig voran. Was bleibt, ist der Strudel an Gefühlen, in dem sich nach der Flut viele Betroffene wiederfinden. Zuerst kam der Schock über das unfassbar viele Wasser, dann die Trauer über die Verluste. Sie wurde gelindert durch die Freude über den unermüdlichen Einsatz der Helfer, durch den eigenen Einsatz, der kaum Ruhephasen zuließ.

Als die Helfer dann abgezogen und die dringendsten Arbeiten erledigt waren, begriffen viele erst, was das Hochwasser in ihrem Leben angerichtet hat. Bei so manchem macht sich Wut breit, genährt von diesen bohrenden Fragen: Warum hat es genau meine Wohnung, meine Siedlung getroffen? Und: Wer hat daran Schuld? Der Herrgott ist weit weg und ein wenig abstrakt, um ihn verantwortlich zu machen. Der Klimawandel auch. Bleiben die Menschen, die im Hochwasser die Verantwortung trugen.

Die Rosenheimer Oberbürgermeisterin Gabi Bauer (CSU) hat die Welle der Gerüchte als solche erst gar nicht wahrgenommen. Es kam eine Mail, dann noch eine, deren Schreiber es nun aber wissen wollten: Hat der Krisenstab der Stadt tatsächlich absichtlich den Deich auf der Südseite der Mangfall geöffnet, um die Innenstädte von Rosenheim und Kolbermoor zu retten? Haben die Verantwortlichen die Stadtteile Aising und Oberwöhr bewusst absaufen lassen? Bauer beantwortete die ersten Mails freundlich, aber bestimmt: Man habe keinen Deich geöffnet, niemanden geopfert.

Doch es wurden mehr Mails, als sogar eine aus dem Rathaus kam, sah sich die OB zum Handeln gezwungen: Sie berief eine Stadtteilversammlung ein. Dort kamen die Gerüchte wieder hoch, von denen niemand genau weiß, woher sie stammen. Die Beteuerung der OB, dass kein Damm zerstört worden sei, wurde zweifelnd aufgenommen. Schließlich drohte der Chef des Ordnungsamts mit einer Klage, falls die Behauptungen weiter die Runde machen sollten. Was auch nicht besser ankam.

Auch im Landkreis Deggendorf machten Gerüchte die Runde, manche Gemeinde sei nur verschont geblieben, weil man andere dafür bewusst habe absaufen lassen. Sogar von gesprengten Deichen war die Rede. "Ein völliger Schmarrn" sei dies, sagt Jürgen Roith (CSU), Bürgermeister von Winzer. "Fahrlässig und dumm" seien solche Mutmaßungen.

Natürlich hätten Kommunen wie Winzer oder Hengersberg von gebrochenen Dämmen profitiert, doch eine gezielte Sprengung - die es angeblich auch in Deggendorf zu Lasten von Fischerdorf gegeben habe - dürfte in die Kategorie Verschwörungstheorie fallen.

Die Bürgermeister der Donau-Anrainergemeinden bei Deggendorf hatten während des Hochwassers stets erklärt, keinen Nachbarn zugunsten der eigenen Sicherheit zu opfern. Der Damm sei eben an der schwächsten Stelle geborsten. Dass einzelne Anwohner ihrem Frust nun freien Lauf lassen, sei in gewisser Weise aber verständlich.

Auch die Rosenheimer Oberbürgermeisterin Bauer sagt: "Ich mache deswegen niemandem einen Vorwurf. Die Verzweiflung ist groß. Jeder, der gesehen hat, was das Hochwasser angerichtet hat, versteht das." Dass Rettungskräfte vorübergehend vom Damm an der Mangfall abgezogen worden seien, sei ausschließlich geschehen, um deren Leben zu schützen.

Von Passau aus ist die Welle der Beschuldigungen und Gerüchte mittlerweile bis nach München geschwappt. Stadt und Umweltministerium liefern sich seit Tagen eine heftige Auseinandersetzung, wer wann welche Pegelstände weitergab - und ob dies rechtzeitig geschah.

Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) und die Leitung des Krisenstabs haben inzwischen ein Schreiben unterzeichnet, in dem sie sich gegen Aussagen des Ministeriums verwahren, die Stadt sei 48 Stunden vor dem Höchststand der Donau (12,89 Meter) bereits über einen Pegel von 10,64 Meter informiert gewesen. "Diese Aussage ist falsch", heißt es in dem Brief.

Am Donnerstag richtete die SPD-Fraktion im Landtag eine Anfrage ans Ministerium, "wann der Hochwassernachrichtendienst welche Informationen an die betroffenen Kommunen, besonders Passau, weitergeleitet hat", wie der Passauer Abgeordnete Bernhard Roos sagte.

Das zuständige Wasserwirtschaftsamt Deggendorf wollte sich nach einem Termin im Umweltministerium nicht zu Details äußern. Um Fronten abzubauen, wolle man mit der Stadt Passau "auf Arbeitsebene diskutieren und nicht mehr öffentlich", hieß es. Tags zuvor hatte OB Dupper bereits an Ministerpräsident Horst Seehofer geschrieben mit der Bitte, den Sachverhalt aufzuklären.

© SZ vom 21.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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