Autobahn-Attentäter:Lkw-Fahrer schoss aus Frust im Straßenverkehr

Ärger über andere, Frust über den "Krieg" auf deutschen Autobahnen. Das Motiv des Mannes, der mutmaßlich mehr als 700 Schüsse auf fahrende Lastwagen abgab, ist erschreckend profan. Auf einer Pressekonferenz nimmt BKA-Chef Ziercke auch zu datenschutzrechtlichen Bedenken Stellung.

Von Lena Jakat

Was bewegt einen Menschen dazu, 762 Mal auf fahrende Lastwagen zu schießen, auf andere Fahrzeuge, auf Gebäude und eine Lärmschutzwand? Die Hoffnung, Antworten auf diese Frage zu bekommen, dürfte in erster Linie den Pressesaal des Bundeskriminalamts in Wiesbaden gefüllt haben.

"Wir haben die berühmte Nadel im Heuhaufen gefunden", sagt BKA-Chef Jörg Ziercke bei der Pressekonferenz am Dienstagvormittag. Viereinhalb Jahre ist es her, seit die ersten Schüsse auf fahrende Lkw fielen, es folgte Anschlag um Anschlag. Meist wurden die Einschüsse erst am Fahrtziel entdeckt, die Tatorte waren damit unklar.

Jetzt sind sich die Ermittler des Bundeskriminalamts sicher, dass sie endlich den Mann gefasst haben, der für diese beispiellose Anschlagsserie auf deutschen Autobahnen verantwortlich sein soll und der zeitweise zu den meistgesuchten Verdächtigen der Republik gehörte: Ein 57 Jahre alter Lastwagen-Fahrer aus Nordrhein-Westfalen ist am Sonntag in der Eifel festgenommen worden, seither sitzt er in Untersuchungshaft. Anfangs stritt er alles ab, ja leugnete sogar, jemals Kontakt mit Waffen gehabt zu haben. Doch nach einem mehrstündigen Verhör hat er die Tat im Wesentlichen eingestanden, auch wenn er sich laut Staatsanwaltschaft auf "Erinnerungslücken" beruft.

"Ärger und Frust im Straßenverkehr"

Und das Motiv? "Ärger und Frust im Straßenverkehr", nennt Ziercke die erschreckend profanen Beweggründe, die der Lkw-Fahrer für seine Taten angegeben hat. Später führt das der Sprecher der Staatsanwaltschaft Würzburg noch aus: Vor einigen Jahren soll ein Autotransporter den Lkw-Fahrer geschnitten und beinahe einen Unfall verursacht haben. Der mutmaßliche Schütze, ein "frustrierter Einzelgänger mit einem Hass auf andere Menschen und einer Affinität zu Waffen"", habe von einem "Krieg" auf deutschen Autobahnen gesprochen. Seine Taten sehe er als eine Art Selbstjustiz an. Er habe stets nur Gegenstände beschädigen, nie jemanden verletzen wollen, soll der Verdächtige gesagt haben.

Hat der Datenschutz etwas dagegen?

Ob er wollte oder nicht: 2009 ist bei dem Beschuss eines Fahrzeugs eine Autofahrerin bei Würzburg schwer am Hals verletzt worden. Deswegen wird sich der 57-Jährige auch mindestens wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten müssen, deswegen ist die Staatsanwaltschaft Würzburg für den Fall zuständig. Bei der Durchsuchung von Wohnung, Arbeitsplatz, beruflich genutztem Lkw und Privatwagen fanden die Ermittler eine Neun-Millimeter-Pistole mit Schalldämpfer und eine Pistole des Kalibers .22 mit Schalldämpfer, die laut kriminaltechnischer Untersuchung bereits als Tatwaffe identifiziert wurde. Zudem wurden 1300 Schuss Munition entdeckt.

Für Diskussionen könnten noch die Methoden sorgen, mit denen sich die Ermittler dieser "beispiellosen kriminalistischen Herausforderung" wie Ziercke es nennt, stellten - und mit denen am Ende der Durchbruch gelang: Das BKA kam dem Verdächtigen dank spezieller Lesegeräte für Kennzeichen auf die Spur, die massenweise die Kfz-Schilder an mutmaßlichen Tatorten erfasste. Diese Daten wurden mit Telemetriedaten über das Bewegungsmuster von Lastwagen abgeglichen.

Am Dienstagvormittag erläutert Ziercke die Ermittlungsschritte, die am Ende zum Erfolg führten, Schritt für Schritt. Wie sich im April der Verdacht auf einen Zeitraum von 18 Minuten konzentrierte, in denen der mutmaßliche Täter ein Lesegerät des BKA passierte. Wie die dort erfassten Kennzeichen mit Telemetriedaten zur Bewegung von Lkws abgeglichen und der Verdacht schließlich auf ein Fahrzeug fiel. Wie aufgrund eines früheren Vorfalls bei einer Verkehrskontrolle der Fahrer identifiziert worden konnte, wie dessen Mobilfunkdaten mit den Tatorten abgeglichen wurden und sich die Beweiskette immer weiter verdichtete.

Kritische Nachfragen zum Datenschutz

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Datenschutz da etwas dagegen haben sollte", sagt Ziercke auf kritische Nachfragen zu den Fahndungsmethoden. Die massenweise erfassten Daten aus den Kennzeichen-Lesegeräten seien stets nach zehn Tagen gelöscht worden, die Telemetriedaten würden ohnehin von den Speditionen erfasst.

Tatsächlich ist diese Ermittlung auch ein Beispiel für vorhandenen Datenschutz: All die Informationen, die sich das BKA durch speziell installierte Kameras beschaffen musste, liegen dem Maut-Unternehmen Toll Collect vor. Für polizeiliche Ermittlungen dürfen sie laut Datenschutzrecht aber nicht genutzt werden, wie Ziercke konstatiert und sachlich feststellt: Mithilfe dieser Daten hätte man den Täter womöglich schon eher gefasst.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat den Fahndungserfolg bereits gelobt. Der Vorsitzende der Deutsche Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sprach von einer "kriminologischen Meisterleistung".

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