NRW: Justizministerin unter Druck:"MüPi", die Pannenfrau

Kurz vor der Wahl belastet ein neuer Justizskandal die CDU. Ministerpräsident Rüttgers bleibt nichts anderes übrig, als zu seiner "Pannenministerin" Müller-Piepenkötter zu halten.

Michael König

An der Geschwindigkeit hat es diesmal nicht gelegen. Die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) sei noch am Sonntag in das Remscheider Gefängnis "geeilt", um sich zu informieren, meldet die Deutsche Presseagentur.

Am Montag dann veröffentlichte die in schwarz-gelben Koalitionskreisen "MüPi" genannte Ministerin um 10:17 Uhr eine Erklärung: "Das Geschehen macht mich fassungslos. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen des Opfers."

Der Grund für die ministeriale Eile war eine Gewalttat im Remscheider Gefängnis: Am Sonntag wurde dort, im Wahlkreis von Müller-Piepenkötter, eine 46-jährige Frau getötet - von Ihrem Freund, einem 50 Jahre alten Insassen. Der zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder hatte ersten Ermittlungen zufolge zwei Messer und einen Radmutterschlüssel in den Besucherraum ("Liebeszelle") geschmuggelt und seiner Lebensgefährtin tödliche Stichverletzungen in den Oberkörper, Würgemale am Hals und Kopfverletzungen zugefügt - ehe er vergeblich versuchte, Suizid zu begehen.

Eigentlich hat Roswitha Müller-Piepenkötter eher den Ruf, zu langsam zu reagieren - denn es ist beileibe nicht der erste Fall von Gewalt in einem Gefängnis in NRW.

Der Opposition gilt die Justizpolitik von CDU und FDP seit Jahren als "Sicherheitsrisiko", Müller-Piepenkötter selbst hat den Spitznamen "Pannenministerin" weg. Sie reagiere zu langsam, zu umständlich und lasse zu oft andere für sich sprechen, kritisierten SPD und Grüne immer wieder. Neutrale Beobachter hielten ihr vor, zu sehr in ihrem früheren Beruf als Richterin verhaftet zu sein und zu sehr abzuwägen, anstatt in brenzligen Situationen entschlossen zu handeln. Derer gab es einige - doch stets konnte "MüPi" auf die Rückendeckung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vertrauen. Bislang zumindest.

Bangen um die Koalition

Vier Wochen vor der Landtagswahl am 9. Mai kommt die neuerliche Panne in einem der NRW-Gefängnisse für Rüttgers und die CDU jedoch zur Unzeit. In Umfragen liegt Schwarz-Gelb hauchdünn hinter der SPD und den Grünen, eine Fortführung der bürgerlichen Koalition gilt als sehr gefährdet. In Berlin werden bereits die Chancen für ein schwarz-grünes Experiment erörtert - in der für Rüttgers wohl kein Platz wäre.

Beim Auftakt ihrer Kampagne in Oberhausen warb die CDU auf Plakaten beinahe flehentlich: "NRW muss stabil bleiben." Rüttgers betonte in seiner Rede, er garantiere, dass das Land auch in den kommenden fünf Jahren kompetent regiert werde. Schon heißt es seitens der Opposition, von Kompetenz könne bei der Politik Müller-Piepenkötters keine Rede sein. Liberale Kommentatoren zetern, nun sei das Maß endgültig voll.

Tatsächlich müssen die Gegner der Justizministerin bloß das Archiv bemühen, um eine Fülle von Pannen und dramatischen Zwischenfällen in NRW-Gefängnissen zu finden, die Müller-Piepenkötter zumindest teilweise anzulasten sind - eine Chronologie finden Sie auf der nächsten Seite.

Schuld haben die anderen

Da war der Foltermord von Siegburg, bei dem Häftlinge ihren Mitinsassen zu Tode quälten. Ein Familiendrama in Mönchengladbach mit zwei Toten hätte beispielsweise nie passieren dürfen, wie die Justizministerin einräumen musste - die Staatsanwaltschaft verpasste die Gelegenheit, einen Haftbefehl gegen den späteren Täter rechtzeitig auszuführen. Ein halbes Dutzend Gefängnisausbrüche - darunter die Flucht der beiden Schwerverbrecher Michael Heckhoff und Peter Paul Michalski aus der JVA Aachen - ließ immer wieder den Verdacht aufkommen, die Gefängnisse seien nicht sicher.

Zu Beginn ihrer Amtszeit schob "MüPi" die Verantwortung gerne und oft der rot-grünen Vorgängerregierung zu, wenn es um die Missstände ging. Nun muss sie sich fragen lassen, warum sie es in fünf Jahren nicht geschafft hat, die Mängel zu beseitigen.

Dass Rüttgers die "Pannenministerin" im Falle einer Wiederwahl erneut in sein Kabinett berufen würde, galt bereits vor der Bluttat von Remscheid als unwahrscheinlich. Einen Rücktritt der Justizministerin vier Wochen vor der Wahl wird er sich aber kaum leisten können - schließlich hat er dem Wahlvolk Stabilität versprochen, und wenn dem selbsternannten Arbeiterführer eines wichtig ist, dann die Glaubwürdigkeit. Koste es, was es wolle.

Auf der nächsten Seite: Eine Chronologie der Missstände.

