Bericht der Patientenberatung:Der mündige Patient ist ein Phantom

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14.500 Beschwerden erreichten Patientenschützer innerhalb eines Jahres und zeigen: Kaum ein Kranker verhandelt mit Ärzten auf Augenhöhe. So werden Hilfesuchenden immer wieder Medikamente, Krankengeld oder die eigene Krankenakte vorenthalten.

Von Guido Bohsem

Der mündige Patient ist eine beinahe mythische Gestalt, die im Gesundheitswesen immer wieder auftaucht. Dieser Typus Mensch kann sich mit seinem Arzt auf Augenhöhe austauschen, weiß über die Pflichten seiner Krankenkasse Bescheid und kann genau zwischen notwendigen und überflüssigen Behandlungen unterscheiden - und das alles auch mit hohem Fieber oder Schmerzen.

Der mündige Patient könnte vieles verbessern im System. Überflüssiges würde durch ihn vermieden und Kosten gespart. Glaubt man der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) hat das Konzept des mündigen Patienten allerdings einen großen Haken - es gibt ihn nicht. Das jedenfalls legt eine Auswertung der mehr als 75.000 Beratungsgespräche nahe, die die Einrichtung in den vergangenen zwölf Monaten geführt hat.

"Patienten sind über Jahrzehnte hinweg zu passiv erduldenden Kranken sozialisiert worden", sagte UPD-Geschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler. Viele würden ihre Rechte nicht kennen und auch nicht einfordern. Aber auch wer sie kenne, traue sich häufig nicht zu, mit seinem Arzt auf Augenhöhe zu sprechen.

Viele Patienten stießen auf scheinbar unüberwindliche Hindernisse und Herausforderungen. Mehr als 14.500 Beschwerden von Patienten seien zwischen April 2012 und März 2013 bei der UPD eingegangen, sagte Schmidt-Kaehler. Sie richteten sich vor allem gegen Ärzte und gegen Krankenkassen. Jede dritte Beschwerde betreffe die Patientenrechte.

Da gibt es zum Beispiel den Fall Maria K. Die 56-jährige Frau leidet unter Diabetes, starkem Übergewicht und Bluthochdruck. Ihr Arzt verschrieb ihr ein neues Medikament mit dem Hinweis, dass sein Budget für das bislang verordnete Arzneimittel nicht ausreiche. Medizinische Gründe nannte er keine. Er entließ die Patientin mit dem Hinweis, sie möge einfach mal die Kekse weglassen. Dann brauche sie keine teuren Medikamente mehr.

Frau K. fühlte sich dadurch gedemütigt. Ihre Krankenkasse bestätigte ihr, dass der Arzt ihr das alte Medikament weiterhin verordnen müsse. Also wechselte sie den Arzt. Damit der neue Mediziner nicht alle Untersuchungen nochmals machen muss, bat sie beim alten Arzt mehrfach um eine Kopie ihrer Krankenakte. Vergebens - dabei hätte sie einen Anspruch darauf.

627-mal dokumentierte die UPD Fälle, in denen Ärzte einen Einblick in die Krankenunterlagen verweigerten. Auch das neue Patientenrechtegesetz habe wenig an dem Umstand geändert, dass vielen Patienten und Ärzte die Patientenrechte nicht bekannt seien, so ist die Erfahrung der UPD.

Der höchste Anteil der Beschwerden gegen Ärzte entfiel auf die Zahnmedizin (5100 Fälle). Dies hängt nach Darstellung der UPD vor allem damit zusammen, dass in diesem Bereich sehr viele Leistungen von den Patienten selbst gezahlt werden müssen und zudem die Behandlungsergebnisse leichter kontrolliert werden könnten. Wolfgang Zöller, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, führte dies zum Teil auf die komplizierte Aufstellung des Heil- und Kostenplans zurück. Hier werde es aber in absehbarer Zeit eine leichter verständliche Aufstellung geben, sagte er. Der CSU-Bundestagsabgeordnete bezeichnete den UPD-Bericht als wichtigen Hinweisgeber für die künftige Gesetzgebung.

Ein anderes zentrales Beschwerdethema betrifft nach Angaben der UPD das Verhalten der Krankenkassen und hier insbesondere beim Thema Krankengeld. Dieses wird von der Kasse im Krankheitsfall zumeist nach sechs Wochen als Lohnersatz gezahlt. Die Ausgaben der Kassen für das Krankengeld sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich und deutlich gestiegen. Zahlten sie 2006 nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes noch 5,71 Milliarden Euro, waren es 2012 schon 9,17 Milliarden Euro. Allein in den vergangenen vier Jahren stiegen die Ausgaben um 39 Prozent.

Offenbar führt dieser Anstieg dazu, dass viele Krankenkassen energisch bei ihren Patienten nachhören. Das Krankengeld war die Kassenleistung, zu der die Patienten am häufigsten Rat bei der UPD einholten (4760 Kontakte). Auffallend ist laut Bericht, dass Betroffene mit psychischen Krankheiten die größte Gruppe der Ratsuchenden darstellten. Viele Patienten beschwerten sich über widersprüchliche und unvollständige Informationen oder beklagten eine unberechtigte Ablehnung der Leistung. Häufig hätten die Ratsuchenden aber auch angegeben, dass sie sich durch ihre Kasse unter Druck gesetzt gefühlt hätten, zum Beispiel durch regelmäßige Anrufe und durch unberechtigte Fragen nach Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit.

© SZ vom 02.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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