Messerscharfer Stacheldraht

Seit 2006 steht Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter immer wieder in der Kritik. Eine Chronologie.

November 2006: In der Justizvollzugsanstalt Siegburg wird ein 21 Jahre alter Häftling in seiner Gefängniszelle von drei Mitinsassen zu Tode gequält. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss fördert dramatische Zustände hinter den Gefängnismauern zu Tage. Die SPD kritisiert, Müller-Piepenkötter habe das Jugendgefängnis "volllaufen und absaufen" lassen. Die Ministerin habe außerdem erst zwei Tage nach der Tat reagiert, bis zur Versetzung des zuständigen Gefängnisleiters seien acht Tage vergangen. "MüPi" verteidigt sich, sie habe die Erwartungen an eine Ministerin erfüllt: "Vollständige Information, sorgfältige Analyse und eindeutige Maßnahmen."

Dezember 2006: Einen Monat nach dem Mord von Siegburg gerät Müller-Piepenkötter wegen ihres Buches "Auto kaufen und verkaufen" unter Druck. Auf dem Rücken des Rechtsratgebers wirbt die Justizministerin mit ihrem Amt - das ist Landtagsabgeordneten per Gesetz untersagt. "MüPi" findet die Angelegenheit unproblematisch: "Das Ministeramt gehört zu meinem Lebenslauf, ist die aktuelle Berufsbezeichnung" (taz)

März 2007: Der 39-Jährige Erol P. lauert in Mönchengladbach seiner Ehefrau und seiner Tochter auf und erschießt beide. Zu diesem Zeitpunkt wird er bereits per Haftbefehl gesucht. Dennoch wird Erol P. nicht festgenommen, als er kurz vor der Tat an einem Sorgerechtsprozess teilnimmt. Müller-Piepenkötter räumt ein, es bedrücke sie, "dass die Möglichkeit bestanden hätte, den Tatverdächtigen (...) festzunehmen. Hierdurch hätte die grausame Tat verhindert werden können."

November 2007: Bei der Aufklärung eines Ausbruchs aus der Krefelder JVA will Müller-Piepenkötter eklatante "Sicherheitslücken" in den Gefängnissen entdeckt haben, die sie alleine der rot-grünen Vorgängerregierung anlastet. SPD und Grüne hätten "so viel Stacheldraht wie möglich" entfernen lassen - auch in Krefeld, wo ein Häftling über die Mauer kletterte und floh. Als "Sofortmaßnahme" lässt sie die gesamte Außenmauer mit messerscharfem Nato-Draht sichern - später stellt sich heraus, dass die Mauern der JVA zu keinem Zeitpunkt mit Stacheldraht versehen waren.

März 2008: In der JVA Gelsenkirchen werden zwei Häftlinge von Mitinsassen körperlich und sexuell misshandelt. Ein 24-Jähriger wird aufgefordert, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Dann wird er gezwungen, Selbstmord zu begehen. Die Opposition wird erst im Dezember auf die Fälle aufmerksam und wirft Müller-Piepenkötter vor, die Geschehnisse "vertuscht" haben zu wollen. Das Justizministerium hält in einer Stellungnahme dagegen, die Vorgänge seien in einer "Jahresauflistung" für 2008 an die Vollzugskommission des Landtags gemeldet worden. Die Opposition versuche, Gewaltübergriffe unter Gefangenen zu "skandalisieren".

November 2009: Die zu lebenslänglicher Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilten Schwerverbrecher Peter Paul Michalski und Michael Heckhoff gehen unbehelligt durch das Gefängnistor der und setzen sich in einem Taxi ab. Beide sind bewaffnet. Ihre Flucht quer durch NRW hält die Polizei in Atem. Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass ein Vollzugsbeamter den Kriminellen zur Flucht verhalf. Müller-Piepenkötter gibt zu Protokoll, "eine solche Tat" habe sich "niemand vorstellen können". Einen Rücktritt lehnt sie ab und betont: "Nie war der Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen so sicher wie heute."

Dezember 2009: Es wird bekannt, dass Müller-Piepenkötter allen Justizmitarbeitern außer Richtern und Staatsanwälten den Zugang zum Internetportal des Westdeutschen Rundfunks (WDR) hat sperren lassen. Seit der Ausbruchsaffäre von Aachen hatten Justizbedienstete dort anonym Kritik an ihrer Chefin geübt. Der Personalrat des Ministerums beklagt "Methoden wie in China oder im Iran". Müller-Piepenkötter verkündet, die Sperre habe nichts mit der Kritik an ihrer Person zu tun. Grund sei vielmehr, dass Mitarbeiter im Dienst zu viel Zeit online verplempert hätten.

Januar 2010: Ein 17-Jähriger berichtet, im Gefängnis Herford von vier Mitgefangenen misshandelt worden zu sein. Das Justizministerium betont, seit 2007 sei die Zahl der Verdachtsfälle von 53 auf 26 im Jahr 2008 zurückgegangen. Die Opposition hält das für ein Eingeständnis der Ministerin, die Gewalt nicht stoppen zu können. Ebenfalls im Januar 2010 fliehen in Münster zwei Häftlinge durch ein vergittertes Oberlicht einer Toilette des Gefängnisses. Von dort rutschen sie an einer Regenrinne herunter ins Freie. Müller-Piepenkötter lässt daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen in allen Haftanstalten überprüfen.

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